Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Stoffes, das Schöne zur Wirksamkeit gelangt.
Ich habe der verfehlten Definition des Schönen
gedacht und bin nicht gesonnen, einen gleich un¬
glücklichen Versuch zu machen, in drei, vier ärm¬
liche Worte den mysteriösen Grund und Reich¬
thum der Schönheit einzufassen. Allein ich hoffe,
sowohl mich zu verstehen, als verstanden zu wer¬
den, wenn ich mich darüber so ausdrücke:

Die Schönheit, oder wie man das nennen
mag, was den Menschen als das Gelungenste in
Natur und Kunst, kräftig, reizend und wohlgefällig
in die Augen springt, ist zunächst nichts Ideelles
und Abstraktes, sondern allemal etwas Konkretes
und Besonderes, das an einem bestimmten Stoffe,
sei's That, sei's Marmor, sei's Fleisch und Blut
zur Erscheinung kommt. Eben so individuell, wie
die Schönheit selber, muß das Auge sein, das
sich ihrer erfreut und so sehen wir es im Wesen
der Schönheit selbst begründet, daß sie nicht Allen
schön ist und daß sie in verschiedenen Anschauungs¬
kreisen verschiedene Gefühle erregt, verschiedene
Urtheile hervorruft, wenn man auch Alles das
vom Geschmack der Völker und des Einzelnen ab¬
rechnet, was seiner Anschauungsweise nur zufällig
und außerwesentlich ist, wie dem Chinesen der
Geschmack für winzig kleine Füße. So erscheint
uns also zunächst die Schönheit vom historischen

Stoffes, das Schoͤne zur Wirkſamkeit gelangt.
Ich habe der verfehlten Definition des Schoͤnen
gedacht und bin nicht geſonnen, einen gleich un¬
gluͤcklichen Verſuch zu machen, in drei, vier aͤrm¬
liche Worte den myſterioͤſen Grund und Reich¬
thum der Schoͤnheit einzufaſſen. Allein ich hoffe,
ſowohl mich zu verſtehen, als verſtanden zu wer¬
den, wenn ich mich daruͤber ſo ausdruͤcke:

