gleich, die Elemente und Grundzüge der werdenden Weltanschauung ahnungsvoll aufzufassen, schon a priori zu einem nichtigen zu machen. Es ist hin¬ gegen Pflicht, sein Bewußtsein zu schärfen und das Ziel ins Auge zu fassen, um nicht die Kraft, wie es so oft geschieht, in unnützen Bestrebungen zu verzehren nach einem Ziel, das uns nicht im Angesicht, sondern im Rücken liegt.
Sieh auf die Zeit, betrachte die nächste Ver¬ gangenheit, erforsche die Gegenwart und beachte, was sich im Kleinen und Großen lebendig regt und den Progressus der Geschichte bildet, beachte vor allen Dingen die Phänomene deines eigenen Geistes, schwärme nicht, aber sei noch weniger stumpfsinnig, reibe dir nur die Augen aus und sieh, was in dir und um dich vorgeht. Dann denke an die längstvergangenen Zeiten, an die Welt vor einem Halbtausend von Jahren, an die Menschen und die Erscheinungen, welche jene Zeit hervorrief, und vergleiche sie mit den Menschen und Erscheinungen in der Gegenwart; tritt dir dann nicht der schlagendste Kontrast entgegen, magst du dann noch glauben oder hoffen, jene Zeit könne sich auf eine Art, durch eine Art nur wieder er¬ neuern, so sei überzeugt, du bist ein Nachtwandler unter den Lebendigen und kannst als Poet die schönsten Träume haben und als Prediger die feu¬
gleich, die Elemente und Grundzuͤge der werdenden Weltanſchauung ahnungsvoll aufzufaſſen, ſchon a priori zu einem nichtigen zu machen. Es iſt hin¬ gegen Pflicht, ſein Bewußtſein zu ſchaͤrfen und das Ziel ins Auge zu faſſen, um nicht die Kraft, wie es ſo oft geſchieht, in unnuͤtzen Beſtrebungen zu verzehren nach einem Ziel, das uns nicht im Angeſicht, ſondern im Ruͤcken liegt.
Sieh auf die Zeit, betrachte die naͤchſte Ver¬ gangenheit, erforſche die Gegenwart und beachte, was ſich im Kleinen und Großen lebendig regt und den Progreſſus der Geſchichte bildet, beachte vor allen Dingen die Phaͤnomene deines eigenen Geiſtes, ſchwaͤrme nicht, aber ſei noch weniger ſtumpfſinnig, reibe dir nur die Augen aus und ſieh, was in dir und um dich vorgeht. Dann denke an die laͤngſtvergangenen Zeiten, an die Welt vor einem Halbtauſend von Jahren, an die Menſchen und die Erſcheinungen, welche jene Zeit hervorrief, und vergleiche ſie mit den Menſchen und Erſcheinungen in der Gegenwart; tritt dir dann nicht der ſchlagendſte Kontraſt entgegen, magſt du dann noch glauben oder hoffen, jene Zeit koͤnne ſich auf eine Art, durch eine Art nur wieder er¬ neuern, ſo ſei uͤberzeugt, du biſt ein Nachtwandler unter den Lebendigen und kannſt als Poet die ſchoͤnſten Traͤume haben und als Prediger die feu¬
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Weltanſchauung ahnungsvoll aufzufaſſen, ſchon a
priori zu einem nichtigen zu machen. Es iſt hin¬
gegen Pflicht, ſein Bewußtſein zu ſchaͤrfen und
das Ziel ins Auge zu faſſen, um nicht die Kraft,
wie es ſo oft geſchieht, in unnuͤtzen Beſtrebungen
zu verzehren nach einem Ziel, das uns nicht im
Angeſicht, ſondern im Ruͤcken liegt.
Sieh auf die Zeit, betrachte die naͤchſte Ver¬
gangenheit, erforſche die Gegenwart und beachte,
was ſich im Kleinen und Großen lebendig regt
und den Progreſſus der Geſchichte bildet, beachte
vor allen Dingen die Phaͤnomene deines eigenen
Geiſtes, ſchwaͤrme nicht, aber ſei noch weniger
ſtumpfſinnig, reibe dir nur die Augen aus und
ſieh, was in dir und um dich vorgeht. Dann
denke an die laͤngſtvergangenen Zeiten, an die
Welt vor einem Halbtauſend von Jahren, an die
Menſchen und die Erſcheinungen, welche jene Zeit
hervorrief, und vergleiche ſie mit den Menſchen
und Erſcheinungen in der Gegenwart; tritt dir
dann nicht der ſchlagendſte Kontraſt entgegen, magſt
du dann noch glauben oder hoffen, jene Zeit koͤnne
ſich auf eine Art, durch eine Art nur wieder er¬
neuern, ſo ſei uͤberzeugt, du biſt ein Nachtwandler
unter den Lebendigen und kannſt als Poet die
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/134>, abgerufen am 21.11.2024.
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