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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Archon.
alle seine specialitäten146) verfolgt, auch über die einzelnen klagen nicht
weniges zur erklärung der formulae iuris beigebracht. im nächsten capitel,
beim könige, ist das religiöse dem Aristoteles schon langweilig geworden;
bei den strategen hat er ihre opfer ganz und gar fortgelassen. und die
namen der klagen, die der erklärung wahrlich oft bedürfen, sind nur
noch ganz vereinzelt, wie dikaios phonos147) und doroxenias erklärt:

die wichtigste liturgie, die der trierarchen, der abneigung des Aristoteles gegen
die marine ganz zum opfer gefallen. diese verhältnisse konnten freilich nicht in
den dienstinstructionen eines einzelnen beamten stehn.
146) Es fehlt die klage argias, die die parallelüberlieferung BA. 310 aufführt,
vielleicht durch versehn, das mancher lieber den abschreibern als dem verfasser
zutraun wird. aber obsolet war die klage sicher, obwol der redner wider Eubulides 32
ihre existenz berührt, und sicherlich war sie nicht formell beseitigt. sie gehört
neben paranoias, wo sie nicht bloss im Bekkerschen lexicon, sondern auch bei
Diogenes I 55 steht, und hier steht auch dabei, dass sie azemios to boulomeno diokein
war, um die formel einzusetzen. sie war natürlich zunächst bestimmt, nicht das
volk zu erziehen, sondern die erhaltung des kleros zu sichern, ganz parallel der
paranoias. dass Drakon den tod als strafe gesetzt hätte, ist eine törichte exempli-
fication (Plut. Sol. 17), fabricirt daraus, dass die phrase nur diese strafe bei ihm
anerkannte, und dass er die klage argias gehabt hatte, wie aus Lysias bekannt war:
so steht Lysias und die todesstrafe Drakons im lex. Cantabr. s. v., und Lysias, aber
mit anderem redetitel bei Diogenes, d. h. bei dem gewährsmanne Plutarchs. Solon
soll nach dem lex. Cant. geldstrafe darauf gesetzt haben, atimie erst nach
dreimaliger verurteilung. mit ersterem stimmt Pollux 8, 42, gibt aber für Drakon
atimie als strafe an. die affiliation der zeugnisse lässt sich nicht entwirren;
dass Lysias alles das bezeugt hätte, was ihm die fassung des lex. Cant. gibt, ist
unglaublich, nur dass das gesetz drakontisch und solonisch war, wird er gesagt
haben, denn er exemplificirte ja nur mit ihm. nicht Solon kann die dreifache klage
vorgeschrieben haben, da sie ja erziehlichen zweck hat und den müssiggang bestraft:
das geht die zeit der sittenpolizei, d. h. seit Demetrios, an, der wir, so unglaublich
die einzelfälle der philosophen (Menedemos, Kleanthes u. dgl.) sind, diese areopagi-
tische cura morum zutraun dürfen. was athenisches gesetz war, war auch damals
für die breite masse solonisch, und so wird es zu dem grammatiker gelangt sein,
demselben der die nomophylakes des Demetrios auf die zeit des Ephialtes über-
tragen hat. für den geschlechterstaat, dem der archon diente, passt lediglich die
atimie: der majoratsherr wird abgesetzt, so bald er entweder unfähig oder
nicht gewillt ist, das gut zu verwalten, und mit dem besitze des majorats verliert
er die auf die wirtschaftliche selbständigkeit gegründeten politischen rechte. an
der erhaltung des majorates aber hat jeder standesgenosse ein interesse, und der
stand bildet die Athenaioi ois exestin. dass Theophrast die klage argias dem
Peisistratos beilegte, liegt darin, dass er ihn als den erzieher des volkes zur tätig-
keit fasste, wie Aristoteles; die Lysiasrede kannte er nicht. Plutarch (Sol. 31) hat
auch dies citat nicht aus eigener lectüre, sondern von Hermippos.
