Goethe's Götz von Berlichingen, nach welchem einzigen Schauspiel die ungeheure Fluth der Rit¬ terromane sich erhob, wie nach Schiller's erstem Produkt, den Räubern, die eben so starke Litera¬ tur der Räuberromane Deutschland überschwemmte. Goethe's, des Dramendichters Würdigung, Goe¬ the's Bedeutung für seine Zeit ist es nun beson¬ ders, was ich mir in diesem Abschnitt zur Aufgabe setze, der vom deutschen Drama handelt: nicht vom Drama überhaupt, noch von Völkerdramen im Allgemeinen, noch einmal vom deutschen Drama, als von einem Stück und Fachwerk der schönen deutschen Literatur, sondern vom deutschen Drama, das nicht mehr ist, das mit Schiller und Goethe zu den Schatten hinabgestiegen ist, das mit Schiller, vornämlich aber mit Goethe einer Zeit angehört, der wir nicht mehr angehören kön¬ nen, noch wollen. Wer klagt nicht über den Tod des Schönen auf der Erde, über den Hin¬ gang vorleuchtender großer Köpfe, über die Sel¬ tenheit, daß solche Verluste bald durch äquivalente Anlagen ersetzt werden, wer klagt nicht darüber, daß Deutschland keinen Schiller mehr hat, oder daß Goethe nicht ewige Jugend zu Theil wurde? Wie willig stimme ich dieser Trauer bei, die ich nur zu gerecht finde, da unsere dramatische Bühne heutiges Tags verödet ist und ein Raupach, ein
Goethe's Goͤtz von Berlichingen, nach welchem einzigen Schauſpiel die ungeheure Fluth der Rit¬ terromane ſich erhob, wie nach Schiller's erſtem Produkt, den Raͤubern, die eben ſo ſtarke Litera¬ tur der Raͤuberromane Deutſchland uͤberſchwemmte. Goethe's, des Dramendichters Wuͤrdigung, Goe¬ the's Bedeutung fuͤr ſeine Zeit iſt es nun beſon¬ ders, was ich mir in dieſem Abſchnitt zur Aufgabe ſetze, der vom deutſchen Drama handelt: nicht vom Drama uͤberhaupt, noch von Voͤlkerdramen im Allgemeinen, noch einmal vom deutſchen Drama, als von einem Stuͤck und Fachwerk der ſchoͤnen deutſchen Literatur, ſondern vom deutſchen Drama, das nicht mehr iſt, das mit Schiller und Goethe zu den Schatten hinabgeſtiegen iſt, das mit Schiller, vornaͤmlich aber mit Goethe einer Zeit angehoͤrt, der wir nicht mehr angehoͤren koͤn¬ nen, noch wollen. Wer klagt nicht uͤber den Tod des Schoͤnen auf der Erde, uͤber den Hin¬ gang vorleuchtender großer Koͤpfe, uͤber die Sel¬ tenheit, daß ſolche Verluſte bald durch aͤquivalente Anlagen erſetzt werden, wer klagt nicht daruͤber, daß Deutſchland keinen Schiller mehr hat, oder daß Goethe nicht ewige Jugend zu Theil wurde? Wie willig ſtimme ich dieſer Trauer bei, die ich nur zu gerecht finde, da unſere dramatiſche Buͤhne heutiges Tags veroͤdet iſt und ein Raupach, ein
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Goethe's Goͤtz von Berlichingen, nach welchem
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Produkt, den Raͤubern, die eben ſo ſtarke Litera¬
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Goethe's, des Dramendichters Wuͤrdigung, Goe¬
the's Bedeutung fuͤr ſeine Zeit iſt es nun beſon¬
ders, was ich mir in dieſem Abſchnitt zur Aufgabe
ſetze, der vom deutſchen Drama handelt: nicht
vom Drama uͤberhaupt, noch von Voͤlkerdramen
im Allgemeinen, noch einmal vom deutſchen
Drama, als von einem Stuͤck und Fachwerk der
ſchoͤnen deutſchen Literatur, ſondern vom deutſchen
Drama, das nicht mehr iſt, das mit Schiller und
Goethe zu den Schatten hinabgeſtiegen iſt, das
mit Schiller, vornaͤmlich aber mit Goethe einer
Zeit angehoͤrt, der wir nicht mehr angehoͤren koͤn¬
nen, noch wollen. Wer klagt nicht uͤber den
Tod des Schoͤnen auf der Erde, uͤber den Hin¬
gang vorleuchtender großer Koͤpfe, uͤber die Sel¬
tenheit, daß ſolche Verluſte bald durch aͤquivalente
Anlagen erſetzt werden, wer klagt nicht daruͤber,
daß Deutſchland keinen Schiller mehr hat, oder
daß Goethe nicht ewige Jugend zu Theil wurde?
Wie willig ſtimme ich dieſer Trauer bei, die ich
nur zu gerecht finde, da unſere dramatiſche Buͤhne
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/263>, abgerufen am 21.11.2024.
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