angesetzt haben, doch wol erst als die bedrohung der hellespontischen provinz durch Derkylidas bekannt geworden war, und damit brach der sturm los. vier wochen darauf sind die 400 gewählt worden.
Thukydides hat die protokolle der sitzungen nicht gekannt, obwol er von ihrem verlaufe und ihren beschlüssen eine gewisse kenntnis hatte. er hat seinen berichterstattern sehr viel mehr glauben ge- schenkt als sie verdienten. daran müssen wir uns ein exempel nehmen, denn dasselbe dürfte noch öfter passirt sein. aber weder an der wahrheitsliebe noch an der urteilskraft des Thukydides dürfen wir zweifeln. wir wissen ja, dass er danach gestrebt hat, sich die acten zu verschaffen, und ich kann den nachweis liefern, dass er eine skizze des ionischen krieges schon geschrieben hatte, ehe er die verträge mit Persien und durch sie und mit ihnen neues material erhielt (allerdings nicht von Alkibiades) und wenigstens zum teil verwertete. für die 400 hat er einen bericht benutzt, den er selbst nennt, und den wir leider ent- behren, obwol er bis in das spätere altertum vorhanden war, die ver- teidigungsrede des Antiphon. wenn die hauptschuld an der anzettelung der ganzen revolution auf Peisandros geschoben und dem Theramenes und genossen unlautere motive zugeschrieben werden, so mag dafür Antiphon bestimmend gewesen sein; das urteil des radicalen oligarchen gerade über Theramenes stimmte notwendig zu dem der radicalen demokratie. aber Thukydides verschleiert nicht, dass Antiphon doch wol des hochverrates schuldig gewesen ist. einen andern gewährsmann hat Thukydides gehabt, der über Phrynichos sehr genau bescheid wusste und zwar schon über sein verhalten im feldzuge 412. der gewissenlose mensch, von dessen fähigkeiten nicht seine leistungen, sondern nur die versicherungen des Thukydides einen vorteilhaften eindruck machen, der bauernsohn aus dem obersten winkel des Potamostales, der ein par monate lang versucht hat Alkibiades zu spielen, steht bei Thukydides seltsamerweise im vorder- grunde. endlich hat der historiker gewiss nicht einen sondern viele be- richte über die revolution in der stadt erhalten und verarbeitet: wir empfinden die stimmungen der bürgerschaft mit, wie sie patriotisch genug denkt, um für die rettung des staates auch das opfer der verfassung zu bringen, wie sie aber auch ahnt, dass ihr von denen am meisten ge- fahren drohen, die sich zu rettern aufwerfen, wie sie schliesslich jedes- mal, wenn der landesfeind sich zeigt, gegen diesen sich zusammenschliesst, und der äussere erfolg oder misserfolg über die innere politik ent- scheidet. wir vernehmen auch einiges von dem treiben der revolutio- näre, wie sie im geheimen planen, wie sie stimmung machen durch lügen
I. 5. Thukydides.
angesetzt haben, doch wol erst als die bedrohung der hellespontischen provinz durch Derkylidas bekannt geworden war, und damit brach der sturm los. vier wochen darauf sind die 400 gewählt worden.
Thukydides hat die protokolle der sitzungen nicht gekannt, obwol er von ihrem verlaufe und ihren beschlüssen eine gewisse kenntnis hatte. er hat seinen berichterstattern sehr viel mehr glauben ge- schenkt als sie verdienten. daran müssen wir uns ein exempel nehmen, denn dasselbe dürfte noch öfter passirt sein. aber weder an der wahrheitsliebe noch an der urteilskraft des Thukydides dürfen wir zweifeln. wir wissen ja, daſs er danach gestrebt hat, sich die acten zu verschaffen, und ich kann den nachweis liefern, daſs er eine skizze des ionischen krieges schon geschrieben hatte, ehe er die verträge mit Persien und durch sie und mit ihnen neues material erhielt (allerdings nicht von Alkibiades) und wenigstens zum teil verwertete. für die 400 hat er einen bericht benutzt, den er selbst nennt, und den wir leider ent- behren, obwol er bis in das spätere altertum vorhanden war, die ver- teidigungsrede des Antiphon. wenn die hauptschuld an der anzettelung der ganzen revolution auf Peisandros geschoben und dem Theramenes und genossen unlautere motive zugeschrieben werden, so mag dafür Antiphon bestimmend gewesen sein; das urteil des radicalen oligarchen gerade über Theramenes stimmte notwendig zu dem der radicalen demokratie. aber Thukydides