147) Es hatte das eine nicht geringe bedeutung, und dass wir durch die
Aristokratea mit erklärern mehr erfahrern als die proben, die Aristoteles gibt, ist

Archon.
alle seine specialitäten146) verfolgt, auch über die einzelnen klagen nicht
weniges zur erklärung der formulae iuris beigebracht. im nächsten capitel,
beim könige, ist das religiöse dem Aristoteles schon langweilig geworden;
bei den strategen hat er ihre opfer ganz und gar fortgelassen. und die
namen der klagen, die der erklärung wahrlich oft bedürfen, sind nur
noch ganz vereinzelt, wie δίκαιος φόνος147) und δωϱοξενίας erklärt:

die wichtigste liturgie, die der trierarchen, der abneigung des Aristoteles gegen
die marine ganz zum opfer gefallen. diese verhältnisse konnten freilich nicht in
den dienstinstructionen eines einzelnen beamten stehn.
146) Es fehlt die klage ἀϱγίας, die die parallelüberlieferung BA. 310 aufführt,
vielleicht durch versehn, das mancher lieber den abschreibern als dem verfasser
zutraun wird. aber obsolet war die klage sicher, obwol der redner wider Eubulides 32
ihre existenz berührt, und sicherlich war sie nicht formell beseitigt. sie gehört
neben παϱανοίας, wo sie nicht bloſs im Bekkerschen lexicon, sondern auch bei
Diogenes I 55 steht, und hier steht auch dabei, daſs sie ἀζήμιος τῷ βουλομένῳ διώκειν
war, um die formel einzusetzen. sie war natürlich zunächst bestimmt, nicht das
volk zu erziehen, sondern die erhaltung des κλῆϱος zu sichern, ganz parallel der
παϱανοίας. daſs Drakon den tod als strafe gesetzt hätte, ist eine törichte exempli-
fication (Plut. Sol. 17), fabricirt daraus, daſs die phrase nur diese strafe bei ihm
anerkannte, und daſs er die klage ἀϱγίας gehabt hatte, wie aus Lysias bekannt war:
so steht Lysias und die todesstrafe Drakons im lex. Cantabr. s. v., und Lysias, aber
mit anderem redetitel bei Diogenes, d. h. bei dem gewährsmanne Plutarchs. Solon
soll nach dem lex. Cant. geldstrafe darauf gesetzt haben, atimie erst nach
dreimaliger verurteilung. mit ersterem stimmt Pollux 8, 42, gibt aber für Drakon
atimie als strafe an. die affiliation der zeugnisse läſst sich nicht entwirren;
daſs Lysias alles das bezeugt hätte, was ihm die fassung des lex. Cant. gibt, ist
unglaublich, nur daſs das gesetz drakontisch und solonisch war, wird er gesagt
haben, denn er exemplificirte ja nur mit ihm. nicht Solon kann die dreifache klage
vorgeschrieben haben, da sie ja erziehlichen zweck hat und den müſsiggang bestraft:
das geht die zeit der sittenpolizei, d. h. seit Demetrios, an, der wir, so unglaublich
die einzelfälle der philosophen (Menedemos, Kleanthes u. dgl.) sind, diese areopagi-
tische cura morum zutraun dürfen. was athenisches gesetz war, war auch damals
für die breite masse solonisch, und so wird es zu dem grammatiker gelangt sein,
demselben der die nomophylakes des Demetrios auf die zeit des Ephialtes über-
tragen hat. für den geschlechterstaat, dem der archon diente, paſst lediglich die
atimie: der majoratsherr wird abgesetzt, so bald er entweder unfähig oder
nicht gewillt ist, das gut zu verwalten, und mit dem besitze des majorats verliert
er die auf die wirtschaftliche selbständigkeit gegründeten politischen rechte. an
der erhaltung des majorates aber hat jeder standesgenosse ein interesse, und der
stand bildet die Ἀϑηναῖοι οἷς ἔξεστιν. daſs Theophrast die klage ἀϱγίας dem
Peisistratos beilegte, liegt darin, daſs er ihn als den erzieher des volkes zur tätig-
keit faſste, wie Aristoteles; die Lysiasrede kannte er nicht. Plutarch (Sol. 31) hat
auch dies citat nicht aus eigener lectüre, sondern von Hermippos.
