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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
edeln Gesinnungen handelte, wissen wir -- von ihm
selbst; und wir haben Gründe, es ihm zu glauben --
aber er konnte sich mit der grössesten Wahrscheinlichkeit
einen glänzenden Succeß versprechen; und was für ein
Triumph war das für die Ruhmbegierde eines Jüng-
lings von zwanzig Jahren? -- "Nun, so war er doch
"gewiß ein Held, da er gleichmüthig und unerschütter-
"lich sich dem ungerechten Verbannungs-Urtheil der
"Athenienser unterzog, und lieber das äusserste erdul-
"den, als seine Loßsprechung einer Niederträchtigkeit
"zu danken haben wollte! -- So war er's damals,
"da er von sich sagen konnte: "Jch verwieß es der
"Tugend nicht, daß sie mir den Haß und die Verfol-
"gungen der Bösen zugezogen hatte; ich fühlte, daß
"sie sich selbst belohnt." -- Jn der That, er war in
diesem Augenblik groß; aber wir müssen nicht verges-
sen, daß er sich damals in einem ausserordeutlichen
Zustande, auf dem äussersten Grade dieses Enthusias-
mus der Tugend befand, der den Menschen vergessen
macht, daß er nur ein Mensch ist. Diese Art von Hel-
denthum daurt natürlicher Weise nicht länger, als der
Paroxysmus des Affects. Agathon war sich damals,
als er so dachte, einer unbeflekten Tugend bewußt; und
zu was für einem Stolz mußte dieses Gefühl seine
Seele in einem Augenblik aufschwellen, da sich ganz
Athen zusammenverschworen zu haben schien, ihn zu
demüthigen; in einem Augenblik, da dieser Stolz der
ganzen Last seines Unglüks das Gleichgewicht halten
mußte, und ihm den Triumph verschafte, die Herren

über

Agathon.
edeln Geſinnungen handelte, wiſſen wir ‒‒ von ihm
ſelbſt; und wir haben Gruͤnde, es ihm zu glauben ‒‒
aber er konnte ſich mit der groͤſſeſten Wahrſcheinlichkeit
einen glaͤnzenden Succeß verſprechen; und was fuͤr ein
Triumph war das fuͤr die Ruhmbegierde eines Juͤng-
lings von zwanzig Jahren? ‒‒ „Nun, ſo war er doch
„gewiß ein Held, da er gleichmuͤthig und unerſchuͤtter-
„lich ſich dem ungerechten Verbannungs-Urtheil der
„Athenienſer unterzog, und lieber das aͤuſſerſte erdul-
„den, als ſeine Loßſprechung einer Niedertraͤchtigkeit
„zu danken haben wollte! ‒‒ So war er’s damals,
„da er von ſich ſagen konnte: „Jch verwieß es der
„Tugend nicht, daß ſie mir den Haß und die Verfol-
„gungen der Boͤſen zugezogen hatte; ich fuͤhlte, daß
„ſie ſich ſelbſt belohnt.„ ‒‒ Jn der That, er war in
dieſem Augenblik groß; aber wir muͤſſen nicht vergeſ-
ſen, daß er ſich damals in einem auſſerordeutlichen
Zuſtande, auf dem aͤuſſerſten Grade dieſes Enthuſias-
mus der Tugend befand, der den Menſchen vergeſſen
macht, daß er nur ein Menſch iſt. Dieſe Art von Hel-
denthum daurt natuͤrlicher Weiſe nicht laͤnger, als der
Paroxyſmus des Affects. Agathon war ſich damals,
als er ſo dachte, einer unbeflekten Tugend bewußt; und
zu was fuͤr einem Stolz mußte dieſes Gefuͤhl ſeine
Seele in einem Augenblik aufſchwellen, da ſich ganz
Athen zuſammenverſchworen zu haben ſchien, ihn zu
demuͤthigen; in einem Augenblik, da dieſer Stolz der
ganzen Laſt ſeines Ungluͤks das Gleichgewicht halten
mußte, und ihm den Triumph verſchafte, die Herren

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[280/0282] Agathon. edeln Geſinnungen handelte, wiſſen wir ‒‒ von ihm ſelbſt; und wir haben Gruͤnde, es ihm zu glauben ‒‒ aber er konnte ſich mit der groͤſſeſten Wahrſcheinlichkeit einen glaͤnzenden Succeß verſprechen; und was fuͤr ein Triumph war das fuͤr die Ruhmbegierde eines Juͤng- lings von zwanzig Jahren? ‒‒ „Nun, ſo war er doch „gewiß ein Held, da er gleichmuͤthig und unerſchuͤtter- „lich ſich dem ungerechten Verbannungs-Urtheil der „Athenienſer unterzog, und lieber das aͤuſſerſte erdul- „den, als ſeine Loßſprechung einer Niedertraͤchtigkeit „zu danken haben wollte! ‒‒ So war er’s damals, „da er von ſich ſagen konnte: „Jch verwieß es der „Tugend nicht, daß ſie mir den Haß und die Verfol- „gungen der Boͤſen zugezogen hatte; ich fuͤhlte, daß „ſie ſich ſelbſt belohnt.„ ‒‒ Jn der That, er war in dieſem Augenblik groß; aber wir muͤſſen nicht vergeſ- ſen, daß er ſich damals in einem auſſerordeutlichen Zuſtande, auf dem aͤuſſerſten Grade dieſes Enthuſias- mus der Tugend befand, der den Menſchen vergeſſen macht, daß er nur ein Menſch iſt. Dieſe Art von Hel- denthum daurt natuͤrlicher Weiſe nicht laͤnger, als der Paroxyſmus des Affects. Agathon war ſich damals, als er ſo dachte, einer unbeflekten Tugend bewußt; und zu was fuͤr einem Stolz mußte dieſes Gefuͤhl ſeine Seele in einem Augenblik aufſchwellen, da ſich ganz Athen zuſammenverſchworen zu haben ſchien, ihn zu demuͤthigen; in einem Augenblik, da dieſer Stolz der ganzen Laſt ſeines Ungluͤks das Gleichgewicht halten mußte, und ihm den Triumph verſchafte, die Herren uͤber

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/282>, abgerufen am 26.11.2024.