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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 6. Das siebente pythische gedicht des Pindaros.
Athen ist als staat so berühmt wie die Alkmeoniden als geschlecht. und
das wird begründet damit, dass die Erekhtheos astoi, die den delphischen
tempel gebaut haben, in aller welt bekannt sind, und dass die statt-
liche zahl von siegen der Alkmeoniden den Pindar zum dichten antreibt.
es geht nicht an, in Erekhtheos aston oi die Alkmeoniden zu verstehn
und den genetiv partitiv zu fassen: sonst begründet dieser satz die be-
hauptung nicht, die eine doppelte war, stadt und geschlecht wären
berühmt. für das geschlecht folgen die siege als beweis: was vorher
steht, geht notwendig die vaterstadt an. Athen also hat den ruhm des
tempelbaus. aber den haben ja, wie wir wissen, die Alkmeoniden gebaut.
ohne zweifel; aber die geschichtliche wahrheit darf uns nicht die poetische
erfindung zerstören. der dichter sagt es von Athen: wenn die hörer
sagen, 'das ist ja aber das werk der Alkmeoniden', um so besser, so
ist Alkmeonidenruhm und Athenerruhm identisch, und der neid, der
kala werga ameibetai ist um so ärger. in Delphi stand zudem die
Athenerhalle, stand das stolze weihgeschenk für die Marathonschlacht als
gaben des volkes, und gewiss war der tempel voll von privaten geschenken,
da der gott seit 510 sich der demokratie angenommen hatte. Pindaros
sagt nicht 'sie bauten den tempel', sondern thaeton eteuxan. aber
freilich, was könnte gegen die marmorfacade aufkommen, die die Alkmeo-
niden errichtet hatten; marmortempel waren auf dem festlande noch
selten genug. also beabsichtigt ist allerdings die wirkung, dass der
hörer sich sage "das weshalb man von Athen in allen städten redet,
ist ein werk der Alkmeoniden". sie haben Athen gross gemacht, das
will er den Hellenen einschärfen; Herodotos hat das ja 50 jahre später
ähnlich ausgeführt. der redet allerdings von der demokratie, die Kleisthenes
gebracht hat, und er hält es deshalb für undenkbar, dass die Alkmeo-
niden 490 Athen hätten verraten wollen. davon darf man bei Pindar
nichts erwarten, weder um seiner selbst willen, denn er hat die demo-
kratie zeitlebens gehasst, noch um des Megakles willen, der als tyrannen-
freund von den demokraten, Aristeides und Themistokles, beseitigt war.
die situation erschien 486 nicht viel anders, als sie für die Alkmeoniden
vor 510 gelegen hatte: das geschlecht repraesentirt eine partei, die zur zeit
unterlegen ist, aber gleich mächtig in der fremde lebt, des umschlages
harrend. allein auch als landflüchtiger verläugnet der Alkmeonide sein
vaterland nicht: sie gehören zu einander. mochte der Philaide in der
Chersones, der Peisistratide in Sigeion eine herrschaft suchen: er hält zu
Athen, auch wenn er seinen boden meiden muss. ihm ist der ruhm
Athens das liebste lob für seinen sieg. das ist wahr von den Alkmeo-

III. 6. Das siebente pythische gedicht des Pindaros.
Athen ist als staat so berühmt wie die Alkmeoniden als geschlecht. und
das wird begründet damit, daſs die Ἐϱεχϑέος ἀστοί, die den delphischen
tempel gebaut haben, in aller welt bekannt sind, und daſs die statt-
liche zahl von siegen der Alkmeoniden den Pindar zum dichten antreibt.
es geht nicht an, in Ἐϱεχϑέος ἀστῶν οἳ die Alkmeoniden zu verstehn
und den genetiv partitiv zu fassen: sonst begründet dieser satz die be-
hauptung nicht, die eine doppelte war, stadt und geschlecht wären
berühmt. für das geschlecht folgen die siege als beweis: was vorher
steht, geht notwendig die vaterstadt an. Athen also hat den ruhm des
tempelbaus. aber den haben ja, wie wir wissen, die Alkmeoniden gebaut.
ohne zweifel; aber die geschichtliche wahrheit darf uns nicht die poetische
erfindung zerstören. der dichter sagt es von Athen: wenn die hörer
sagen, ‘das ist ja aber das werk der Alkmeoniden’, um so besser, so
ist Alkmeonidenruhm und Athenerruhm identisch, und der neid, der
καλὰ ϝέϱγα ἀμείβεται ist um so ärger. in Delphi stand zudem die
Athenerhalle, stand das stolze weihgeschenk für die Marathonschlacht als
gaben des volkes, und gewiſs war der tempel voll von privaten geschenken,
da der gott seit 510 sich der demokratie angenommen hatte. Pindaros
sagt nicht ‘sie bauten den tempel’, sondern ϑαητὸν ἔτευξαν. aber
freilich, was könnte gegen die marmorfaçade aufkommen, die die Alkmeo-
niden errichtet hatten; marmortempel waren auf dem festlande noch
selten genug. also beabsichtigt ist allerdings die wirkung, daſs der
hörer sich sage “das weshalb man von Athen in allen städten redet,
ist ein werk der Alkmeoniden”. sie haben Athen groſs gemacht, das
will er den Hellenen einschärfen; Herodotos hat das ja 50 jahre später
ähnlich ausgeführt. der redet allerdings von der demokratie, die Kleisthenes
gebracht hat, und er hält es deshalb für undenkbar, daſs die Alkmeo-
niden 490 Athen hätten verraten wollen. davon darf man bei Pindar
nichts erwarten, weder um seiner selbst willen, denn er hat die demo-
kratie zeitlebens gehaſst, noch um des Megakles willen, der als tyrannen-
freund von den demokraten, Aristeides und Themistokles, beseitigt war.
die situation erschien 486 nicht viel anders, als sie für die Alkmeoniden
vor 510 gelegen hatte: das geschlecht repraesentirt eine partei, die zur zeit
unterlegen ist, aber gleich mächtig in der fremde lebt, des umschlages
harrend. allein auch als landflüchtiger verläugnet der Alkmeonide sein
vaterland nicht: sie gehören zu einander. mochte der Philaide in der
Chersones, der Peisistratide in Sigeion eine herrschaft suchen: er hält zu
Athen, auch wenn er seinen boden meiden muſs. ihm ist der ruhm
Athens das liebste lob für seinen sieg. das ist wahr von den Alkmeo-

