Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

I Theil. Viertes Capitel.
drey Stücke, das Unterkleid, der Rock und der Mantel zu merken, deren
Form die allernatürlichste ist, die sich gedenken läßt. In den ältesten Zei-
ten war die Weibliche Tracht unter allen Griechen eben dieselbe, das ist,
die Dorische 1); in folgenden Zeiten unterschieden sich die Jonier von den
übrigen; die Künstler aber scheinen sich in Göttlichen und Heroischen Fi-
guren an die älteste Tracht vornehmlich gehalten zu haben.

a Von dem
Unterkleide.

Das Unterkleid, welches statt unsers Hemdes war, sieht man an
entkleideten oder schlafenden Figuren, wie an der Farnesischen Flora, an
den Statuen der Amazonen im Campidoglio und in der Villa Mattei, an
der fälschlich sogenannten Cleopatra in der Villa Medicis, und an einem
schönen Hermaphroditen im Pallaste Farnese. Auch die jüngste Tochter
der Niobe, die sich in den Schooß der Mutter wirft, hat nur das Unter-
kleid; und dieses hieß bey den Griechen Khiton 2), und die allein im Un-
terkleide waren, hießen monopeploi 3). Es war, wie an angeführten Figu-
ren erscheinet, von Leinewand, oder von sehr leichtem Zeuge, ohne Ermel,
so daß es auf den Achseln vermittelst eines Knopfs zusammenhieng, und
bedeckete die ganze Brust, wenn es nicht von der Achsel abgelöset war.
Oben am Halse scheinet zuweilen ein gekräuselter Streifen von feinerem
Zeuge angenähet gewesen zu seyn, welches aus Lycophrons Beschreibung
des Männerhemdes 4), worein Clytemnestra den Agamemnon verwickelt,
um so viel mehr auf Unterkleider der Weiber kann geschlossen werden.

b Von der
Schnürbrust.

Die Mädgens scheinen über ihr Unterkleid sich unter der Brust mit
einer Binde fest geschnüret zu haben, um ihr Gewächs geschlang zu machen,
zu erhalten, und sichtbarer zu zeigen, und diese Art von Schnürbrust hieß
bey den Griechen sethodesmos 5), und bey den Römern Castula 6).

Man
1) Herodot. L. 1. p. 3. l. 18.
2) Achil. Tat. Erot. L. 1. p. 9. l. 3.
3) Eurip. Hecub. v. 933.
4) Alex. v. 1100, conf. Casaub. Anim. in Suet. p. 28. D.
5) Salmas. Not. in Achil. Tat. Erot. p. 543.
6) Non. Marcel. c. 16. n. 5.

I Theil. Viertes Capitel.
drey Stuͤcke, das Unterkleid, der Rock und der Mantel zu merken, deren
Form die allernatuͤrlichſte iſt, die ſich gedenken laͤßt. In den aͤlteſten Zei-
ten war die Weibliche Tracht unter allen Griechen eben dieſelbe, das iſt,
die Doriſche 1); in folgenden Zeiten unterſchieden ſich die Jonier von den
uͤbrigen; die Kuͤnſtler aber ſcheinen ſich in Goͤttlichen und Heroiſchen Fi-
guren an die aͤlteſte Tracht vornehmlich gehalten zu haben.

a Von dem
Unterkleide.

Das Unterkleid, welches ſtatt unſers Hemdes war, ſieht man an
entkleideten oder ſchlafenden Figuren, wie an der Farneſiſchen Flora, an
den Statuen der Amazonen im Campidoglio und in der Villa Mattei, an
der faͤlſchlich ſogenannten Cleopatra in der Villa Medicis, und an einem
ſchoͤnen Hermaphroditen im Pallaſte Farneſe. Auch die juͤngſte Tochter
der Niobe, die ſich in den Schooß der Mutter wirft, hat nur das Unter-
kleid; und dieſes hieß bey den Griechen Χιτών 2), und die allein im Un-
terkleide waren, hießen μονόπεπλοι 3). Es war, wie an angefuͤhrten Figu-
ren erſcheinet, von Leinewand, oder von ſehr leichtem Zeuge, ohne Ermel,
ſo daß es auf den Achſeln vermittelſt eines Knopfs zuſammenhieng, und
bedeckete die ganze Bruſt, wenn es nicht von der Achſel abgeloͤſet war.
Oben am Halſe ſcheinet zuweilen ein gekraͤuſelter Streifen von feinerem
Zeuge angenaͤhet geweſen zu ſeyn, welches aus Lycophrons Beſchreibung
des Maͤnnerhemdes 4), worein Clytemneſtra den Agamemnon verwickelt,
um ſo viel mehr auf Unterkleider der Weiber kann geſchloſſen werden.

b Von der
Schnuͤrbruſt.

