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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Attische poesie und die Poetik.
rhetorischen studien analog. und schwerlich würde so viel ganz unaristo-
telisches und ungriechisches in die Poetik hineingelegt worden sein,
wenn die aesthetiker an die eleoi des Thrasymachos und die wirkung
des logos der stilkünstler gedacht hätten, die mit dem zauber von Sirenen
Kirke und Gorgo oft genug verglichen wird.

Wer die stilistischen formen so hoch schätzt und so feines gefühl
für sie besitzt, der hat sich auch selbst in ihnen zu bewegen versucht.
nur die eigene übung lehrt verstehen, wie es gemacht wird. wenn die
vorträge des Aristoteles neben den tagebüchern des Hippokrates für uns
die ersten proben einer griechischen rede geben, die wirklich nur zeichen
für den gedanken ist, so enthalten sie doch auch schon fast die ganze
skala der darstellungsarten, die ein vortrag durchlaufen kann, bis zu der
grossen schlichten erhabenheit, z. b. im letzten buche der Ethik, die zu
den schwersten aufgaben gehört. grosse partien, z. b. der Tiergeschichte,
geben in ihrer vornehmen einfachheit ein muster wissenschaftlicher dar-
stellung, zu dem ich wieder nur hippokratische werke als vorläufer an-
führen kann, auch ein höchstes und schwerstes der stilistik. das ist der
echte Aristoteles, wie er auf eigenen füssen steht. nicht minder tut es
der einfach aber kunstvoll erzählende verfasser der Politie. sehr ver-
schiedene und meist fremde töne hat der jüngling angeschlagen. er
hat mit Platon wetteifern wollen, und zwar dem Platon des Phaidros,
und er hat sich auch in den formen der poesie versucht17): wir merken
überall den klugen des stiles sicheren kunstrichter, freuen uns an dem
menschen und bewundern die hellenische Muse, die es den ihren leicht
machte, zu sagen was sie litten. aber ein dichter ist Aristoteles nicht
gewesen, wie er es ja nicht hat sein wollen. ein gedicht, wie Platons
epigramme auf Dion oder Aster ist ihm nicht gelungen.

Neben Isokrates stand die eigentlich advocatische beredsamkeit, die
specifisch attische, die in Lysias ihren begründer hatte, einen wahrhaft
bewundernswerten meister in Hypereides finden sollte. für manche und
wahrlich unverächtliche kunstrichter ist dieser stil, der durch seine

er meidet es: in seinen jugendschriften hatte ihn das vorbild des meisters ver-
lockt. die fragmente des Eudemos zeigen eine sogar sehr starke, wie mich dünkt,
nicht gelungene poetische diction. schwerlich ist der dialog über die dichter ein
jugendwerk. die ansicht, dass er die dialoge alle als jüngling geschrieben hätte,
ist unbewiesen, und die Politie hat uns auch nach dieser seite die bahn frei ge-
macht. er konnte noch als schulhaupt vollkommen classisch schreiben und schrieb
auch damals für das grosse publicum.
17) Vgl. die beilage 'die gedichte des Aristoteles'.
21*

Attische poesie und die Poetik.
rhetorischen studien analog. und schwerlich würde so viel ganz unaristo-
telisches und ungriechisches in die Poetik hineingelegt worden sein,
wenn die aesthetiker an die ἔλεοι des Thrasymachos und die wirkung
des λόγος der stilkünstler gedacht hätten, die mit dem zauber von Sirenen
Kirke und Gorgo oft genug verglichen wird.

Wer die stilistischen formen so hoch schätzt und so feines gefühl
für sie besitzt, der hat sich auch selbst in ihnen zu bewegen versucht.
nur die eigene übung lehrt verstehen, wie es gemacht wird. wenn die
vorträge des Aristoteles neben den tagebüchern des Hippokrates für uns
die ersten proben einer griechischen rede geben, die wirklich nur zeichen
für den gedanken ist, so enthalten sie doch auch schon fast die ganze
skala der darstellungsarten, die ein vortrag durchlaufen kann, bis zu der
groſsen schlichten erhabenheit, z. b. im letzten buche der Ethik, die zu
den schwersten aufgaben gehört. groſse partien, z. b. der Tiergeschichte,
geben in ihrer vornehmen einfachheit ein muster wissenschaftlicher dar-
stellung, zu dem ich wieder nur hippokratische werke als vorläufer an-
führen kann, auch ein höchstes und schwerstes der stilistik. das ist der
echte Aristoteles, wie er auf eigenen füſsen steht. nicht minder tut es
der einfach aber kunstvoll erzählende verfasser der Politie. sehr ver-
schiedene und meist fremde töne hat der jüngling angeschlagen. er
hat mit Platon wetteifern wollen, und zwar dem Platon des Phaidros,
und er hat sich auch in den formen der poesie versucht17): wir merken
überall den klugen des stiles sicheren kunstrichter, freuen uns an dem
menschen und bewundern die hellenische Muse, die es den ihren leicht
machte, zu sagen was sie litten. aber ein dichter ist Aristoteles nicht
gewesen, wie er es ja nicht hat sein wollen. ein gedicht, wie Platons
epigramme auf Dion oder Aster ist ihm nicht gelungen.

