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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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Rohe und Ehrliche der deutschen Ritterlichkeit in
seiner Person vereinigte. Diesen und sein Zeit¬
alter stellte er den Deutschen zur Bewunderung
auf und man weiß, wie sehr es ihm gelungen ist,
die deutsche Jugend in die kurze Phantasie zu
versetzen, als trüge sie noch, wie damals, eiserne
Beinschienen und fühlte sich, wie Götz, berufen,
die Welt aus geschlossenem Visir zu betrachten.
Goethe ließ die Phantasie der Deutschen nicht
rasten, er wußte ihnen beständig neuen Stoff aus
dem Reich seiner Ideen und Gefühle darzubieten.
Alles dies war revolutionairer Natur, stellte sich
in Kontrast mit der politischen und moralischen
Ordnung, wenn auch unabsichtlich. Eigentlich
kann man dasselbe behaupten von Friedrichs Ruhm
und Klopstock's Bardenliedern, sie konnten nur
durch Nichtachtung und Ueberdruß des damaligen
Deutschlands entstehen und blühen, Friedrich und
Klopstock konnten Deutschland nie entzücken, hätte
es nicht thatenlose Langeweile gefühlt. Goethe
trug die unzufriedene Begeisterung in alle Gebiete
des Geistigen und Sittlichen über. Faust ist ihr
Kulminationspunkt und als solchen muß man ihn
auffassen, wenn man die Entstehung dieses Ge¬
dichts zu jener Zeit begreifen will, das, wie es
herauskam, so wenig von der tiefen und ewigen
Bedeutung desselben ahnen ließ und erst nach und

17 * *

Rohe und Ehrliche der deutſchen Ritterlichkeit in
ſeiner Perſon vereinigte. Dieſen und ſein Zeit¬
alter ſtellte er den Deutſchen zur Bewunderung
auf und man weiß, wie ſehr es ihm gelungen iſt,
die deutſche Jugend in die kurze Phantaſie zu
verſetzen, als truͤge ſie noch, wie damals, eiſerne
Beinſchienen und fuͤhlte ſich, wie Goͤtz, berufen,
die Welt aus geſchloſſenem Viſir zu betrachten.
Goethe ließ die Phantaſie der Deutſchen nicht
raſten, er wußte ihnen beſtaͤndig neuen Stoff aus
dem Reich ſeiner Ideen und Gefuͤhle darzubieten.
Alles dies war revolutionairer Natur, ſtellte ſich
in Kontraſt mit der politiſchen und moraliſchen
Ordnung, wenn auch unabſichtlich. Eigentlich
kann man daſſelbe behaupten von Friedrichs Ruhm
und Klopſtock's Bardenliedern, ſie konnten nur
durch Nichtachtung und Ueberdruß des damaligen
Deutſchlands entſtehen und bluͤhen, Friedrich und
Klopſtock konnten Deutſchland nie entzuͤcken, haͤtte
es nicht thatenloſe Langeweile gefuͤhlt. Goethe
trug die unzufriedene Begeiſterung in alle Gebiete
des Geiſtigen und Sittlichen uͤber. Fauſt iſt ihr
Kulminationspunkt und als ſolchen muß man ihn
auffaſſen, wenn man die Entſtehung dieſes Ge¬
dichts zu jener Zeit begreifen will, das, wie es
herauskam, ſo wenig von der tiefen und ewigen
Bedeutung deſſelben ahnen ließ und erſt nach und

17 * *
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[265/0279] Rohe und Ehrliche der deutſchen Ritterlichkeit in ſeiner Perſon vereinigte. Dieſen und ſein Zeit¬ alter ſtellte er den Deutſchen zur Bewunderung auf und man weiß, wie ſehr es ihm gelungen iſt, die deutſche Jugend in die kurze Phantaſie zu verſetzen, als truͤge ſie noch, wie damals, eiſerne Beinſchienen und fuͤhlte ſich, wie Goͤtz, berufen, die Welt aus geſchloſſenem Viſir zu betrachten. Goethe ließ die Phantaſie der Deutſchen nicht raſten, er wußte ihnen beſtaͤndig neuen Stoff aus dem Reich ſeiner Ideen und Gefuͤhle darzubieten. Alles dies war revolutionairer Natur, ſtellte ſich in Kontraſt mit der politiſchen und moraliſchen Ordnung, wenn auch unabſichtlich. Eigentlich kann man daſſelbe behaupten von Friedrichs Ruhm und Klopſtock's Bardenliedern, ſie konnten nur durch Nichtachtung und Ueberdruß des damaligen Deutſchlands entſtehen und bluͤhen, Friedrich und Klopſtock konnten Deutſchland nie entzuͤcken, haͤtte es nicht thatenloſe Langeweile gefuͤhlt. Goethe trug die unzufriedene Begeiſterung in alle Gebiete des Geiſtigen und Sittlichen uͤber. Fauſt iſt ihr Kulminationspunkt und als ſolchen muß man ihn auffaſſen, wenn man die Entſtehung dieſes Ge¬ dichts zu jener Zeit begreifen will, das, wie es herauskam, ſo wenig von der tiefen und ewigen Bedeutung deſſelben ahnen ließ und erſt nach und 17 * *

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/279>, abgerufen am 21.11.2024.