Die Maͤdgens ſcheinen uͤber ihr Unterkleid ſich unter der Bruſt mit
einer Binde feſt geſchnuͤret zu haben, um ihr Gewaͤchs geſchlang zu machen,
zu erhalten, und ſichtbarer zu zeigen, und dieſe Art von Schnuͤrbruſt hieß
bey den Griechen ςηϑόδεσμος 5), und bey den Roͤmern Caſtula 6).

Man
1) Herodot. L. 1. p. 3. l. 18.
2) Achil. Tat. Erot. L. 1. p. 9. l. 3.
3) Eurip. Hecub. v. 933.
4) Alex. v. 1100, conf. Caſaub. Anim. in Suet. p. 28. D.
5) Salmaſ. Not. in Achil. Tat. Erot. p. 543.
6) Non. Marcel. c. 16. n. 5.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0244" n="194"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Theil. Viertes Capitel.</hi></fw><lb/>
drey Stu&#x0364;cke, das Unterkleid, der Rock und der Mantel zu merken, deren<lb/>
Form die allernatu&#x0364;rlich&#x017F;te i&#x017F;t, die &#x017F;ich gedenken la&#x0364;ßt. In den a&#x0364;lte&#x017F;ten Zei-<lb/>
ten war die Weibliche Tracht unter allen Griechen eben die&#x017F;elbe, das i&#x017F;t,<lb/>
die Dori&#x017F;che <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Herodot. L. 1. p. 3. l.</hi> 18.</note>; in folgenden Zeiten unter&#x017F;chieden &#x017F;ich die Jonier von den<lb/>
u&#x0364;brigen; die Ku&#x0364;n&#x017F;tler aber &#x017F;cheinen &#x017F;ich in Go&#x0364;ttlichen und Heroi&#x017F;chen Fi-<lb/>
guren an die a&#x0364;lte&#x017F;te Tracht vornehmlich gehalten zu haben.</p><lb/>
              <note place="left"><hi rendition="#aq">a</hi> Von dem<lb/>
Unterkleide.</note>
              <p>Das Unterkleid, welches &#x017F;tatt un&#x017F;ers Hemdes war, &#x017F;ieht man an<lb/>
entkleideten oder &#x017F;chlafenden Figuren, wie an der Farne&#x017F;i&#x017F;chen Flora, an<lb/>
den Statuen der Amazonen im Campidoglio und in der Villa Mattei, an<lb/>
der fa&#x0364;l&#x017F;chlich &#x017F;ogenannten Cleopatra in der Villa Medicis, und an einem<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Hermaphroditen im Palla&#x017F;te Farne&#x017F;e. Auch die ju&#x0364;ng&#x017F;te Tochter<lb/>
der Niobe, die &#x017F;ich in den Schooß der Mutter wirft, hat nur das Unter-<lb/>
kleid; und die&#x017F;es hieß bey den Griechen &#x03A7;&#x03B9;&#x03C4;&#x03CE;&#x03BD; <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Achil. Tat. Erot. L. 1. p. 9. l.</hi> 3.</note>, und die allein im Un-<lb/>
terkleide waren, hießen &#x03BC;&#x03BF;&#x03BD;&#x03CC;&#x03C0;&#x03B5;&#x03C0;&#x03BB;&#x03BF;&#x03B9; <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">Eurip. Hecub. v.</hi> 933.</note>. Es war, wie an angefu&#x0364;hrten Figu-<lb/>
ren er&#x017F;cheinet, von Leinewand, oder von &#x017F;ehr leichtem Zeuge, ohne Ermel,<lb/>
&#x017F;o daß es auf den Ach&#x017F;eln vermittel&#x017F;t eines Knopfs zu&#x017F;ammenhieng, und<lb/>
bedeckete die ganze Bru&#x017F;t, wenn es nicht von der Ach&#x017F;el abgelo&#x0364;&#x017F;et war.<lb/>
Oben am Hal&#x017F;e &#x017F;cheinet zuweilen ein gekra&#x0364;u&#x017F;elter Streifen von feinerem<lb/>
Zeuge angena&#x0364;het gewe&#x017F;en zu &#x017F;eyn, welches aus Lycophrons Be&#x017F;chreibung<lb/>
des Ma&#x0364;nnerhemdes <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#aq">Alex. v. 1100, conf. Ca&#x017F;aub. Anim. in Suet. p. 28. D.</hi></note>, worein Clytemne&#x017F;tra den Agamemnon verwickelt,<lb/>
