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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Kindheit. auf der hohen schule.
bei den Ioniern. den spott und die verleumdung, die ihm daraus er-
wachsen ist, konnte er verachten, und wenn ihm die hundephilosophie
und das schmierige Pythagoristentum zeitlebens zuwider gewesen sind,
so trug dazu das meiste seine höhere anschauung von der menschlichen
gesellschaft und ihrer gesittung und wissenschaft bei. aber es gehört
zu dem bilde des menschen, dass wir ihn zwar den adel des blutes
und des geldes verachten sehen, aber in seinen lebensgewohnheiten und
seiner lebensführung, dem entsprechend auch in der massvollen schätzung
der güter dieser welt, niemals den mann verleugnen, der mit den grossen
der welt und des praktischen, politischen und militärischen lebens wie
mit seines gleichen verkehrt.

So kam der blutjunge student 368/7 nach Athen, in die grosseAuf
der hohen
schule.

stadt, in die grosse welt. er hat später erzählt, wie sie bei ihm zu
hause das Pythion befragten, und dieses ihm den weg zu der philosophie
wies: wir sehen die familie den reiseplan erwägen und in alter weise
die entscheidung suchen. wenn ein jüngling fragte, ei loon kai
ameino[n] eie Athenaze plein philosophesonta, so musste der gott wol
ja sagen; aber er dachte dabei schwerlich an die gedanken des aristo-
telischen protreptikos. ebenso wäre es sehr verkehrt sich vorzustellen,
dass der jungling deshalb als student der philosophie nach Athen ge-
zogen sein müsste, weil er der grosse philosoph geworden ist. die hohe
schule bezog er freilich um paideia und philosophia zu treiben. aber
was er werden sollte, war damit keinesweges gesagt. sein vormund wird
wol eher an eine politisch-diplomatische zukunft gedacht haben, eine
carriere, wie sie sein eigner sohn Nikanor nachmals gemacht hat. rede-
und federgewandte Hellenen fanden allerorten, zumal aber an den
kleinen höfen in Thrakien und Makedonien einträgliche und einfluss-
reiche stellungen. die eminente begabung und allseitige tüchtigkeit
seines mündels wird Proxenos erkannt haben: die mittel zu der besten
ausbildung waren vorhanden, und der einsichtige mann knauserte nicht
mit ihnen. in Stagira oder überhaupt in dem chalkidischen winkel ver-
kümmern, die von der hippokratischen wissenschaft längst überholte
väterliche praxis treiben wollte und sollte Aristoteles nicht. darum sollte
er sich in Athen der philosophia bemächtigen.

Es war die zeit, wo man nicht mehr darüber stritt, ob der junge
mann mehr lernen sollte, als die schule ihm bis zum ephebenalter dar-
bot. hatte die alte nationale bildung der Hellenen weiter nur noch für
die körperliche ausbildung gesorgt, weil der sohn der herrschenden classe
soldat sein musste, sonst aber nur der beruf und das erwerbsleben den

Kindheit. auf der hohen schule.
bei den Ioniern. den spott und die verleumdung, die ihm daraus er-
wachsen ist, konnte er verachten, und wenn ihm die hundephilosophie
und das schmierige Pythagoristentum zeitlebens zuwider gewesen sind,
so trug dazu das meiste seine höhere anschauung von der menschlichen
gesellschaft und ihrer gesittung und wissenschaft bei. aber es gehört
zu dem bilde des menschen, daſs wir ihn zwar den adel des blutes
und des geldes verachten sehen, aber in seinen lebensgewohnheiten und
seiner lebensführung, dem entsprechend auch in der maſsvollen schätzung
der güter dieser welt, niemals den mann verleugnen, der mit den groſsen
der welt und des praktischen, politischen und militärischen lebens wie
mit seines gleichen verkehrt.

So kam der blutjunge student 368/7 nach Athen, in die groſseAuf
der hohen
schule.

