Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Neuntes Buch, fünftes Capitel. Art verbessern; und ihn nach und nach durch die ei-genthümlichen Reizungen der Tugend endlich vollkommen gewinnen könnte. Und gesezt auch, daß es ihm nur auf eine unvollkommene Art gelingen würde; so hoffte er, wofern er sich nur einmal seines Herzens bemeistert haben würde, doch immer im Stande zu seyn, viel gutes zu thun, und viel Böses zu verhindern, und auch dieses schien ihm genug zu seyn, um beym Schluß der Action mit dem belohnenden Gedanken, eine schöne Rolle wol gespielt zu haben, vom Theater abzutreten. Jn diesen sanfteinwiegenden Gedanken schlummerte Agathon endlich ein, und schlief noch, als Aristippus des folgen- den Morgens wiederkam, um ihn im Nahmen des Dionys einzuladen, und bey diesem Prinzen aufzuführen. Die Seite, von der sich dieser Philosoph in der ge- welche L 2
Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel. Art verbeſſern; und ihn nach und nach durch die ei-genthuͤmlichen Reizungen der Tugend endlich vollkommen gewinnen koͤnnte. Und geſezt auch, daß es ihm nur auf eine unvollkommene Art gelingen wuͤrde; ſo hoffte er, wofern er ſich nur einmal ſeines Herzens bemeiſtert haben wuͤrde, doch immer im Stande zu ſeyn, viel gutes zu thun, und viel Boͤſes zu verhindern, und auch dieſes ſchien ihm genug zu ſeyn, um beym Schluß der Action mit dem belohnenden Gedanken, eine ſchoͤne Rolle wol geſpielt zu haben, vom Theater abzutreten. Jn dieſen ſanfteinwiegenden Gedanken ſchlummerte Agathon endlich ein, und ſchlief noch, als Ariſtippus des folgen- den Morgens wiederkam, um ihn im Nahmen des Dionys einzuladen, und bey dieſem Prinzen aufzufuͤhren. Die Seite, von der ſich dieſer Philoſoph in der ge- welche L 2
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Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel.
Art verbeſſern; und ihn nach und nach durch die ei-
genthuͤmlichen Reizungen der Tugend endlich vollkommen
gewinnen koͤnnte. Und geſezt auch, daß es ihm nur
auf eine unvollkommene Art gelingen wuͤrde; ſo hoffte
er, wofern er ſich nur einmal ſeines Herzens bemeiſtert
haben wuͤrde, doch immer im Stande zu ſeyn, viel
gutes zu thun, und viel Boͤſes zu verhindern, und auch
dieſes ſchien ihm genug zu ſeyn, um beym Schluß der
Action mit dem belohnenden Gedanken, eine ſchoͤne Rolle
wol geſpielt zu haben, vom Theater abzutreten. Jn
dieſen ſanfteinwiegenden Gedanken ſchlummerte Agathon
endlich ein, und ſchlief noch, als Ariſtippus des folgen-
den Morgens wiederkam, um ihn im Nahmen des
Dionys einzuladen, und bey dieſem Prinzen aufzufuͤhren.
Die Seite, von der ſich dieſer Philoſoph in der ge-
genwaͤrtigen Geſchichte zeigt, ſtimmt mit dem gemeinen
Vorurtheil, welches man gegen ihn gefaßt hat, ſo
wenig uͤberein, als dieſes mit den gewiſſeſten Nachrich-
ten, welche von ſeinem Leben und von ſeinen Meynun-
gen auf uns gekommen ſind. Jn der That ſcheint daſ-
ſelbe ſich mehr auf den Mißverſtand ſeiner Grundſaͤze
und einige aͤrgerliche Maͤhrchen, welche Diogenes von
Laerte und Athenaͤus, zween von den unzuverlaͤſſigſten
Compilatoren in der Welt, ſeinen Feinden nacherzaͤh-
len, als auf irgend etwas zu gruͤnden, welches ihm
unſre Hochachtung mit Recht entziehen koͤnnte. Es hat
zu allen Zeiten eine Art von Leuten gegeben, welche
nirgends als in ihren Schriften tugendhaft ſind; Leute,
welche
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