successive entfaltet und schließt, Stängel, Knoten, Blüthe und Frucht bildet und so an sich selbst die Urtheile und Schlüsse vornimmt, die der beob¬ achtende Physiolog nur zu wiederholen und gleich¬ sam in menschliche Sprache zu übersetzen hat. Selbst die rohe Materie trachtet ja nach Einheit und Gestaltung, sie nimmt stereometrische Formen an, die dem Reich der Begriffe angehören und etwas Geistiges in der verhärtetsten Materie reprä¬ sentiren. "Den Gestirnen," sagt Schelling, "ist die erhabenste Zahl und Meßkunst eingeboren, die sie ohne einen Begriff derselben in ihren Bewegungen ausüben; deutlicher, obwohl ihnen selbst unfaßlich erscheint die lebendige Erkenntniß in Thieren, welche wir unzählige Wirkungen hervorbringen sehen, die viel herrlicher sind, als sie selbst; der Vogel, der von Musik berauscht in seelenvollen Tönen sich selbst übertrifft, das kleine, kunstbegabte Geschöpf, das ohne Uebung und Unterricht leichte Werke der Architektur vollbringt, alle aber geleitet von einem übermächtigen Geist, der schon in einzelnen Bli¬ tzen von Erkenntniß hervorleuchtet."
Es ist derselbe Geist, der im Menschen als Freiheit erscheint. Schon in den Naturwesen be¬ merken wir die Thätigkeit, welche über die Exi¬ stenz des Thieres hinausgeht, welche nicht blos im Innern Knochen baut und die äußere Haut mit
ſucceſſive entfaltet und ſchließt, Staͤngel, Knoten, Bluͤthe und Frucht bildet und ſo an ſich ſelbſt die Urtheile und Schluͤſſe vornimmt, die der beob¬ achtende Phyſiolog nur zu wiederholen und gleich¬ ſam in menſchliche Sprache zu uͤberſetzen hat. Selbſt die rohe Materie trachtet ja nach Einheit und Geſtaltung, ſie nimmt ſtereometriſche Formen an, die dem Reich der Begriffe angehoͤren und etwas Geiſtiges in der verhaͤrtetſten Materie repraͤ¬ ſentiren. „Den Geſtirnen,“ ſagt Schelling, „iſt die erhabenſte Zahl und Meßkunſt eingeboren, die ſie ohne einen Begriff derſelben in ihren Bewegungen ausuͤben; deutlicher, obwohl ihnen ſelbſt unfaßlich erſcheint die lebendige Erkenntniß in Thieren, welche wir unzaͤhlige Wirkungen hervorbringen ſehen, die viel herrlicher ſind, als ſie ſelbſt; der Vogel, der von Muſik berauſcht in ſeelenvollen Toͤnen ſich ſelbſt uͤbertrifft, das kleine, kunſtbegabte Geſchoͤpf, das ohne Uebung und Unterricht leichte Werke der Architektur vollbringt, alle aber geleitet von einem uͤbermaͤchtigen Geiſt, der ſchon in einzelnen Bli¬ tzen von Erkenntniß hervorleuchtet.“
Es iſt derſelbe Geiſt, der im Menſchen als Freiheit erſcheint. Schon in den Naturweſen be¬ merken wir die Thaͤtigkeit, welche uͤber die Exi¬ ſtenz des Thieres hinausgeht, welche nicht blos im Innern Knochen baut und die aͤußere Haut mit
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[201/0215]
ſucceſſive entfaltet und ſchließt, Staͤngel, Knoten,
Bluͤthe und Frucht bildet und ſo an ſich ſelbſt
die Urtheile und Schluͤſſe vornimmt, die der beob¬
achtende Phyſiolog nur zu wiederholen und gleich¬
ſam in menſchliche Sprache zu uͤberſetzen hat.
Selbſt die rohe Materie trachtet ja nach Einheit
und Geſtaltung, ſie nimmt ſtereometriſche Formen
an, die dem Reich der Begriffe angehoͤren und
etwas Geiſtiges in der verhaͤrtetſten Materie repraͤ¬
ſentiren. „Den Geſtirnen,“ ſagt Schelling, „iſt die
erhabenſte Zahl und Meßkunſt eingeboren, die ſie
ohne einen Begriff derſelben in ihren Bewegungen
ausuͤben; deutlicher, obwohl ihnen ſelbſt unfaßlich
erſcheint die lebendige Erkenntniß in Thieren, welche
wir unzaͤhlige Wirkungen hervorbringen ſehen, die
viel herrlicher ſind, als ſie ſelbſt; der Vogel, der
von Muſik berauſcht in ſeelenvollen Toͤnen ſich
ſelbſt uͤbertrifft, das kleine, kunſtbegabte Geſchoͤpf,
das ohne Uebung und Unterricht leichte Werke der
Architektur vollbringt, alle aber geleitet von einem
uͤbermaͤchtigen Geiſt, der ſchon in einzelnen Bli¬
tzen von Erkenntniß hervorleuchtet.“
Es iſt derſelbe Geiſt, der im Menſchen als
Freiheit erſcheint. Schon in den Naturweſen be¬
merken wir die Thaͤtigkeit, welche uͤber die Exi¬
ſtenz des Thieres hinausgeht, welche nicht blos im
Innern Knochen baut und die aͤußere Haut mit
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/215>, abgerufen am 21.11.2024.
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