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[255/0269] Archon. alle seine specialitäten 146) verfolgt, auch über die einzelnen klagen nicht weniges zur erklärung der formulae iuris beigebracht. im nächsten capitel, beim könige, ist das religiöse dem Aristoteles schon langweilig geworden; bei den strategen hat er ihre opfer ganz und gar fortgelassen. und die namen der klagen, die der erklärung wahrlich oft bedürfen, sind nur noch ganz vereinzelt, wie δίκαιος φόνος 147) und δωϱοξενίας erklärt: 145) 146) Es fehlt die klage ἀϱγίας, die die parallelüberlieferung BA. 310 aufführt, vielleicht durch versehn, das mancher lieber den abschreibern als dem verfasser zutraun wird. aber obsolet war die klage sicher, obwol der redner wider Eubulides 32 ihre existenz berührt, und sicherlich war sie nicht formell beseitigt. sie gehört neben παϱανοίας, wo sie nicht bloſs im Bekkerschen lexicon, sondern auch bei Diogenes I 55 steht, und hier steht auch dabei, daſs sie ἀζήμιος τῷ βουλομένῳ διώκειν war, um die formel einzusetzen. sie war natürlich zunächst bestimmt, nicht das volk zu erziehen, sondern die erhaltung des κλῆϱος zu sichern, ganz parallel der παϱανοίας. daſs Drakon den tod als strafe gesetzt hätte, ist eine törichte exempli- fication (Plut. Sol. 17), fabricirt daraus, daſs die phrase nur diese strafe bei ihm anerkannte, und daſs er die klage ἀϱγίας gehabt hatte, wie aus Lysias bekannt war: so steht Lysias und die todesstrafe Drakons im lex. Cantabr. s. v., und Lysias, aber mit anderem redetitel bei Diogenes, d. h. bei dem gewährsmanne Plutarchs. Solon soll nach dem lex. Cant. geldstrafe darauf gesetzt haben, atimie erst nach dreimaliger verurteilung. mit ersterem stimmt Pollux 8, 42, gibt aber für Drakon atimie als strafe an. die affiliation der zeugnisse läſst sich nicht entwirren; daſs Lysias alles das bezeugt hätte, was ihm die fassung des lex. Cant. gibt, ist unglaublich, nur daſs das gesetz drakontisch und solonisch war, wird er gesagt haben, denn er exemplificirte ja nur mit ihm. nicht Solon kann die dreifache klage vorgeschrieben haben, da sie ja erziehlichen zweck hat und den müſsiggang bestraft: das geht die zeit der sittenpolizei, d. h. seit Demetrios, an, der wir, so unglaublich die einzelfälle der philosophen (Menedemos, Kleanthes u. dgl.) sind, diese areopagi- tische cura morum zutraun dürfen. was athenisches gesetz war, war auch damals für die breite masse solonisch, und so wird es zu dem grammatiker gelangt sein, demselben der die nomophylakes des Demetrios auf die zeit des Ephialtes über- tragen hat. für den geschlechterstaat, dem der archon diente, paſst lediglich die atimie: der majoratsherr wird abgesetzt, so bald er entweder unfähig oder nicht gewillt ist, das gut zu verwalten, und mit dem besitze des majorats verliert er die auf die wirtschaftliche selbständigkeit gegründeten politischen rechte. an der erhaltung des majorates aber hat jeder standesgenosse ein interesse, und der stand bildet die Ἀϑηναῖοι οἷς ἔξεστιν. daſs Theophrast die klage ἀϱγίας dem Peisistratos beilegte, liegt darin, daſs er ihn als den erzieher des volkes zur tätig- keit faſste, wie Aristoteles; die Lysiasrede kannte er nicht. Plutarch (Sol. 31) hat auch dies citat nicht aus eigener lectüre, sondern von Hermippos. 147) Es hatte das eine nicht geringe bedeutung, und daſs wir durch die Aristokratea mit erklärern mehr erfahrern als die proben, die Aristoteles gibt, ist 145) die wichtigste liturgie, die der trierarchen, der abneigung des Aristoteles gegen die marine ganz zum opfer gefallen. diese verhältnisse konnten freilich nicht in den dienstinstructionen eines einzelnen beamten stehn.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/269>, abgerufen am 24.11.2024.