die Natur nicht eben so gut Begriffe enthielte, als das philosophische Hirn, wie sollte der Mensch zum Begriff und Verständniß der Natur gelangen. Bleibt es doch unumstößlich wahr, daß das Fremde das Fremde nicht begreift, daß nur Gleiches von Gleichem erkannt wird, daß die Seele nichts wis¬ sen könnte von den Dingen, wenn die Dinge nicht seelisch, seelischer Natur, seelischen Ursprungs wä¬ ren. Wodurch unterscheidet sich denn die Wirk¬ samkeit der Naturdinge von der Wirksamkeit un¬ seres Geistes? Durch das Bewußtsein, jene Sonne, die auf den niedersten Stufen der Natur sich hin¬ ter dem Horizont verbirgt und nach graduellen Dämmerungen leuchtend in der Seele des Men¬ schen hervortritt. Die Natur stellt keine Reflexio¬ nen an. Bei der Rose ist der Begriff zugleich die That, der Entwurf die Ausführung. Daher ist auch sinnliche Anschauung Anfang und Ende der Naturforschung. Der Physiolog ergreift mit dem Auge den verkörperten Gedanken der Natur¬ gegenstände, den Begriff, die Operationen der Na¬ tur in ihren immanenten Urtheilen und Schlüssen; er hütet sich weislich, seine eigenen Begriffe, Ur¬ theile und Schlüsse der Natur unterzuschieben. So z. B. sieht ein Goethe den generellen Pflan¬ zenbegriff im Blatt der Pflanze, die Pflanze ist ihm Wiederholung des Blattes, das sich periodisch
die Natur nicht eben ſo gut Begriffe enthielte, als das philoſophiſche Hirn, wie ſollte der Menſch zum Begriff und Verſtaͤndniß der Natur gelangen. Bleibt es doch unumſtoͤßlich wahr, daß das Fremde das Fremde nicht begreift, daß nur Gleiches von Gleichem erkannt wird, daß die Seele nichts wiſ¬ ſen koͤnnte von den Dingen, wenn die Dinge nicht ſeeliſch, ſeeliſcher Natur, ſeeliſchen Urſprungs waͤ¬ ren. Wodurch unterſcheidet ſich denn die Wirk¬ ſamkeit der Naturdinge von der Wirkſamkeit un¬ ſeres Geiſtes? Durch das Bewußtſein, jene Sonne, die auf den niederſten Stufen der Natur ſich hin¬ ter dem Horizont verbirgt und nach graduellen Daͤmmerungen leuchtend in der Seele des Men¬ ſchen hervortritt. Die Natur ſtellt keine Reflexio¬ nen an. Bei der Roſe iſt der Begriff zugleich die That, der Entwurf die Ausfuͤhrung. Daher iſt auch ſinnliche Anſchauung Anfang und Ende der Naturforſchung. Der Phyſiolog ergreift mit dem Auge den verkoͤrperten Gedanken der Natur¬ gegenſtaͤnde, den Begriff, die Operationen der Na¬ tur in ihren immanenten Urtheilen und Schluͤſſen; er huͤtet ſich weislich, ſeine eigenen Begriffe, Ur¬ theile und Schluͤſſe der Natur unterzuſchieben. So z. B. ſieht ein Goethe den generellen Pflan¬ zenbegriff im Blatt der Pflanze, die Pflanze iſt ihm Wiederholung des Blattes, das ſich periodiſch
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die Natur nicht eben ſo gut Begriffe enthielte, als
das philoſophiſche Hirn, wie ſollte der Menſch
zum Begriff und Verſtaͤndniß der Natur gelangen.
Bleibt es doch unumſtoͤßlich wahr, daß das Fremde
das Fremde nicht begreift, daß nur Gleiches von
Gleichem erkannt wird, daß die Seele nichts wiſ¬
ſen koͤnnte von den Dingen, wenn die Dinge nicht
ſeeliſch, ſeeliſcher Natur, ſeeliſchen Urſprungs waͤ¬
ren. Wodurch unterſcheidet ſich denn die Wirk¬
ſamkeit der Naturdinge von der Wirkſamkeit un¬
ſeres Geiſtes? Durch das Bewußtſein, jene Sonne,
die auf den niederſten Stufen der Natur ſich hin¬
ter dem Horizont verbirgt und nach graduellen
Daͤmmerungen leuchtend in der Seele des Men¬
ſchen hervortritt. Die Natur ſtellt keine Reflexio¬
nen an. Bei der Roſe iſt der Begriff zugleich
die That, der Entwurf die Ausfuͤhrung. Daher
iſt auch ſinnliche Anſchauung Anfang und Ende
der Naturforſchung. Der Phyſiolog ergreift mit
dem Auge den verkoͤrperten Gedanken der Natur¬
gegenſtaͤnde, den Begriff, die Operationen der Na¬
tur in ihren immanenten Urtheilen und Schluͤſſen;
er huͤtet ſich weislich, ſeine eigenen Begriffe, Ur¬
theile und Schluͤſſe der Natur unterzuſchieben.
So z. B. ſieht ein Goethe den generellen Pflan¬
zenbegriff im Blatt der Pflanze, die Pflanze iſt
ihm Wiederholung des Blattes, das ſich periodiſch
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/214>, abgerufen am 21.11.2024.
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