stadt, in die groſse welt. er hat später erzählt, wie sie bei ihm zu
hause das Pythion befragten, und dieses ihm den weg zu der philosophie
wies: wir sehen die familie den reiseplan erwägen und in alter weise
die entscheidung suchen. wenn ein jüngling fragte, εἰ λῷον καὶ
ἄμεινο[ν] εἴη Ἀϑήναζε πλεῖν φιλοσοφήσοντα, so muſste der gott wol
ja sagen; aber er dachte dabei schwerlich an die gedanken des aristo-
telischen protreptikos. ebenso wäre es sehr verkehrt sich vorzustellen,
daſs der jungling deshalb als student der philosophie nach Athen ge-
zogen sein müſste, weil er der groſse philosoph geworden ist. die hohe
schule bezog er freilich um παιδεία und φιλοσοφία zu treiben. aber
was er werden sollte, war damit keinesweges gesagt. sein vormund wird
wol eher an eine politisch-diplomatische zukunft gedacht haben, eine
carriere, wie sie sein eigner sohn Nikanor nachmals gemacht hat. rede-
und federgewandte Hellenen fanden allerorten, zumal aber an den
kleinen höfen in Thrakien und Makedonien einträgliche und einfluſs-
reiche stellungen. die eminente begabung und allseitige tüchtigkeit
seines mündels wird Proxenos erkannt haben: die mittel zu der besten
ausbildung waren vorhanden, und der einsichtige mann knauserte nicht
mit ihnen. in Stagira oder überhaupt in dem chalkidischen winkel ver-
kümmern, die von der hippokratischen wissenschaft längst überholte
väterliche praxis treiben wollte und sollte Aristoteles nicht. darum sollte
er sich in Athen der φιλοσοφία bemächtigen.

Es war die zeit, wo man nicht mehr darüber stritt, ob der junge
mann mehr lernen sollte, als die schule ihm bis zum ephebenalter dar-
bot. hatte die alte nationale bildung der Hellenen weiter nur noch für
die körperliche ausbildung gesorgt, weil der sohn der herrschenden classe
soldat sein muſste, sonst aber nur der beruf und das erwerbsleben den

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[317/0331] Kindheit. auf der hohen schule. bei den Ioniern. den spott und die verleumdung, die ihm daraus er- wachsen ist, konnte er verachten, und wenn ihm die hundephilosophie und das schmierige Pythagoristentum zeitlebens zuwider gewesen sind, so trug dazu das meiste seine höhere anschauung von der menschlichen gesellschaft und ihrer gesittung und wissenschaft bei. aber es gehört zu dem bilde des menschen, daſs wir ihn zwar den adel des blutes und des geldes verachten sehen, aber in seinen lebensgewohnheiten und seiner lebensführung, dem entsprechend auch in der maſsvollen schätzung der güter dieser welt, niemals den mann verleugnen, der mit den groſsen der welt und des praktischen, politischen und militärischen lebens wie mit seines gleichen verkehrt. So kam der blutjunge student 368/7 nach Athen, in die groſse stadt, in die groſse welt. er hat später erzählt, wie sie bei ihm zu hause das Pythion befragten, und dieses ihm den weg zu der philosophie wies: wir sehen die familie den reiseplan erwägen und in alter weise die entscheidung suchen. wenn ein jüngling fragte, εἰ λῷον καὶ ἄμεινον εἴη Ἀϑήναζε πλεῖν φιλοσοφήσοντα, so muſste der gott wol ja sagen; aber er dachte dabei schwerlich an die gedanken des aristo- telischen protreptikos. ebenso wäre es sehr verkehrt sich vorzustellen, daſs der jungling deshalb als student der philosophie nach Athen ge- zogen sein müſste, weil er der groſse philosoph geworden ist. die hohe schule bezog er freilich um παιδεία und φιλοσοφία zu treiben. aber was er werden sollte, war damit keinesweges gesagt. sein vormund wird wol eher an eine politisch-diplomatische zukunft gedacht haben, eine carriere, wie sie sein eigner sohn Nikanor nachmals gemacht hat. rede- und federgewandte Hellenen fanden allerorten, zumal aber an den kleinen höfen in Thrakien und Makedonien einträgliche und einfluſs- reiche stellungen. die eminente begabung und allseitige tüchtigkeit seines mündels wird Proxenos erkannt haben: die mittel zu der besten ausbildung waren vorhanden, und der einsichtige mann knauserte nicht mit ihnen. in Stagira oder überhaupt in dem chalkidischen winkel ver- kümmern, die von der hippokratischen wissenschaft längst überholte väterliche praxis treiben wollte und sollte Aristoteles nicht. darum sollte er sich in Athen der φιλοσοφία bemächtigen. Auf der hohen schule. Es war die zeit, wo man nicht mehr darüber stritt, ob der junge mann mehr lernen sollte, als die schule ihm bis zum ephebenalter dar- bot. hatte die alte nationale bildung der Hellenen weiter nur noch für die körperliche ausbildung gesorgt, weil der sohn der herrschenden classe soldat sein muſste, sonst aber nur der beruf und das erwerbsleben den

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/331>, abgerufen am 24.11.2024.