dem Gefallenden und Mißfallenden im nahen Ver¬ hältniß steht, so fehlt uns doch noch öfter der be¬ stimmte Gegenstand dafür und es schwebt nur als ein dunkles Gefühl in uns, ohne uns, wie das Schöne, als Gegenstand entgegenzutreten und sich der Beurtheilung zu unterwerfen. Das Ange¬ nehme ergötzt sich mit augenblicklichen Gefühlen, die, sobald man sie aufklärt, in Nichts zurücktre¬ ten und verschwinden, dagegen ist das Schöne, je länger man es betrachtet, je schärfer man seine Natur untersucht, desto lebendiger und nachhalti¬ ger von Wirkung auf das Gefühl, so wie nur der Kenner der Kunst den vollsten Genuß vom Anschauen der Meisterwerke hat und dem Kenner der Musik tausend Fibern im Ohr berührt wer¬ den bei Anhörung eines wohlexerzirten Orchesters, gegen eine Fiber im Ohr des Unkundigen. Nur das Schöne, wenn man den Ausdruck genau neh¬ men will, nur das Schöne gefällt, nicht das Nütz¬ liche, nicht einmal das Angenehme, obwohl dieses auf unmerklichen Wegen sich zum Schönen stei¬ gern kann; besonders wenn es den Sinn des Ge¬ sichts affizirt, wie bei den Farben, als bloßen Pigmenten, oder bei einem Stück blauer Luft, oder grünem Rasen und dergleichen. Doch ist der Sprachgebrauch hierin ziemlich lax und obwohl Niemand sagen wird, daß ihm der Zirkel gefällt,
dem Gefallenden und Mißfallenden im nahen Ver¬ haͤltniß ſteht, ſo fehlt uns doch noch oͤfter der be¬ ſtimmte Gegenſtand dafuͤr und es ſchwebt nur als ein dunkles Gefuͤhl in uns, ohne uns, wie das Schoͤne, als Gegenſtand entgegenzutreten und ſich der Beurtheilung zu unterwerfen. Das Ange¬ nehme ergoͤtzt ſich mit augenblicklichen Gefuͤhlen, die, ſobald man ſie aufklaͤrt, in Nichts zuruͤcktre¬ ten und verſchwinden, dagegen iſt das Schoͤne, je laͤnger man es betrachtet, je ſchaͤrfer man ſeine Natur unterſucht, deſto lebendiger und nachhalti¬ ger von Wirkung auf das Gefuͤhl, ſo wie nur der Kenner der Kunſt den vollſten Genuß vom Anſchauen der Meiſterwerke hat und dem Kenner der Muſik tauſend Fibern im Ohr beruͤhrt wer¬ den bei Anhoͤrung eines wohlexerzirten Orcheſters, gegen eine Fiber im Ohr des Unkundigen. Nur das Schoͤne, wenn man den Ausdruck genau neh¬ men will, nur das Schoͤne gefaͤllt, nicht das Nuͤtz¬ liche, nicht einmal das Angenehme, obwohl dieſes auf unmerklichen Wegen ſich zum Schoͤnen ſtei¬ gern kann; beſonders wenn es den Sinn des Ge¬ ſichts affizirt, wie bei den Farben, als bloßen Pigmenten, oder bei einem Stuͤck blauer Luft, oder gruͤnem Raſen und dergleichen. Doch iſt der Sprachgebrauch hierin ziemlich lax und obwohl Niemand ſagen wird, daß ihm der Zirkel gefaͤllt,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0164"n="150"/>
dem Gefallenden und Mißfallenden im nahen Ver¬<lb/>
haͤltniß ſteht, ſo fehlt uns doch noch oͤfter der be¬<lb/>ſtimmte Gegenſtand dafuͤr und es ſchwebt nur als<lb/>
ein dunkles Gefuͤhl in uns, ohne uns, wie das<lb/>
Schoͤne, als Gegenſtand entgegenzutreten und ſich<lb/>
der Beurtheilung zu unterwerfen. Das Ange¬<lb/>
nehme ergoͤtzt ſich mit augenblicklichen Gefuͤhlen,<lb/>
die, ſobald man ſie aufklaͤrt, in Nichts zuruͤcktre¬<lb/>
ten und verſchwinden, dagegen iſt das Schoͤne,<lb/>
je laͤnger man es betrachtet, je ſchaͤrfer man ſeine<lb/>
Natur unterſucht, deſto lebendiger und nachhalti¬<lb/>
ger von Wirkung auf das Gefuͤhl, ſo wie nur<lb/>
der Kenner der Kunſt den vollſten Genuß vom<lb/>
Anſchauen der Meiſterwerke hat und dem Kenner<lb/>
der Muſik tauſend Fibern im Ohr beruͤhrt wer¬<lb/>
den bei Anhoͤrung eines wohlexerzirten Orcheſters,<lb/>
gegen eine Fiber im Ohr des Unkundigen. Nur<lb/>
das Schoͤne, wenn man den Ausdruck genau neh¬<lb/>
men will, nur das Schoͤne gefaͤllt, nicht das Nuͤtz¬<lb/>
liche, nicht einmal das Angenehme, obwohl dieſes<lb/>
auf unmerklichen Wegen ſich zum Schoͤnen ſtei¬<lb/>
gern kann; beſonders wenn es den Sinn des Ge¬<lb/>ſichts affizirt, wie bei den Farben, als bloßen<lb/>
Pigmenten, oder bei einem Stuͤck blauer Luft,<lb/>
oder gruͤnem Raſen und dergleichen. Doch iſt der<lb/>
Sprachgebrauch hierin ziemlich lax und obwohl<lb/>
Niemand ſagen wird, daß ihm der Zirkel gefaͤllt,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[150/0164]
dem Gefallenden und Mißfallenden im nahen Ver¬
haͤltniß ſteht, ſo fehlt uns doch noch oͤfter der be¬
ſtimmte Gegenſtand dafuͤr und es ſchwebt nur als
ein dunkles Gefuͤhl in uns, ohne uns, wie das
Schoͤne, als Gegenſtand entgegenzutreten und ſich
der Beurtheilung zu unterwerfen. Das Ange¬
nehme ergoͤtzt ſich mit augenblicklichen Gefuͤhlen,
die, ſobald man ſie aufklaͤrt, in Nichts zuruͤcktre¬
ten und verſchwinden, dagegen iſt das Schoͤne,
je laͤnger man es betrachtet, je ſchaͤrfer man ſeine
Natur unterſucht, deſto lebendiger und nachhalti¬
ger von Wirkung auf das Gefuͤhl, ſo wie nur
der Kenner der Kunſt den vollſten Genuß vom
Anſchauen der Meiſterwerke hat und dem Kenner
der Muſik tauſend Fibern im Ohr beruͤhrt wer¬
den bei Anhoͤrung eines wohlexerzirten Orcheſters,
gegen eine Fiber im Ohr des Unkundigen. Nur
das Schoͤne, wenn man den Ausdruck genau neh¬
men will, nur das Schoͤne gefaͤllt, nicht das Nuͤtz¬
liche, nicht einmal das Angenehme, obwohl dieſes
auf unmerklichen Wegen ſich zum Schoͤnen ſtei¬
gern kann; beſonders wenn es den Sinn des Ge¬
ſichts affizirt, wie bei den Farben, als bloßen
Pigmenten, oder bei einem Stuͤck blauer Luft,
oder gruͤnem Raſen und dergleichen. Doch iſt der
Sprachgebrauch hierin ziemlich lax und obwohl
Niemand ſagen wird, daß ihm der Zirkel gefaͤllt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/164>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.