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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Zehentes Buch, fünftes Capitel.
"ist es, die Tugend unsers Helden gerade da unter-
"liegen zu sehen, wo sie sich in ihrer grössesten Stärke
"zeigen sollte? - Wie? -- erliegen, weil man Wider-
"stand findet? Die gute Sache aufgeben, weil man,
"und vielleicht ohne Noth, an einem glüklichen Aus-
"gang verzweifelt? Was ist denn die wahre Tugend
"anders, als ein immerwährender Streit mit den Lei-
"denschaften, Thorheiten und Lastern -- in uns, und
"ausser uns?" -- Vortreflich! -- und in Bunyaus
Reise
so wol ausgeführt, meine Herren, daß ihr uns
hier weiter nichts zu sagen braucht. Es ist bedaurlich,
daß unser Held seine Rolle nicht besser behauptet --
Aber allem Ansehen nach, war er wol niemals ein
Held -- und wir hatten Unrecht ihm einen so ehren-
vollen Namen beyzulegen -- "Das eben nicht; er fieng
"vortreflich an; er war ein Held, da er sich den zu-
"dringlichen Liebkosungen der verführischen Pythia ent-
"riß" -- Das konnte die scheue und schaamhafte Un-
schuld der unbärtigen Jugend gethan haben; und liebte
er damals nicht die schöne Psyche? -- "So verdiente
"er doch ein Held genennt zu werden, als er den Muth
"hatte, sich eines verlassenen Unschuldigen gegen eine
"mächtige Parthey anzunehmen?" -- Jhr könntet
vielleicht eben soviel aus Ehrgeiz -- oder aus Haß gegen
einen der Feinde eures Clienten -- oder aus einer ge-
heimen Absicht auf die Gemalin eures Clienten -- oder
um vierzig tausend Livres aus der Casse eures Clienten
thun? -- und ihr hättet in keinem von diesen Fällen
eine Heldenthat gethan. Daß Agathon damals aus

edeln
S 4

Zehentes Buch, fuͤnftes Capitel.
„iſt es, die Tugend unſers Helden gerade da unter-
„liegen zu ſehen, wo ſie ſich in ihrer groͤſſeſten Staͤrke
„zeigen ſollte? ‒ Wie? ‒‒ erliegen, weil man Wider-
„ſtand findet? Die gute Sache aufgeben, weil man,
„und vielleicht ohne Noth, an einem gluͤklichen Aus-
„gang verzweifelt? Was iſt denn die wahre Tugend
„anders, als ein immerwaͤhrender Streit mit den Lei-
„denſchaften, Thorheiten und Laſtern ‒‒ in uns, und
„auſſer uns?„ ‒‒ Vortreflich! ‒‒ und in Bunyaus
Reiſe
ſo wol ausgefuͤhrt, meine Herren, daß ihr uns
hier weiter nichts zu ſagen braucht. Es iſt bedaurlich,
daß unſer Held ſeine Rolle nicht beſſer behauptet ‒‒
Aber allem Anſehen nach, war er wol niemals ein
Held ‒‒ und wir hatten Unrecht ihm einen ſo ehren-
vollen Namen beyzulegen ‒‒ „Das eben nicht; er fieng
„vortreflich an; er war ein Held, da er ſich den zu-
„dringlichen Liebkoſungen der verfuͤhriſchen Pythia ent-
„riß„ ‒‒ Das konnte die ſcheue und ſchaamhafte Un-
ſchuld der unbaͤrtigen Jugend gethan haben; und liebte
er damals nicht die ſchoͤne Pſyche? ‒‒ „So verdiente
„er doch ein Held genennt zu werden, als er den Muth
„hatte, ſich eines verlaſſenen Unſchuldigen gegen eine
„maͤchtige Parthey anzunehmen?„ ‒‒ Jhr koͤnntet
vielleicht eben ſoviel aus Ehrgeiz ‒‒ oder aus Haß gegen
einen der Feinde eures Clienten ‒‒ oder aus einer ge-
heimen Abſicht auf die Gemalin eures Clienten ‒‒ oder
um vierzig tauſend Livres aus der Caſſe eures Clienten
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eine Heldenthat gethan. Daß Agathon damals aus

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S 4
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[279/0281] Zehentes Buch, fuͤnftes Capitel. „iſt es, die Tugend unſers Helden gerade da unter- „liegen zu ſehen, wo ſie ſich in ihrer groͤſſeſten Staͤrke „zeigen ſollte? ‒ Wie? ‒‒ erliegen, weil man Wider- „ſtand findet? Die gute Sache aufgeben, weil man, „und vielleicht ohne Noth, an einem gluͤklichen Aus- „gang verzweifelt? Was iſt denn die wahre Tugend „anders, als ein immerwaͤhrender Streit mit den Lei- „denſchaften, Thorheiten und Laſtern ‒‒ in uns, und „auſſer uns?„ ‒‒ Vortreflich! ‒‒ und in Bunyaus Reiſe ſo wol ausgefuͤhrt, meine Herren, daß ihr uns hier weiter nichts zu ſagen braucht. Es iſt bedaurlich, daß unſer Held ſeine Rolle nicht beſſer behauptet ‒‒ Aber allem Anſehen nach, war er wol niemals ein Held ‒‒ und wir hatten Unrecht ihm einen ſo ehren- vollen Namen beyzulegen ‒‒ „Das eben nicht; er fieng „vortreflich an; er war ein Held, da er ſich den zu- „dringlichen Liebkoſungen der verfuͤhriſchen Pythia ent- „riß„ ‒‒ Das konnte die ſcheue und ſchaamhafte Un- ſchuld der unbaͤrtigen Jugend gethan haben; und liebte er damals nicht die ſchoͤne Pſyche? ‒‒ „So verdiente „er doch ein Held genennt zu werden, als er den Muth „hatte, ſich eines verlaſſenen Unſchuldigen gegen eine „maͤchtige Parthey anzunehmen?„ ‒‒ Jhr koͤnntet vielleicht eben ſoviel aus Ehrgeiz ‒‒ oder aus Haß gegen einen der Feinde eures Clienten ‒‒ oder aus einer ge- heimen Abſicht auf die Gemalin eures Clienten ‒‒ oder um vierzig tauſend Livres aus der Caſſe eures Clienten thun? ‒‒ und ihr haͤttet in keinem von dieſen Faͤllen eine Heldenthat gethan. Daß Agathon damals aus edeln S 4

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/281>, abgerufen am 26.11.2024.