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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
welche die Verdorbenheit ihres Herzens, und ihre geheimen
Laster durch die Affectation der strengesten Grundsäze in
der Sittenlehre bedeken wollen; moralische Pantomi-
men, qui Curios simulant & Bacchanalia vivunt;
Leute, welche sich das Ansehen einer ausserordentlichen
Delicatesse der Ohren in moralischen Dingen geben, und
von dem blossen Schall des Worts Wollust, mit ei-
nem heiligen Schauer, erröthend -- oder erblassend,
zusammenfahren; kurz, Leute, welche jedermann ver-
achten würde, wenn nicht der grösseste Hauffen dazu ver-
urtheilt wäre, sich durch Masken-Gesichter, Minen,
Geberden, Jnflexionen der Stimme, verdrehte Au-
gen, und -- weisse Schnupftücher betrügen zu lassen.
Diese vortreflichen Leute, (welche wir etwas genauer
beschrieben haben, weil es nicht mehr gebräuchlich ist,
denenjenigen einen Bündel Heu vor die Stirne zu bin-
den, denen man nicht allzunahe kommen darf,) tha-
ten schon damals ihr Bestes, den guten Aristipp für ei-
nen Wollüstling auszuschreyen, dessen ganze Philosophie
darinn bestehe, daß er die Forderungen unsrer sinnli-
chen Triebe zu Grundsäzen gemacht, und die Kunst ge-
mächlich und angenehm zu leben, in ein System gebracht
habe.

Es ist hier der Ort nicht, die Unbilligkeit und den
Ungrund dieses Urtheils zu beweisen; und dieses ist auch
so nöthig nicht, nachdem bereits einer der ehrwürdig-
sten und verdienstvollesten Gelehrten unsrer Zeit, ein
Mann der durch die Eigenschaften seines Verstandes und

Herzens

Agathon.
welche die Verdorbenheit ihres Herzens, und ihre geheimen
Laſter durch die Affectation der ſtrengeſten Grundſaͤze in
der Sittenlehre bedeken wollen; moraliſche Pantomi-
men, qui Curios ſimulant & Bacchanalia vivunt;
Leute, welche ſich das Anſehen einer auſſerordentlichen
Delicateſſe der Ohren in moraliſchen Dingen geben, und
von dem bloſſen Schall des Worts Wolluſt, mit ei-
nem heiligen Schauer, erroͤthend ‒‒ oder erblaſſend,
zuſammenfahren; kurz, Leute, welche jedermann ver-
achten wuͤrde, wenn nicht der groͤſſeſte Hauffen dazu ver-
urtheilt waͤre, ſich durch Masken-Geſichter, Minen,
Geberden, Jnflexionen der Stimme, verdrehte Au-
gen, und ‒‒ weiſſe Schnupftuͤcher betruͤgen zu laſſen.
Dieſe vortreflichen Leute, (welche wir etwas genauer
beſchrieben haben, weil es nicht mehr gebraͤuchlich iſt,
denenjenigen einen Buͤndel Heu vor die Stirne zu bin-
den, denen man nicht allzunahe kommen darf,) tha-
ten ſchon damals ihr Beſtes, den guten Ariſtipp fuͤr ei-
nen Wolluͤſtling auszuſchreyen, deſſen ganze Philoſophie
darinn beſtehe, daß er die Forderungen unſrer ſinnli-
chen Triebe zu Grundſaͤzen gemacht, und die Kunſt ge-
maͤchlich und angenehm zu leben, in ein Syſtem gebracht
habe.

Es iſt hier der Ort nicht, die Unbilligkeit und den
Ungrund dieſes Urtheils zu beweiſen; und dieſes iſt auch
ſo noͤthig nicht, nachdem bereits einer der ehrwuͤrdig-
ſten und verdienſtvolleſten Gelehrten unſrer Zeit, ein
Mann der durch die Eigenſchaften ſeines Verſtandes und

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[164/0166] Agathon. welche die Verdorbenheit ihres Herzens, und ihre geheimen Laſter durch die Affectation der ſtrengeſten Grundſaͤze in der Sittenlehre bedeken wollen; moraliſche Pantomi- men, qui Curios ſimulant & Bacchanalia vivunt; Leute, welche ſich das Anſehen einer auſſerordentlichen Delicateſſe der Ohren in moraliſchen Dingen geben, und von dem bloſſen Schall des Worts Wolluſt, mit ei- nem heiligen Schauer, erroͤthend ‒‒ oder erblaſſend, zuſammenfahren; kurz, Leute, welche jedermann ver- achten wuͤrde, wenn nicht der groͤſſeſte Hauffen dazu ver- urtheilt waͤre, ſich durch Masken-Geſichter, Minen, Geberden, Jnflexionen der Stimme, verdrehte Au- gen, und ‒‒ weiſſe Schnupftuͤcher betruͤgen zu laſſen. Dieſe vortreflichen Leute, (welche wir etwas genauer beſchrieben haben, weil es nicht mehr gebraͤuchlich iſt, denenjenigen einen Buͤndel Heu vor die Stirne zu bin- den, denen man nicht allzunahe kommen darf,) tha- ten ſchon damals ihr Beſtes, den guten Ariſtipp fuͤr ei- nen Wolluͤſtling auszuſchreyen, deſſen ganze Philoſophie darinn beſtehe, daß er die Forderungen unſrer ſinnli- chen Triebe zu Grundſaͤzen gemacht, und die Kunſt ge- maͤchlich und angenehm zu leben, in ein Syſtem gebracht habe. Es iſt hier der Ort nicht, die Unbilligkeit und den Ungrund dieſes Urtheils zu beweiſen; und dieſes iſt auch ſo noͤthig nicht, nachdem bereits einer der ehrwuͤrdig- ſten und verdienſtvolleſten Gelehrten unſrer Zeit, ein Mann der durch die Eigenſchaften ſeines Verſtandes und Herzens

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/166>, abgerufen am 21.11.2024.