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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Vorrede.
habe. Eben so muß diejenige Vase neu seyn, von welcher Spon
in einer besondern Schrift handelt 1), wie es der Augenschein den
Kennern des Alterthums und des guten Geschmacks giebt.

Die mehresten Vergehungen der Gelehrten in Sachen der
Alterthümer rühren aus Unachtsamkeit der Ergänzungen her:
denn man hat die Zusätze anstatt der verstümmelten und verlohrnen
Stücke von dem wahren Alten nicht zu unterscheiden verstanden.
Ueber dergleichen Vergehungen wäre ein großes Buch zu schrei-
ben: denn die gelehrtesten Antiquarii haben in diesem Stücke ge-
fehlet. Fabretti wollte aus einer erhobenen Arbeit im Palla-
ste Mattei, welche eine Jagd des Kaisers Gallienus vorstellet 2),
beweisen, daß damals schon Hufeisen, nach heutiger Art angena-
gelt, in Gebrauch gekommen 3); und er hat nicht gekannt, daß
das Bein des Pferdes von einem unerfahrnen Bildhauer ergän-
zet worden. Die Ergänzungen haben zu lächerlichen Auslegun-
gen Anlaß gegeben. Montfaucon, zum Exempel, deutet 4) ei-
ne Rolle, oder einen Stab, welcher neu ist, in der Hand des
Castors oder Pollux, in der Villa Borghese, auf die Gesetze der
Spiele in Wettläufen zu Pferde, und in einer ähnlichen neu an-
gesetzten Rolle, welche der Mercurius in der Villa Ludovisi hält,
findet derselbe eine schwer zu erklärende Allegorie; so wie Tri-
stan
auf dem berühmten Agath zu St. Denis, einen Riem an
einem Schilde, welchen der vermeynte Germanicus hält, für
Friedensartikel angesehen 5). Das heißt, St. Michael eine

Ceres
1) Discours sur une piece ant. du Cab. de Iac. Spon.
2) Bartoli Admirand. ant. Tab. 24.
3) Fabret. de Column. Traj. c. 7. p. 225. conf. Montfauc. Antiqu. explic.
T. 4. p.
79.
4) Idem Antiqu. expl. T. I. p. 297.
5) Comment. hist. T. I. p. 106.
c

Vorrede.
habe. Eben ſo muß diejenige Vaſe neu ſeyn, von welcher Spon
in einer beſondern Schrift handelt 1), wie es der Augenſchein den
Kennern des Alterthums und des guten Geſchmacks giebt.

Die mehreſten Vergehungen der Gelehrten in Sachen der
Alterthuͤmer ruͤhren aus Unachtſamkeit der Ergaͤnzungen her:
denn man hat die Zuſaͤtze anſtatt der verſtuͤmmelten und verlohrnen
Stuͤcke von dem wahren Alten nicht zu unterſcheiden verſtanden.
Ueber dergleichen Vergehungen waͤre ein großes Buch zu ſchrei-
ben: denn die gelehrteſten Antiquarii haben in dieſem Stuͤcke ge-
fehlet. Fabretti wollte aus einer erhobenen Arbeit im Palla-
ſte Mattei, welche eine Jagd des Kaiſers Gallienus vorſtellet 2),
beweiſen, daß damals ſchon Hufeiſen, nach heutiger Art angena-
gelt, in Gebrauch gekommen 3); und er hat nicht gekannt, daß
das Bein des Pferdes von einem unerfahrnen Bildhauer ergaͤn-
zet worden. Die Ergaͤnzungen haben zu laͤcherlichen Auslegun-
gen Anlaß gegeben. Montfaucon, zum Exempel, deutet 4) ei-
ne Rolle, oder einen Stab, welcher neu iſt, in der Hand des
Caſtors oder Pollux, in der Villa Borgheſe, auf die Geſetze der
Spiele in Wettlaͤufen zu Pferde, und in einer aͤhnlichen neu an-
geſetzten Rolle, welche der Mercurius in der Villa Ludoviſi haͤlt,
findet derſelbe eine ſchwer zu erklaͤrende Allegorie; ſo wie Tri-
ſtan
auf dem beruͤhmten Agath zu St. Denis, einen Riem an
einem Schilde, welchen der vermeynte Germanicus haͤlt, fuͤr
Friedensartikel angeſehen 5). Das heißt, St. Michael eine

Ceres
1) Diſcours ſur une piece ant. du Cab. de Iac. Spon.
2) Bartoli Admirand. ant. Tab. 24.
3) Fabret. de Column. Traj. c. 7. p. 225. conf. Montfauc. Antiqu. explic.
T. 4. p.
79.
4) Idem Antiqu. expl. T. I. p. 297.
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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. XVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/15>, abgerufen am 29.04.2024.