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Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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fem Frost ein, doch litt er in seinem Pelz davon weniger, als von der Nässe vorher. An jedem Abend wickelte er das Kreuz aus den Papieren, in die der Juwelier es sorgsam verpackt hatte und die so wundersam nach Rosen und Lavendel dufteten, und wenn er es ansah, stand auch Grita leibhaftig vor ihm, und daß er ihr nun jeden Tag näher komme und daß die Hochzeit immer weniger fern sei, das stärkte seine Kraft und stählte seine Muskeln.

So kam er denn endlich in das Dorf, in dem er von Grita Abschied genommen hatte, und meinte, daß er sie dort wieder finden müßte, obschon er ihr gar keine Nachricht gegeben. Es war schon spät am Nachmittag, aber er fand keine Ruhe mehr zu rasten, seine Sehnsucht trieb ihn weiter. Er lief mehr, als er ging, und nach wenigen Stunden schon sah er das Herrenhaus mit hellerleuchteten Fenstern vor sich. Er drohte mit der Faust hinüber und murmelte vor sich hin: Warte nur, mit dir werde ich jetzt bald fertig werden! Wie er der Dorfstraße näher kam, strengte er seine Augen an, die bekannten Gegenstände herauszufinden; aber der Lichtschein blendete, und der Himmel war mit Wolken bedeckt, so daß sich nur die größeren Massen wie etwas hellere Nebel davon abhoben. Täuschte er sich? Die Umrisse stimmten nicht ganz mit seiner Erinnerung. Um sein Haus herum waren ihm die Bäume sonst immer höher erschienen. Wenn sein Vater doch die Birken -- -- Er verdoppelte sei-

fem Frost ein, doch litt er in seinem Pelz davon weniger, als von der Nässe vorher. An jedem Abend wickelte er das Kreuz aus den Papieren, in die der Juwelier es sorgsam verpackt hatte und die so wundersam nach Rosen und Lavendel dufteten, und wenn er es ansah, stand auch Grita leibhaftig vor ihm, und daß er ihr nun jeden Tag näher komme und daß die Hochzeit immer weniger fern sei, das stärkte seine Kraft und stählte seine Muskeln.

So kam er denn endlich in das Dorf, in dem er von Grita Abschied genommen hatte, und meinte, daß er sie dort wieder finden müßte, obschon er ihr gar keine Nachricht gegeben. Es war schon spät am Nachmittag, aber er fand keine Ruhe mehr zu rasten, seine Sehnsucht trieb ihn weiter. Er lief mehr, als er ging, und nach wenigen Stunden schon sah er das Herrenhaus mit hellerleuchteten Fenstern vor sich. Er drohte mit der Faust hinüber und murmelte vor sich hin: Warte nur, mit dir werde ich jetzt bald fertig werden! Wie er der Dorfstraße näher kam, strengte er seine Augen an, die bekannten Gegenstände herauszufinden; aber der Lichtschein blendete, und der Himmel war mit Wolken bedeckt, so daß sich nur die größeren Massen wie etwas hellere Nebel davon abhoben. Täuschte er sich? Die Umrisse stimmten nicht ganz mit seiner Erinnerung. Um sein Haus herum waren ihm die Bäume sonst immer höher erschienen. Wenn sein Vater doch die Birken — — Er verdoppelte sei-

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Zitationshilfe: Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/75>, abgerufen am 15.05.2024.