Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

als ein in Deutschland geborner Jude, der dem
Herzen und der Geschichte des Vaterlandes eben so
fremd, noch einen Stachel zur Satyre mitnimmt,
der dem Ausländer fehlt, ich meine den Stachel
der Verachtung, worin seine Glaubensgenossen in
Deutschland bisher standen, das verwundete Ge¬
fühl des durch Jahrhunderte gemißhandelten Vol¬
kes, das bis auf die neueste Zeit zum Schweigen
verurtheilt war, indem es zu feige und zu schwach,
sich früher zu äußern, ehe der Witz in Europa
sich vor Scheiterhaufen und Armensünderhemden
sicher wußte.

Aber Heine besaß nicht allein diesen Vortheil
des Witzes, daß er als geborner Jude, gleichsam
als Ausländer und Feind auftrat und zugleich die
deutschen Narrheiten von Jugend auf an der
Quelle studiren konnte, er hatte auch von seiner
deutschen Mutter diejenigen Eigenschaften geerbt,
welche den Witz erst glänzend machen, indem sie
ihm zur Folie dienen, nämlich die Gabe der
Phantasie, einen dunkeln Anflug von Gemüth,
die Ahnung oder das Verstehen des poetisch Wirk¬
samen, die Behandlung des Geheimnißvollen, was
im poetischen Grunde unserer Nation ruht und
leider nur zu sehr mit Alltäglichem und Gemeinem
überschüttet ist. Daher zeigte sich Heine schon in
seinem ersten Werk nicht blos als witzigen Kopf,

als ein in Deutſchland geborner Jude, der dem
Herzen und der Geſchichte des Vaterlandes eben ſo
fremd, noch einen Stachel zur Satyre mitnimmt,
der dem Auslaͤnder fehlt, ich meine den Stachel
der Verachtung, worin ſeine Glaubensgenoſſen in
Deutſchland bisher ſtanden, das verwundete Ge¬
fuͤhl des durch Jahrhunderte gemißhandelten Vol¬
kes, das bis auf die neueſte Zeit zum Schweigen
verurtheilt war, indem es zu feige und zu ſchwach,
ſich fruͤher zu aͤußern, ehe der Witz in Europa
ſich vor Scheiterhaufen und Armenſuͤnderhemden
ſicher wußte.

Aber Heine beſaß nicht allein dieſen Vortheil
des Witzes, daß er als geborner Jude, gleichſam
als Auslaͤnder und Feind auftrat und zugleich die
deutſchen Narrheiten von Jugend auf an der
Quelle ſtudiren konnte, er hatte auch von ſeiner
deutſchen Mutter diejenigen Eigenſchaften geerbt,
welche den Witz erſt glaͤnzend machen, indem ſie
ihm zur Folie dienen, naͤmlich die Gabe der
Phantaſie, einen dunkeln Anflug von Gemuͤth,
die Ahnung oder das Verſtehen des poetiſch Wirk¬
ſamen, die Behandlung des Geheimnißvollen, was
im poetiſchen Grunde unſerer Nation ruht und
leider nur zu ſehr mit Alltaͤglichem und Gemeinem
uͤberſchuͤttet iſt. Daher zeigte ſich Heine ſchon in
ſeinem erſten Werk nicht blos als witzigen Kopf,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0302" n="288"/>
als ein in Deut&#x017F;chland geborner Jude, der dem<lb/>
Herzen und der Ge&#x017F;chichte des Vaterlandes eben &#x017F;o<lb/>
fremd, noch einen Stachel zur Satyre mitnimmt,<lb/>
der dem Ausla&#x0364;nder fehlt, ich meine den Stachel<lb/>
der Verachtung, worin &#x017F;eine Glaubensgeno&#x017F;&#x017F;en in<lb/>
Deut&#x017F;chland bisher &#x017F;tanden, das verwundete Ge¬<lb/>
fu&#x0364;hl des durch Jahrhunderte gemißhandelten Vol¬<lb/>
kes, das bis auf die neue&#x017F;te Zeit zum Schweigen<lb/>
verurtheilt war, indem es zu feige und zu &#x017F;chwach,<lb/>
&#x017F;ich fru&#x0364;her zu a&#x0364;ußern, ehe der Witz in Europa<lb/>
&#x017F;ich vor Scheiterhaufen und Armen&#x017F;u&#x0364;nderhemden<lb/>
&#x017F;icher wußte.</p><lb/>
        <p>Aber Heine be&#x017F;aß nicht allein die&#x017F;en Vortheil<lb/>
des Witzes, daß er als geborner Jude, gleich&#x017F;am<lb/>
als Ausla&#x0364;nder und Feind auftrat und zugleich die<lb/>
deut&#x017F;chen Narrheiten von Jugend auf an der<lb/>
Quelle &#x017F;tudiren konnte, er hatte auch von &#x017F;einer<lb/>
deut&#x017F;chen Mutter diejenigen Eigen&#x017F;chaften geerbt,<lb/>
welche den Witz er&#x017F;t gla&#x0364;nzend machen, indem &#x017F;ie<lb/>
ihm zur Folie dienen, na&#x0364;mlich die Gabe der<lb/>
Phanta&#x017F;ie, einen dunkeln Anflug von Gemu&#x0364;th,<lb/>
die Ahnung oder das Ver&#x017F;tehen des poeti&#x017F;ch Wirk¬<lb/>
&#x017F;amen, die Behandlung des Geheimnißvollen, was<lb/>
im poeti&#x017F;chen Grunde un&#x017F;erer Nation ruht und<lb/>
leider nur zu &#x017F;ehr mit Allta&#x0364;glichem und Gemeinem<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;chu&#x0364;ttet i&#x017F;t. Daher zeigte &#x017F;ich Heine &#x017F;chon in<lb/>
&#x017F;einem er&#x017F;ten Werk nicht blos als witzigen Kopf,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0302] als ein in Deutſchland geborner Jude, der dem Herzen und der Geſchichte des Vaterlandes eben ſo fremd, noch einen Stachel zur Satyre mitnimmt, der dem Auslaͤnder fehlt, ich meine den Stachel der Verachtung, worin ſeine Glaubensgenoſſen in Deutſchland bisher ſtanden, das verwundete Ge¬ fuͤhl des durch Jahrhunderte gemißhandelten Vol¬ kes, das bis auf die neueſte Zeit zum Schweigen verurtheilt war, indem es zu feige und zu ſchwach, ſich fruͤher zu aͤußern, ehe der Witz in Europa ſich vor Scheiterhaufen und Armenſuͤnderhemden ſicher wußte. Aber Heine beſaß nicht allein dieſen Vortheil des Witzes, daß er als geborner Jude, gleichſam als Auslaͤnder und Feind auftrat und zugleich die deutſchen Narrheiten von Jugend auf an der Quelle ſtudiren konnte, er hatte auch von ſeiner deutſchen Mutter diejenigen Eigenſchaften geerbt, welche den Witz erſt glaͤnzend machen, indem ſie ihm zur Folie dienen, naͤmlich die Gabe der Phantaſie, einen dunkeln Anflug von Gemuͤth, die Ahnung oder das Verſtehen des poetiſch Wirk¬ ſamen, die Behandlung des Geheimnißvollen, was im poetiſchen Grunde unſerer Nation ruht und leider nur zu ſehr mit Alltaͤglichem und Gemeinem uͤberſchuͤttet iſt. Daher zeigte ſich Heine ſchon in ſeinem erſten Werk nicht blos als witzigen Kopf,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/302
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/302>, abgerufen am 21.11.2024.