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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Zweytes Buch, viertes Capitel.
wider dasjenige gefaßt hatte, was man im Umgang
von jungen Personen beyderley Geschlechts unschuldige
Freyheiten zu nennen pflegt. Dem sey inzwischen wie
ihm wolle, so ist gewiß, daß Agathon durch dieses selt-
same Bezeugen einen Argwohn erwekte, der ihm bey
allen Gelegenheiten sehr beissende Spöttereyen von den
übrigen Hausgenossen, und selbst von den Schönen zu-
zog, die sich durch seine Sprödigkeit nicht wenig belei-
digt fanden, und ihm auf eine feine Art zu verstehen
gaben, daß sie ihn für geschikter hielten, die Tugend
der Damen zu bewachen, als auf die Probe zu stellen.
Agathon fand nicht rathsam, sich in einen Wett-Streit
einzulassen, wo er besorgen mußte, daß die Begierde,
recht zu haben, die sich in der Hize des Streites auch
der Klügsten zu bemeistern pflegt, ihn zu gefährlichen
Erörterungen führen könnte. Er machte daher bey sol-
chen Anläsen eine so alberne Figur, daß man von sei-
nem Wiz eine eben so verdächtige Meynung bekommen
mußte, als man schon von seiner Person gefaßt hatte;
und die Verachtung, in die er deswegen bey jeder-
mann fiel, trug vielleicht nicht wenig dazu bey, ihm
den Aufenthalt in einem Hause beschwerlich zu machen,
wo ihm ohnehin, alles, was er sah und hörte, är-
gerlich war. Er liebte diejenigen Künste sehr, über
welche, nach dem Glauben der Griechen, die Musen
die Aufsicht hatten. Allein die Gemählde, womit alle
Säle und Gänge dieses Hauses ausgeziert waren, stell-
ten so schlüpfrige und unsittliche Gegenstände vor, daß

er
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Zweytes Buch, viertes Capitel.
wider dasjenige gefaßt hatte, was man im Umgang
von jungen Perſonen beyderley Geſchlechts unſchuldige
Freyheiten zu nennen pflegt. Dem ſey inzwiſchen wie
ihm wolle, ſo iſt gewiß, daß Agathon durch dieſes ſelt-
ſame Bezeugen einen Argwohn erwekte, der ihm bey
allen Gelegenheiten ſehr beiſſende Spoͤttereyen von den
uͤbrigen Hausgenoſſen, und ſelbſt von den Schoͤnen zu-
zog, die ſich durch ſeine Sproͤdigkeit nicht wenig belei-
digt fanden, und ihm auf eine feine Art zu verſtehen
gaben, daß ſie ihn fuͤr geſchikter hielten, die Tugend
der Damen zu bewachen, als auf die Probe zu ſtellen.
Agathon fand nicht rathſam, ſich in einen Wett-Streit
einzulaſſen, wo er beſorgen mußte, daß die Begierde,
recht zu haben, die ſich in der Hize des Streites auch
der Kluͤgſten zu bemeiſtern pflegt, ihn zu gefaͤhrlichen
Eroͤrterungen fuͤhren koͤnnte. Er machte daher bey ſol-
chen Anlaͤſen eine ſo alberne Figur, daß man von ſei-
nem Wiz eine eben ſo verdaͤchtige Meynung bekommen
mußte, als man ſchon von ſeiner Perſon gefaßt hatte;
und die Verachtung, in die er deswegen bey jeder-
mann fiel, trug vielleicht nicht wenig dazu bey, ihm
den Aufenthalt in einem Hauſe beſchwerlich zu machen,
wo ihm ohnehin, alles, was er ſah und hoͤrte, aͤr-
gerlich war. Er liebte diejenigen Kuͤnſte ſehr, uͤber
welche, nach dem Glauben der Griechen, die Muſen
die Aufſicht hatten. Allein die Gemaͤhlde, womit alle
Saͤle und Gaͤnge dieſes Hauſes ausgeziert waren, ſtell-
ten ſo ſchluͤpfrige und unſittliche Gegenſtaͤnde vor, daß

er
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[51/0073] Zweytes Buch, viertes Capitel. wider dasjenige gefaßt hatte, was man im Umgang von jungen Perſonen beyderley Geſchlechts unſchuldige Freyheiten zu nennen pflegt. Dem ſey inzwiſchen wie ihm wolle, ſo iſt gewiß, daß Agathon durch dieſes ſelt- ſame Bezeugen einen Argwohn erwekte, der ihm bey allen Gelegenheiten ſehr beiſſende Spoͤttereyen von den uͤbrigen Hausgenoſſen, und ſelbſt von den Schoͤnen zu- zog, die ſich durch ſeine Sproͤdigkeit nicht wenig belei- digt fanden, und ihm auf eine feine Art zu verſtehen gaben, daß ſie ihn fuͤr geſchikter hielten, die Tugend der Damen zu bewachen, als auf die Probe zu ſtellen. Agathon fand nicht rathſam, ſich in einen Wett-Streit einzulaſſen, wo er beſorgen mußte, daß die Begierde, recht zu haben, die ſich in der Hize des Streites auch der Kluͤgſten zu bemeiſtern pflegt, ihn zu gefaͤhrlichen Eroͤrterungen fuͤhren koͤnnte. Er machte daher bey ſol- chen Anlaͤſen eine ſo alberne Figur, daß man von ſei- nem Wiz eine eben ſo verdaͤchtige Meynung bekommen mußte, als man ſchon von ſeiner Perſon gefaßt hatte; und die Verachtung, in die er deswegen bey jeder- mann fiel, trug vielleicht nicht wenig dazu bey, ihm den Aufenthalt in einem Hauſe beſchwerlich zu machen, wo ihm ohnehin, alles, was er ſah und hoͤrte, aͤr- gerlich war. Er liebte diejenigen Kuͤnſte ſehr, uͤber welche, nach dem Glauben der Griechen, die Muſen die Aufſicht hatten. Allein die Gemaͤhlde, womit alle Saͤle und Gaͤnge dieſes Hauſes ausgeziert waren, ſtell- ten ſo ſchluͤpfrige und unſittliche Gegenſtaͤnde vor, daß er D 2

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/73>, abgerufen am 21.11.2024.