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[327/0337] III. 6. Das siebente pythische gedicht des Pindaros. Athen ist als staat so berühmt wie die Alkmeoniden als geschlecht. und das wird begründet damit, daſs die Ἐϱεχϑέος ἀστοί, die den delphischen tempel gebaut haben, in aller welt bekannt sind, und daſs die statt- liche zahl von siegen der Alkmeoniden den Pindar zum dichten antreibt. es geht nicht an, in Ἐϱεχϑέος ἀστῶν οἳ die Alkmeoniden zu verstehn und den genetiv partitiv zu fassen: sonst begründet dieser satz die be- hauptung nicht, die eine doppelte war, stadt und geschlecht wären berühmt. für das geschlecht folgen die siege als beweis: was vorher steht, geht notwendig die vaterstadt an. Athen also hat den ruhm des tempelbaus. aber den haben ja, wie wir wissen, die Alkmeoniden gebaut. ohne zweifel; aber die geschichtliche wahrheit darf uns nicht die poetische erfindung zerstören. der dichter sagt es von Athen: wenn die hörer sagen, ‘das ist ja aber das werk der Alkmeoniden’, um so besser, so ist Alkmeonidenruhm und Athenerruhm identisch, und der neid, der καλὰ ϝέϱγα ἀμείβεται ist um so ärger. in Delphi stand zudem die Athenerhalle, stand das stolze weihgeschenk für die Marathonschlacht als gaben des volkes, und gewiſs war der tempel voll von privaten geschenken, da der gott seit 510 sich der demokratie angenommen hatte. Pindaros sagt nicht ‘sie bauten den tempel’, sondern ϑαητὸν ἔτευξαν. aber freilich, was könnte gegen die marmorfaçade aufkommen, die die Alkmeo- niden errichtet hatten; marmortempel waren auf dem festlande noch selten genug. also beabsichtigt ist allerdings die wirkung, daſs der hörer sich sage “das weshalb man von Athen in allen städten redet, ist ein werk der Alkmeoniden”. sie haben Athen groſs gemacht, das will er den Hellenen einschärfen; Herodotos hat das ja 50 jahre später ähnlich ausgeführt. der redet allerdings von der demokratie, die Kleisthenes gebracht hat, und er hält es deshalb für undenkbar, daſs die Alkmeo- niden 490 Athen hätten verraten wollen. davon darf man bei Pindar nichts erwarten, weder um seiner selbst willen, denn er hat die demo- kratie zeitlebens gehaſst, noch um des Megakles willen, der als tyrannen- freund von den demokraten, Aristeides und Themistokles, beseitigt war. die situation erschien 486 nicht viel anders, als sie für die Alkmeoniden vor 510 gelegen hatte: das geschlecht repraesentirt eine partei, die zur zeit unterlegen ist, aber gleich mächtig in der fremde lebt, des umschlages harrend. allein auch als landflüchtiger verläugnet der Alkmeonide sein vaterland nicht: sie gehören zu einander. mochte der Philaide in der Chersones, der Peisistratide in Sigeion eine herrschaft suchen: er hält zu Athen, auch wenn er seinen boden meiden muſs. ihm ist der ruhm Athens das liebste lob für seinen sieg. das ist wahr von den Alkmeo-

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/337>, abgerufen am 24.11.2024.