Daß kein Deutscher mehr von der Varusschlacht wußte, daß alle jene gefeierten Namen, Herr¬ mann, Thusnelda kein lebendiges Erbgut der Na¬ tion waren, sondern aus lateinischen Büchern zur Kunde der Gelehrten gelangten, das that dem neuen Barden keinen Eintrag, Herrmann war nun ein¬ mal sein Held, der Held seines Patriotismus, während Christus, als der Held seiner Religiosität, ihm friedlich und weltversöhnend aus dem Schooße der Gottheit hervortrat, und der blos menschlichen Kraft, dem heidnischen Heldenthum, dem Blut¬ vergießen, Freiheitsdrange, der Vaterlandsliebe, die nicht das himmlische Vaterland vor Augen hat, den Stab brach. Wie aber die Namen eines Herrmann und Christus dem Dichter Klopstock mit gleicher Begeisterung von den Lippen tönen konnten, begreift Niemand, der nicht die ganz besondere Art der Begeisterung erwägt, welche Klopstock's und seiner Zeit Muse war. Unstreitig hatte sie viel Gemachtes und Pedantisches, aber selbst der gemachten Begeisterung liegt ein Bedürf¬ niß des Herzens zu Grunde, das nur nicht, aus eigner oder fremder Schuld, auf naturgemäßem Wege befriedigt wird. Billigerweise zwar hätte jene Zeit keine Spur von Begeisterung verrathen dürfen, denn der siebenjährige Krieg war ein Schandfleck für die Deutschen und je mehr sich
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Daß kein Deutſcher mehr von der Varusſchlacht wußte, daß alle jene gefeierten Namen, Herr¬ mann, Thusnelda kein lebendiges Erbgut der Na¬ tion waren, ſondern aus lateiniſchen Buͤchern zur Kunde der Gelehrten gelangten, das that dem neuen Barden keinen Eintrag, Herrmann war nun ein¬ mal ſein Held, der Held ſeines Patriotismus, waͤhrend Chriſtus, als der Held ſeiner Religioſitaͤt, ihm friedlich und weltverſoͤhnend aus dem Schooße der Gottheit hervortrat, und der blos menſchlichen Kraft, dem heidniſchen Heldenthum, dem Blut¬ vergießen, Freiheitsdrange, der Vaterlandsliebe, die nicht das himmliſche Vaterland vor Augen hat, den Stab brach. Wie aber die Namen eines Herrmann und Chriſtus dem Dichter Klopſtock mit gleicher Begeiſterung von den Lippen toͤnen konnten, begreift Niemand, der nicht die ganz beſondere Art der Begeiſterung erwaͤgt, welche Klopſtock's und ſeiner Zeit Muſe war. Unſtreitig hatte ſie viel Gemachtes und Pedantiſches, aber ſelbſt der gemachten Begeiſterung liegt ein Beduͤrf¬ niß des Herzens zu Grunde, das nur nicht, aus eigner oder fremder Schuld, auf naturgemaͤßem Wege befriedigt wird. Billigerweiſe zwar haͤtte jene Zeit keine Spur von Begeiſterung verrathen duͤrfen, denn der ſiebenjaͤhrige Krieg war ein Schandfleck fuͤr die Deutſchen und je mehr ſich
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Daß kein Deutſcher mehr von der Varusſchlacht
wußte, daß alle jene gefeierten Namen, Herr¬
mann, Thusnelda kein lebendiges Erbgut der Na¬
tion waren, ſondern aus lateiniſchen Buͤchern zur
Kunde der Gelehrten gelangten, das that dem neuen
Barden keinen Eintrag, Herrmann war nun ein¬
mal ſein Held, der Held ſeines Patriotismus,
waͤhrend Chriſtus, als der Held ſeiner Religioſitaͤt,
ihm friedlich und weltverſoͤhnend aus dem Schooße
der Gottheit hervortrat, und der blos menſchlichen
Kraft, dem heidniſchen Heldenthum, dem Blut¬
vergießen, Freiheitsdrange, der Vaterlandsliebe,
die nicht das himmliſche Vaterland vor Augen
hat, den Stab brach. Wie aber die Namen eines
Herrmann und Chriſtus dem Dichter Klopſtock
mit gleicher Begeiſterung von den Lippen toͤnen
konnten, begreift Niemand, der nicht die ganz
beſondere Art der Begeiſterung erwaͤgt, welche
Klopſtock's und ſeiner Zeit Muſe war. Unſtreitig
hatte ſie viel Gemachtes und Pedantiſches, aber
ſelbſt der gemachten Begeiſterung liegt ein Beduͤrf¬
niß des Herzens zu Grunde, das nur nicht, aus
eigner oder fremder Schuld, auf naturgemaͤßem
Wege befriedigt wird. Billigerweiſe zwar haͤtte
jene Zeit keine Spur von Begeiſterung verrathen
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Schandfleck fuͤr die Deutſchen und je mehr ſich
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/273>, abgerufen am 21.11.2024.
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