Neben Isokrates stand die eigentlich advocatische beredsamkeit, die
specifisch attische, die in Lysias ihren begründer hatte, einen wahrhaft
bewundernswerten meister in Hypereides finden sollte. für manche und
wahrlich unverächtliche kunstrichter ist dieser stil, der durch seine

er meidet es: in seinen jugendschriften hatte ihn das vorbild des meisters ver-
lockt. die fragmente des Eudemos zeigen eine sogar sehr starke, wie mich dünkt,
nicht gelungene poetische diction. schwerlich ist der dialog über die dichter ein
jugendwerk. die ansicht, daſs er die dialoge alle als jüngling geschrieben hätte,
ist unbewiesen, und die Politie hat uns auch nach dieser seite die bahn frei ge-
macht. er konnte noch als schulhaupt vollkommen classisch schreiben und schrieb
auch damals für das groſse publicum.
17) Vgl. die beilage ‘die gedichte des Aristoteles’.
21*
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[323/0337] Attische poesie und die Poetik. rhetorischen studien analog. und schwerlich würde so viel ganz unaristo- telisches und ungriechisches in die Poetik hineingelegt worden sein, wenn die aesthetiker an die ἔλεοι des Thrasymachos und die wirkung des λόγος der stilkünstler gedacht hätten, die mit dem zauber von Sirenen Kirke und Gorgo oft genug verglichen wird. Wer die stilistischen formen so hoch schätzt und so feines gefühl für sie besitzt, der hat sich auch selbst in ihnen zu bewegen versucht. nur die eigene übung lehrt verstehen, wie es gemacht wird. wenn die vorträge des Aristoteles neben den tagebüchern des Hippokrates für uns die ersten proben einer griechischen rede geben, die wirklich nur zeichen für den gedanken ist, so enthalten sie doch auch schon fast die ganze skala der darstellungsarten, die ein vortrag durchlaufen kann, bis zu der groſsen schlichten erhabenheit, z. b. im letzten buche der Ethik, die zu den schwersten aufgaben gehört. groſse partien, z. b. der Tiergeschichte, geben in ihrer vornehmen einfachheit ein muster wissenschaftlicher dar- stellung, zu dem ich wieder nur hippokratische werke als vorläufer an- führen kann, auch ein höchstes und schwerstes der stilistik. das ist der echte Aristoteles, wie er auf eigenen füſsen steht. nicht minder tut es der einfach aber kunstvoll erzählende verfasser der Politie. sehr ver- schiedene und meist fremde töne hat der jüngling angeschlagen. er hat mit Platon wetteifern wollen, und zwar dem Platon des Phaidros, und er hat sich auch in den formen der poesie versucht 17): wir merken überall den klugen des stiles sicheren kunstrichter, freuen uns an dem menschen und bewundern die hellenische Muse, die es den ihren leicht machte, zu sagen was sie litten. aber ein dichter ist Aristoteles nicht gewesen, wie er es ja nicht hat sein wollen. ein gedicht, wie Platons epigramme auf Dion oder Aster ist ihm nicht gelungen. Neben Isokrates stand die eigentlich advocatische beredsamkeit, die specifisch attische, die in Lysias ihren begründer hatte, einen wahrhaft bewundernswerten meister in Hypereides finden sollte. für manche und wahrlich unverächtliche kunstrichter ist dieser stil, der durch seine 16) 17) Vgl. die beilage ‘die gedichte des Aristoteles’. 16) er meidet es: in seinen jugendschriften hatte ihn das vorbild des meisters ver- lockt. die fragmente des Eudemos zeigen eine sogar sehr starke, wie mich dünkt, nicht gelungene poetische diction. schwerlich ist der dialog über die dichter ein jugendwerk. die ansicht, daſs er die dialoge alle als jüngling geschrieben hätte, ist unbewiesen, und die Politie hat uns auch nach dieser seite die bahn frei ge- macht. er konnte noch als schulhaupt vollkommen classisch schreiben und schrieb auch damals für das groſse publicum. 21*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/337>, abgerufen am 24.11.2024.