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Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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nicht verkaufen -- dafür ist der König da! -- Das sind rechte Vorurtheile, brummte der Alte. Solltest lieber bei mir ein gut Wort einlegen. Aber was hilft's ihm freilich, wenn ich Geduld habe? Mit der Karalene kommt er sein Leben lang nicht zurecht. -- Das Mädchen nahm den Kopf in beide Hände und schwieg. Geelhaar ging weiter.

Als Grita nach einer Weile aufsah, glühte ihr das ganze Gesicht bis zur Stirn hinauf. Sie stand auf und zog das Kopftuch fester zu, so daß nur die Augen frei blieben. Trotz des eisigen Windes, der ihr entgegenblies, und der Hagelschauer, die sich von Zeit zu Zeit aus den schwarzen, vorüberjagenden Wolken stürzten, schritt sie eine Weile auf der Chaussee fort, denselben Weg, den sie zuletzt mit Ansas gemacht hatte. Sie meinte vielleicht dem Rückkehrenden zu begegnen, aber so oft sie auch aufschaute, die bekannte Gestalt ließ sich nicht blicken. Erschöpft setzte sie sich endlich wieder auf einen Stein und weinte. Dann kehrte sie langsam zurück.

Als sie am Herrenhause vorüber war und in die Dorfstraße einbog, dämmerte es schon. Sie sah Kristups Wanags hinter dem Hause her über Feld mit einem Wagen nach der Brücke zu fahren, der mit Brettern und altem Dachstroh beladen war. Der hat den alten Stall abgebrochen, dachte sie, aber sie störte ihn nicht, da sie ja wußte, daß er nichts zu leben hatte. Im Hause war kein Licht zu bemerken; wahrscheinlich

nicht verkaufen — dafür ist der König da! — Das sind rechte Vorurtheile, brummte der Alte. Solltest lieber bei mir ein gut Wort einlegen. Aber was hilft's ihm freilich, wenn ich Geduld habe? Mit der Karalene kommt er sein Leben lang nicht zurecht. — Das Mädchen nahm den Kopf in beide Hände und schwieg. Geelhaar ging weiter.

Als Grita nach einer Weile aufsah, glühte ihr das ganze Gesicht bis zur Stirn hinauf. Sie stand auf und zog das Kopftuch fester zu, so daß nur die Augen frei blieben. Trotz des eisigen Windes, der ihr entgegenblies, und der Hagelschauer, die sich von Zeit zu Zeit aus den schwarzen, vorüberjagenden Wolken stürzten, schritt sie eine Weile auf der Chaussee fort, denselben Weg, den sie zuletzt mit Ansas gemacht hatte. Sie meinte vielleicht dem Rückkehrenden zu begegnen, aber so oft sie auch aufschaute, die bekannte Gestalt ließ sich nicht blicken. Erschöpft setzte sie sich endlich wieder auf einen Stein und weinte. Dann kehrte sie langsam zurück.

Als sie am Herrenhause vorüber war und in die Dorfstraße einbog, dämmerte es schon. Sie sah Kristups Wanags hinter dem Hause her über Feld mit einem Wagen nach der Brücke zu fahren, der mit Brettern und altem Dachstroh beladen war. Der hat den alten Stall abgebrochen, dachte sie, aber sie störte ihn nicht, da sie ja wußte, daß er nichts zu leben hatte. Im Hause war kein Licht zu bemerken; wahrscheinlich

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[0064] nicht verkaufen — dafür ist der König da! — Das sind rechte Vorurtheile, brummte der Alte. Solltest lieber bei mir ein gut Wort einlegen. Aber was hilft's ihm freilich, wenn ich Geduld habe? Mit der Karalene kommt er sein Leben lang nicht zurecht. — Das Mädchen nahm den Kopf in beide Hände und schwieg. Geelhaar ging weiter. Als Grita nach einer Weile aufsah, glühte ihr das ganze Gesicht bis zur Stirn hinauf. Sie stand auf und zog das Kopftuch fester zu, so daß nur die Augen frei blieben. Trotz des eisigen Windes, der ihr entgegenblies, und der Hagelschauer, die sich von Zeit zu Zeit aus den schwarzen, vorüberjagenden Wolken stürzten, schritt sie eine Weile auf der Chaussee fort, denselben Weg, den sie zuletzt mit Ansas gemacht hatte. Sie meinte vielleicht dem Rückkehrenden zu begegnen, aber so oft sie auch aufschaute, die bekannte Gestalt ließ sich nicht blicken. Erschöpft setzte sie sich endlich wieder auf einen Stein und weinte. Dann kehrte sie langsam zurück. Als sie am Herrenhause vorüber war und in die Dorfstraße einbog, dämmerte es schon. Sie sah Kristups Wanags hinter dem Hause her über Feld mit einem Wagen nach der Brücke zu fahren, der mit Brettern und altem Dachstroh beladen war. Der hat den alten Stall abgebrochen, dachte sie, aber sie störte ihn nicht, da sie ja wußte, daß er nichts zu leben hatte. Im Hause war kein Licht zu bemerken; wahrscheinlich

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:07:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/64>, abgerufen am 15.05.2024.