verschleiert nicht, daſs Antiphon doch wol des hochverrates schuldig gewesen ist. einen andern gewährsmann hat Thukydides gehabt, der über Phrynichos sehr genau bescheid wuſste und zwar schon über sein verhalten im feldzuge 412. der gewissenlose mensch, von dessen fähigkeiten nicht seine leistungen, sondern nur die versicherungen des Thukydides einen vorteilhaften eindruck machen, der bauernsohn aus dem obersten winkel des Potamostales, der ein par monate lang versucht hat Alkibiades zu spielen, steht bei Thukydides seltsamerweise im vorder- grunde. endlich hat der historiker gewiſs nicht einen sondern viele be- richte über die revolution in der stadt erhalten und verarbeitet: wir empfinden die stimmungen der bürgerschaft mit, wie sie patriotisch genug denkt, um für die rettung des staates auch das opfer der verfassung zu bringen, wie sie aber auch ahnt, daſs ihr von denen am meisten ge- fahren drohen, die sich zu rettern aufwerfen, wie sie schlieſslich jedes- mal, wenn der landesfeind sich zeigt, gegen diesen sich zusammenschlieſst, und der äuſsere erfolg oder miſserfolg über die innere politik ent- scheidet. wir vernehmen auch einiges von dem treiben der revolutio- näre, wie sie im geheimen planen, wie sie stimmung machen durch lügen
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I. 5. Thukydides.
angesetzt haben, doch wol erst als die bedrohung der hellespontischen
provinz durch Derkylidas bekannt geworden war, und damit brach der
sturm los. vier wochen darauf sind die 400 gewählt worden.
Thukydides hat die protokolle der sitzungen nicht gekannt, obwol
er von ihrem verlaufe und ihren beschlüssen eine gewisse kenntnis
hatte. er hat seinen berichterstattern sehr viel mehr glauben ge-
schenkt als sie verdienten. daran müssen wir uns ein exempel nehmen,
denn dasselbe dürfte noch öfter passirt sein. aber weder an der
wahrheitsliebe noch an der urteilskraft des Thukydides dürfen wir
zweifeln. wir wissen ja, daſs er danach gestrebt hat, sich die acten zu
verschaffen, und ich kann den nachweis liefern, daſs er eine skizze des
ionischen krieges schon geschrieben hatte, ehe er die verträge mit Persien
und durch sie und mit ihnen neues material erhielt (allerdings nicht von
Alkibiades) und wenigstens zum teil verwertete. für die 400 hat er
einen bericht benutzt, den er selbst nennt, und den wir leider ent-
behren, obwol er bis in das spätere altertum vorhanden war, die ver-
teidigungsrede des Antiphon. wenn die hauptschuld an der anzettelung der
ganzen revolution auf Peisandros geschoben und dem Theramenes und
genossen unlautere motive zugeschrieben werden, so mag dafür Antiphon
bestimmend gewesen sein; das urteil des radicalen oligarchen gerade über
Theramenes stimmte notwendig zu dem der radicalen demokratie. aber
Thukydides verschleiert nicht, daſs Antiphon doch wol des hochverrates
schuldig gewesen ist. einen andern gewährsmann hat Thukydides gehabt,
der über Phrynichos sehr genau bescheid wuſste und zwar schon über
sein verhalten im feldzuge 412. der gewissenlose mensch, von dessen
fähigkeiten nicht seine leistungen, sondern nur die versicherungen des
Thukydides einen vorteilhaften eindruck machen, der bauernsohn aus
dem obersten winkel des Potamostales, der ein par monate lang versucht
hat Alkibiades zu spielen, steht bei Thukydides seltsamerweise im vorder-
grunde. endlich hat der historiker gewiſs nicht einen sondern viele be-
richte über die revolution in der stadt erhalten und verarbeitet: wir
empfinden die stimmungen der bürgerschaft mit, wie sie patriotisch genug
denkt, um für die rettung des staates auch das opfer der verfassung zu
bringen, wie sie aber auch ahnt, daſs ihr von denen am meisten ge-
fahren drohen, die sich zu rettern aufwerfen, wie sie schlieſslich jedes-
mal, wenn der landesfeind sich zeigt, gegen diesen sich zusammenschlieſst,
und der äuſsere erfolg oder miſserfolg über die innere politik ent-
scheidet. wir vernehmen auch einiges von dem treiben der revolutio-
näre, wie sie im geheimen planen, wie sie stimmung machen durch lügen
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/120>, abgerufen am 21.11.2024.
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