Die Schoͤnheit, oder wie man das nennen
mag, was den Menſchen als das Gelungenſte in
Natur und Kunſt, kraͤftig, reizend und wohlgefaͤllig
in die Augen ſpringt, iſt zunaͤchſt nichts Ideelles
und Abſtraktes, ſondern allemal etwas Konkretes
und Beſonderes, das an einem beſtimmten Stoffe,
ſei's That, ſei's Marmor, ſei's Fleiſch und Blut
zur Erſcheinung kommt. Eben ſo individuell, wie
die Schoͤnheit ſelber, muß das Auge ſein, das
ſich ihrer erfreut und ſo ſehen wir es im Weſen
der Schoͤnheit ſelbſt begruͤndet, daß ſie nicht Allen
ſchoͤn iſt und daß ſie in verſchiedenen Anſchauungs¬
kreiſen verſchiedene Gefuͤhle erregt, verſchiedene
Urtheile hervorruft, wenn man auch Alles das
vom Geſchmack der Voͤlker und des Einzelnen ab¬
rechnet, was ſeiner Anſchauungsweiſe nur zufaͤllig
und außerweſentlich iſt, wie dem Chineſen der
Geſchmack fuͤr winzig kleine Fuͤße. So erſcheint
uns alſo zunaͤchſt die Schoͤnheit vom hiſtoriſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0200" n="186"/>
Stoffes, das Scho&#x0364;ne zur Wirk&#x017F;amkeit gelangt.<lb/>
Ich habe der verfehlten Definition des Scho&#x0364;nen<lb/>
gedacht und bin nicht ge&#x017F;onnen, einen gleich un¬<lb/>
glu&#x0364;cklichen Ver&#x017F;uch zu machen, in drei, vier a&#x0364;rm¬<lb/>
liche Worte den my&#x017F;terio&#x0364;&#x017F;en Grund und Reich¬<lb/>
thum der Scho&#x0364;nheit einzufa&#x017F;&#x017F;en. Allein ich hoffe,<lb/>
&#x017F;owohl mich zu ver&#x017F;tehen, als ver&#x017F;tanden zu wer¬<lb/>
den, wenn ich mich daru&#x0364;ber &#x017F;o ausdru&#x0364;cke:</p><lb/>
        <p>Die Scho&#x0364;nheit, oder wie man das nennen<lb/>
mag, was den Men&#x017F;chen als das Gelungen&#x017F;te in<lb/>
Natur und Kun&#x017F;t, kra&#x0364;ftig, reizend und wohlgefa&#x0364;llig<lb/>
in die Augen &#x017F;pringt, i&#x017F;t zuna&#x0364;ch&#x017F;t nichts Ideelles<lb/>
und Ab&#x017F;traktes, &#x017F;ondern allemal etwas Konkretes<lb/>
und Be&#x017F;onderes, das an einem be&#x017F;timmten Stoffe,<lb/>
&#x017F;ei's That, &#x017F;ei's Marmor, &#x017F;ei's Flei&#x017F;ch und Blut<lb/>
zur Er&#x017F;cheinung kommt. Eben &#x017F;o individuell, wie<lb/>
die Scho&#x0364;nheit &#x017F;elber, muß das Auge &#x017F;ein, das<lb/>
&#x017F;ich ihrer erfreut und &#x017F;o &#x017F;ehen wir es im We&#x017F;en<lb/>
der Scho&#x0364;nheit &#x017F;elb&#x017F;t begru&#x0364;ndet, daß &#x017F;ie nicht Allen<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n i&#x017F;t und daß &#x017F;ie in ver&#x017F;chiedenen An&#x017F;chauungs¬<lb/>
krei&#x017F;en ver&#x017F;chiedene Gefu&#x0364;hle erregt, ver&#x017F;chiedene<lb/>
Urtheile hervorruft, wenn man auch Alles das<lb/>
vom Ge&#x017F;chmack der Vo&#x0364;lker und des Einzelnen ab¬<lb/>
rechnet, was &#x017F;einer An&#x017F;chauungswei&#x017F;e nur zufa&#x0364;llig<lb/>
und außerwe&#x017F;entlich i&#x017F;t, wie dem Chine&#x017F;en der<lb/>
Ge&#x017F;chmack fu&#x0364;r winzig kleine Fu&#x0364;ße. So er&#x017F;cheint<lb/>
uns al&#x017F;o zuna&#x0364;ch&#x017F;t die Scho&#x0364;nheit vom hi&#x017F;tori&#x017F;chen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0200] Stoffes, das Schoͤne zur Wirkſamkeit gelangt. Ich habe der verfehlten Definition des Schoͤnen gedacht und bin nicht geſonnen, einen gleich un¬ gluͤcklichen Verſuch zu machen, in drei, vier aͤrm¬ liche Worte den myſterioͤſen Grund und Reich¬ thum der Schoͤnheit einzufaſſen. Allein ich hoffe, ſowohl mich zu verſtehen, als verſtanden zu wer¬ den, wenn ich mich daruͤber ſo ausdruͤcke: Die Schoͤnheit, oder wie man das nennen mag, was den Menſchen als das Gelungenſte in Natur und Kunſt, kraͤftig, reizend und wohlgefaͤllig in die Augen ſpringt, iſt zunaͤchſt nichts Ideelles und Abſtraktes, ſondern allemal etwas Konkretes und Beſonderes, das an einem beſtimmten Stoffe, ſei's That, ſei's Marmor, ſei's Fleiſch und Blut zur Erſcheinung kommt. Eben ſo individuell, wie die Schoͤnheit ſelber, muß das Auge ſein, das ſich ihrer erfreut und ſo ſehen wir es im Weſen der Schoͤnheit ſelbſt begruͤndet, daß ſie nicht Allen ſchoͤn iſt und daß ſie in verſchiedenen Anſchauungs¬ kreiſen verſchiedene Gefuͤhle erregt, verſchiedene Urtheile hervorruft, wenn man auch Alles das vom Geſchmack der Voͤlker und des Einzelnen ab¬ rechnet, was ſeiner Anſchauungsweiſe nur zufaͤllig und außerweſentlich iſt, wie dem Chineſen der Geſchmack fuͤr winzig kleine Fuͤße. So erſcheint uns alſo zunaͤchſt die Schoͤnheit vom hiſtoriſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/200
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/200>, abgerufen am 21.11.2024.