sondern anregen, nichts als anregen. Daher wirkt die Musik nie bestimmt, wie der Dichter, sondern unbestimmt; daher artet die Bemühung, einzelne Begebenheiten und Erscheinungen der Na¬ tur in der Musik nachzuahmen z. B. das Klap¬ pern der Mühlen, das Schnurren der Räder, das Knirschen der Zähne u. s. w. in lächerliche und unerträgliche Spielerei aus. Die Musik darf nie aus dem reinen Aether herabsinken und ihren Fuß auf den glatten Boden der Wirklichkeit setzen. Unsere Gefühle begegnen ihr von selbst, wir tau¬ chen uns in ihrem reinen, dunkelwogenden Strom, wir trinken ihre Töne und stillen und reinigen uns in ihren harmonischen Fluthen.
Man kann die Tonkunst unter den Künsten die freieste nennen, weil sie am Unmittelbarsten sich unserer Seele, unserer Einbildungskraft be¬ mächtigt und mit den musikalischen Formen der Schönheit anfüllt, ohne durch das Verstandesge¬ biet der Begriffe und noch weniger durch die Welt der wirklichen Anschauungen hindurchzugehen. In ihr verbindet sich am Leichtesten das Individuelle mit dem Idealen, in ihr drückt sich am Fühlbar¬ sten das Unendliche durch das Endliche aus.
Daß die Töne, sagt Jean Paul, die in einem dunkeln Mondlicht von Kräften ohne Körper unser Herz umfließen, die unsere Seele so verdoppeln,
ſondern anregen, nichts als anregen. Daher wirkt die Muſik nie beſtimmt, wie der Dichter, ſondern unbeſtimmt; daher artet die Bemuͤhung, einzelne Begebenheiten und Erſcheinungen der Na¬ tur in der Muſik nachzuahmen z. B. das Klap¬ pern der Muͤhlen, das Schnurren der Raͤder, das Knirſchen der Zaͤhne u. ſ. w. in laͤcherliche und unertraͤgliche Spielerei aus. Die Muſik darf nie aus dem reinen Aether herabſinken und ihren Fuß auf den glatten Boden der Wirklichkeit ſetzen. Unſere Gefuͤhle begegnen ihr von ſelbſt, wir tau¬ chen uns in ihrem reinen, dunkelwogenden Strom, wir trinken ihre Toͤne und ſtillen und reinigen uns in ihren harmoniſchen Fluthen.
Man kann die Tonkunſt unter den Kuͤnſten die freieſte nennen, weil ſie am Unmittelbarſten ſich unſerer Seele, unſerer Einbildungskraft be¬ maͤchtigt und mit den muſikaliſchen Formen der Schoͤnheit anfuͤllt, ohne durch das Verſtandesge¬ biet der Begriffe und noch weniger durch die Welt der wirklichen Anſchauungen hindurchzugehen. In ihr verbindet ſich am Leichteſten das Individuelle mit dem Idealen, in ihr druͤckt ſich am Fuͤhlbar¬ ſten das Unendliche durch das Endliche aus.
Daß die Toͤne, ſagt Jean Paul, die in einem dunkeln Mondlicht von Kraͤften ohne Koͤrper unſer Herz umfließen, die unſere Seele ſo verdoppeln,
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ſondern anregen, nichts als anregen. Daher
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tur in der Muſik nachzuahmen z. B. das Klap¬
pern der Muͤhlen, das Schnurren der Raͤder, das
Knirſchen der Zaͤhne u. ſ. w. in laͤcherliche und
unertraͤgliche Spielerei aus. Die Muſik darf nie
aus dem reinen Aether herabſinken und ihren Fuß
auf den glatten Boden der Wirklichkeit ſetzen.
Unſere Gefuͤhle begegnen ihr von ſelbſt, wir tau¬
chen uns in ihrem reinen, dunkelwogenden Strom,
wir trinken ihre Toͤne und ſtillen und reinigen uns
in ihren harmoniſchen Fluthen.
Man kann die Tonkunſt unter den Kuͤnſten
die freieſte nennen, weil ſie am Unmittelbarſten
ſich unſerer Seele, unſerer Einbildungskraft be¬
maͤchtigt und mit den muſikaliſchen Formen der
Schoͤnheit anfuͤllt, ohne durch das Verſtandesge¬
biet der Begriffe und noch weniger durch die Welt
der wirklichen Anſchauungen hindurchzugehen. In
ihr verbindet ſich am Leichteſten das Individuelle
mit dem Idealen, in ihr druͤckt ſich am Fuͤhlbar¬
ſten das Unendliche durch das Endliche aus.
Daß die Toͤne, ſagt Jean Paul, die in einem
dunkeln Mondlicht von Kraͤften ohne Koͤrper unſer
Herz umfließen, die unſere Seele ſo verdoppeln,
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/235>, abgerufen am 21.11.2024.
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