um &#x017F;o viel mehr auf Unterkleider der Weiber kann ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden.</p><lb/>
              <note place="left"><hi rendition="#aq">b</hi> Von der<lb/>
Schnu&#x0364;rbru&#x017F;t.</note>
              <p>Die Ma&#x0364;dgens &#x017F;cheinen u&#x0364;ber ihr Unterkleid &#x017F;ich unter der Bru&#x017F;t mit<lb/>
einer Binde fe&#x017F;t ge&#x017F;chnu&#x0364;ret zu haben, um ihr Gewa&#x0364;chs ge&#x017F;chlang zu machen,<lb/>
zu erhalten, und &#x017F;ichtbarer zu zeigen, und die&#x017F;e Art von Schnu&#x0364;rbru&#x017F;t hieß<lb/>
bey den Griechen &#x03C2;&#x03B7;&#x03D1;&#x03CC;&#x03B4;&#x03B5;&#x03C3;&#x03BC;&#x03BF;&#x03C2; <note place="foot" n="5)"><hi rendition="#aq">Salma&#x017F;. Not. in Achil. Tat. Erot. p.</hi> 543.</note>, und bey den Ro&#x0364;mern <hi rendition="#fr">Ca&#x017F;tula</hi> <note place="foot" n="6)"><hi rendition="#aq">Non. Marcel. c. 16. n.</hi> 5.</note>.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Man</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0244] I Theil. Viertes Capitel. drey Stuͤcke, das Unterkleid, der Rock und der Mantel zu merken, deren Form die allernatuͤrlichſte iſt, die ſich gedenken laͤßt. In den aͤlteſten Zei- ten war die Weibliche Tracht unter allen Griechen eben dieſelbe, das iſt, die Doriſche 1); in folgenden Zeiten unterſchieden ſich die Jonier von den uͤbrigen; die Kuͤnſtler aber ſcheinen ſich in Goͤttlichen und Heroiſchen Fi- guren an die aͤlteſte Tracht vornehmlich gehalten zu haben. Das Unterkleid, welches ſtatt unſers Hemdes war, ſieht man an entkleideten oder ſchlafenden Figuren, wie an der Farneſiſchen Flora, an den Statuen der Amazonen im Campidoglio und in der Villa Mattei, an der faͤlſchlich ſogenannten Cleopatra in der Villa Medicis, und an einem ſchoͤnen Hermaphroditen im Pallaſte Farneſe. Auch die juͤngſte Tochter der Niobe, die ſich in den Schooß der Mutter wirft, hat nur das Unter- kleid; und dieſes hieß bey den Griechen Χιτών 2), und die allein im Un- terkleide waren, hießen μονόπεπλοι 3). Es war, wie an angefuͤhrten Figu- ren erſcheinet, von Leinewand, oder von ſehr leichtem Zeuge, ohne Ermel, ſo daß es auf den Achſeln vermittelſt eines Knopfs zuſammenhieng, und bedeckete die ganze Bruſt, wenn es nicht von der Achſel abgeloͤſet war. Oben am Halſe ſcheinet zuweilen ein gekraͤuſelter Streifen von feinerem Zeuge angenaͤhet geweſen zu ſeyn, welches aus Lycophrons Beſchreibung des Maͤnnerhemdes 4), worein Clytemneſtra den Agamemnon verwickelt, um ſo viel mehr auf Unterkleider der Weiber kann geſchloſſen werden. Die Maͤdgens ſcheinen uͤber ihr Unterkleid ſich unter der Bruſt mit einer Binde feſt geſchnuͤret zu haben, um ihr Gewaͤchs geſchlang zu machen, zu erhalten, und ſichtbarer zu zeigen, und dieſe Art von Schnuͤrbruſt hieß bey den Griechen ςηϑόδεσμος 5), und bey den Roͤmern Caſtula 6). Man 1) Herodot. L. 1. p. 3. l. 18. 2) Achil. Tat. Erot. L. 1. p. 9. l. 3. 3) Eurip. Hecub. v. 933. 4) Alex. v. 1100, conf. Caſaub. Anim. in Suet. p. 28. D. 5) Salmaſ. Not. in Achil. Tat. Erot. p. 543. 6) Non. Marcel. c. 16. n. 5.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/244
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/244>, abgerufen am 25.11.2024.