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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Zehentes Buch, drittes Capitel.
kleine Bacchidion würde nicht mehr getanzt haben,
und Cleonissa hätte die Ehre gehabt, ihren Plaz einzu-
nehmen, bis er ihrer eben so wol überdrüssig gewor-
den wäre als so vieler andrer. Das wäre alles gewe-
sen. Und gesezt, du hättest auch die Gewalt über ihn
mit ihr theilen müssen; so würdest du ihr wenigstens
das Gleichgewicht gehalten, und noch immer Ansehen
genug behalten haben, viel Gutes zu thun. Dem
Schein nach in gutem Vernehmen mit ihr, würde dir
dein Plaz, und die Vertraulichkeit mit dem Prinzen tau-
send Gelegenheiten gegeben haben, sie, so bald ihre Gunst-
bezeugungen aufgehört hätten, etwas neues für ihn zu
seyn, unvermerkt und mit der besten Art von der Welt
wieder auf die Seite zu schaffen -- Aber ich kenne dich
zu gut, Agathon; du bist nicht dazu gemacht dich zu
Verstellung, Ränken und Hofkünsten herabzulassen; dein
Herz ist zu edel, und wenn ich es sagen darf, deine
Einbildungs-Kraft zu warm, um dich jemals zu der
Art von Klugheit zu gewöhnen, ohne welche es unmög-
lich ist, sich lange in der Gunst der Grossen zu erhalteu.
Auch kenne ich den Hof nicht, welcher werth wäre,
einen Agathon an seiner Spize zu haben. Das alles
hätte ich dir ungefehr vorher sagen können, als ich dich
überreden half, dich mit Dionysen einzulassen; aber es
war besser durch deine eigne Erfahrung davon überzeugt
zu werden. Ziehe dich izt zurük, ehe das Ungewit-
ter, das ich aufsteigen sehe, über dich ausbrechen kan.
Dionys verdient keinen Freund wie du bist. Wie sehr
hättest du dich betrogen, wenn du jemals geglaubt hät-

test,
Q 4

Zehentes Buch, drittes Capitel.
kleine Bacchidion wuͤrde nicht mehr getanzt haben,
und Cleoniſſa haͤtte die Ehre gehabt, ihren Plaz einzu-
nehmen, bis er ihrer eben ſo wol uͤberdruͤſſig gewor-
den waͤre als ſo vieler andrer. Das waͤre alles gewe-
ſen. Und geſezt, du haͤtteſt auch die Gewalt uͤber ihn
mit ihr theilen muͤſſen; ſo wuͤrdeſt du ihr wenigſtens
das Gleichgewicht gehalten, und noch immer Anſehen
genug behalten haben, viel Gutes zu thun. Dem
Schein nach in gutem Vernehmen mit ihr, wuͤrde dir
dein Plaz, und die Vertraulichkeit mit dem Prinzen tau-
ſend Gelegenheiten gegeben haben, ſie, ſo bald ihre Gunſt-
bezeugungen aufgehoͤrt haͤtten, etwas neues fuͤr ihn zu
ſeyn, unvermerkt und mit der beſten Art von der Welt
wieder auf die Seite zu ſchaffen ‒‒ Aber ich kenne dich
zu gut, Agathon; du biſt nicht dazu gemacht dich zu
Verſtellung, Raͤnken und Hofkuͤnſten herabzulaſſen; dein
Herz iſt zu edel, und wenn ich es ſagen darf, deine
Einbildungs-Kraft zu warm, um dich jemals zu der
Art von Klugheit zu gewoͤhnen, ohne welche es unmoͤg-
lich iſt, ſich lange in der Gunſt der Groſſen zu erhalteu.
Auch kenne ich den Hof nicht, welcher werth waͤre,
einen Agathon an ſeiner Spize zu haben. Das alles
haͤtte ich dir ungefehr vorher ſagen koͤnnen, als ich dich
uͤberreden half, dich mit Dionyſen einzulaſſen; aber es
war beſſer durch deine eigne Erfahrung davon uͤberzeugt
zu werden. Ziehe dich izt zuruͤk, ehe das Ungewit-
ter, das ich aufſteigen ſehe, uͤber dich ausbrechen kan.
Dionys verdient keinen Freund wie du biſt. Wie ſehr
haͤtteſt du dich betrogen, wenn du jemals geglaubt haͤt-

teſt,
Q 4
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[247/0249] Zehentes Buch, drittes Capitel. kleine Bacchidion wuͤrde nicht mehr getanzt haben, und Cleoniſſa haͤtte die Ehre gehabt, ihren Plaz einzu- nehmen, bis er ihrer eben ſo wol uͤberdruͤſſig gewor- den waͤre als ſo vieler andrer. Das waͤre alles gewe- ſen. Und geſezt, du haͤtteſt auch die Gewalt uͤber ihn mit ihr theilen muͤſſen; ſo wuͤrdeſt du ihr wenigſtens das Gleichgewicht gehalten, und noch immer Anſehen genug behalten haben, viel Gutes zu thun. Dem Schein nach in gutem Vernehmen mit ihr, wuͤrde dir dein Plaz, und die Vertraulichkeit mit dem Prinzen tau- ſend Gelegenheiten gegeben haben, ſie, ſo bald ihre Gunſt- bezeugungen aufgehoͤrt haͤtten, etwas neues fuͤr ihn zu ſeyn, unvermerkt und mit der beſten Art von der Welt wieder auf die Seite zu ſchaffen ‒‒ Aber ich kenne dich zu gut, Agathon; du biſt nicht dazu gemacht dich zu Verſtellung, Raͤnken und Hofkuͤnſten herabzulaſſen; dein Herz iſt zu edel, und wenn ich es ſagen darf, deine Einbildungs-Kraft zu warm, um dich jemals zu der Art von Klugheit zu gewoͤhnen, ohne welche es unmoͤg- lich iſt, ſich lange in der Gunſt der Groſſen zu erhalteu. Auch kenne ich den Hof nicht, welcher werth waͤre, einen Agathon an ſeiner Spize zu haben. Das alles haͤtte ich dir ungefehr vorher ſagen koͤnnen, als ich dich uͤberreden half, dich mit Dionyſen einzulaſſen; aber es war beſſer durch deine eigne Erfahrung davon uͤberzeugt zu werden. Ziehe dich izt zuruͤk, ehe das Ungewit- ter, das ich aufſteigen ſehe, uͤber dich ausbrechen kan. Dionys verdient keinen Freund wie du biſt. Wie ſehr haͤtteſt du dich betrogen, wenn du jemals geglaubt haͤt- teſt, Q 4

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/249>, abgerufen am 24.11.2024.