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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.
können. Perrault 1), welcher den großkörnigten für Parischen Marmor
hält, hat sich nicht weniger geirret; er konnte aber dieses, ohne aus Frank-
reich gegangen zu seyn, nicht wissen. Die großen Körner im Marmor
glänzen wie Steinsalz, und ein gewisser Marmor, welcher Salinum heißt,
scheinet eben derselbe zu seyn, und seine Benennung vom Salze bekom-
men zu haben.

Von der Art der Ausarbeitung ist zu erst allgemein, und hernachII.
Von der
Ausarbeitung
der Bildhauer.

insbesondere von der Materie, dem Elfenbeine, dem Steine, und so viel
man von der Arbeit in Erzt wissen kann, zu reden. Was die Ausarbei-A.
Ueberhaupt.

tung überhaupt betrifft, so ist uns von einer besondern Art, in welcher die
Griechischen Bildhauer verschieden von den neuern Künstlern, und von
unserer Vorstellung, können gearbeitet haben, nichts besonders bekannt;
gewiß aber ist, daß sie zu ihren Werken Modelle gemacht. Ein berühm-
ter Scribent glaubet 2), Diodorus habe das Gegentheil anzeigen wollen,
wo derselbe sagt, daß die Aegyptischen Künstler nach einem richtigen Maaße
gearbeitet, die Griechen aber nach dem Augenmaaße geurtheilet haben.
Das Gegentheil von dieser Meynung kann ein geschnittener Stein im
Stoßischen Museo darthun 3), auf welchem Prometheus den Menschen, wel-
chen er bildet, mit dem Bleye ausmißt. Man weis, wie hoch die Mo-
delle des berühmten Arcesilaus, welcher wenige Jahre vor dem Diodorus
geblühet hat, geschätzet wurden; und wie viel Modelle von gebranntem
Thone haben sich erhalten, und werden noch täglich gefunden! Der Bild-
hauer muß mit Maaß und Zirkel arbeiten; der Maler aber soll das Maaß
im Auge haben.

Die mehresten Statuen von Marmor sind aus einem Stücke gear-
beitet, und Plato giebt seiner Republik so gar ein Gesetz, die Statuen

aus
1) Paral. des anc. & mod. Dial. 2.
2) Caylus sur quelq. passag. de Pline sur les arts, p. 285.
3) Deser. des Pier. gr. du Cab. de Stosch, p. 315. n. 6.
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Von der Kunſt unter den Griechen.
koͤnnen. Perrault 1), welcher den großkoͤrnigten fuͤr Pariſchen Marmor
haͤlt, hat ſich nicht weniger geirret; er konnte aber dieſes, ohne aus Frank-
reich gegangen zu ſeyn, nicht wiſſen. Die großen Koͤrner im Marmor
glaͤnzen wie Steinſalz, und ein gewiſſer Marmor, welcher Salinum heißt,
ſcheinet eben derſelbe zu ſeyn, und ſeine Benennung vom Salze bekom-
men zu haben.

Von der Art der Ausarbeitung iſt zu erſt allgemein, und hernachII.
Von der
Ausarbeitung
der Bildhauer.

insbeſondere von der Materie, dem Elfenbeine, dem Steine, und ſo viel
man von der Arbeit in Erzt wiſſen kann, zu reden. Was die Ausarbei-A.
Ueberhaupt.

tung uͤberhaupt betrifft, ſo iſt uns von einer beſondern Art, in welcher die
Griechiſchen Bildhauer verſchieden von den neuern Kuͤnſtlern, und von
unſerer Vorſtellung, koͤnnen gearbeitet haben, nichts beſonders bekannt;
gewiß aber iſt, daß ſie zu ihren Werken Modelle gemacht. Ein beruͤhm-
ter Scribent glaubet 2), Diodorus habe das Gegentheil anzeigen wollen,
wo derſelbe ſagt, daß die Aegyptiſchen Kuͤnſtler nach einem richtigen Maaße
gearbeitet, die Griechen aber nach dem Augenmaaße geurtheilet haben.
Das Gegentheil von dieſer Meynung kann ein geſchnittener Stein im
Stoßiſchen Muſeo darthun 3), auf welchem Prometheus den Menſchen, wel-
chen er bildet, mit dem Bleye ausmißt. Man weis, wie hoch die Mo-
delle des beruͤhmten Arceſilaus, welcher wenige Jahre vor dem Diodorus
gebluͤhet hat, geſchaͤtzet wurden; und wie viel Modelle von gebranntem
Thone haben ſich erhalten, und werden noch taͤglich gefunden! Der Bild-
hauer muß mit Maaß und Zirkel arbeiten; der Maler aber ſoll das Maaß
im Auge haben.

Die mehreſten Statuen von Marmor ſind aus einem Stuͤcke gear-
beitet, und Plato giebt ſeiner Republik ſo gar ein Geſetz, die Statuen

aus
1) Paral. des anc. & mod. Dial. 2.
2) Caylus ſur quelq. paſſag. de Pline ſur les arts, p. 285.
3) Deſer. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 315. n. 6.
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[251/0301] Von der Kunſt unter den Griechen. koͤnnen. Perrault 1), welcher den großkoͤrnigten fuͤr Pariſchen Marmor haͤlt, hat ſich nicht weniger geirret; er konnte aber dieſes, ohne aus Frank- reich gegangen zu ſeyn, nicht wiſſen. Die großen Koͤrner im Marmor glaͤnzen wie Steinſalz, und ein gewiſſer Marmor, welcher Salinum heißt, ſcheinet eben derſelbe zu ſeyn, und ſeine Benennung vom Salze bekom- men zu haben. Von der Art der Ausarbeitung iſt zu erſt allgemein, und hernach insbeſondere von der Materie, dem Elfenbeine, dem Steine, und ſo viel man von der Arbeit in Erzt wiſſen kann, zu reden. Was die Ausarbei- tung uͤberhaupt betrifft, ſo iſt uns von einer beſondern Art, in welcher die Griechiſchen Bildhauer verſchieden von den neuern Kuͤnſtlern, und von unſerer Vorſtellung, koͤnnen gearbeitet haben, nichts beſonders bekannt; gewiß aber iſt, daß ſie zu ihren Werken Modelle gemacht. Ein beruͤhm- ter Scribent glaubet 2), Diodorus habe das Gegentheil anzeigen wollen, wo derſelbe ſagt, daß die Aegyptiſchen Kuͤnſtler nach einem richtigen Maaße gearbeitet, die Griechen aber nach dem Augenmaaße geurtheilet haben. Das Gegentheil von dieſer Meynung kann ein geſchnittener Stein im Stoßiſchen Muſeo darthun 3), auf welchem Prometheus den Menſchen, wel- chen er bildet, mit dem Bleye ausmißt. Man weis, wie hoch die Mo- delle des beruͤhmten Arceſilaus, welcher wenige Jahre vor dem Diodorus gebluͤhet hat, geſchaͤtzet wurden; und wie viel Modelle von gebranntem Thone haben ſich erhalten, und werden noch taͤglich gefunden! Der Bild- hauer muß mit Maaß und Zirkel arbeiten; der Maler aber ſoll das Maaß im Auge haben. II. Von der Ausarbeitung der Bildhauer. A. Ueberhaupt. Die mehreſten Statuen von Marmor ſind aus einem Stuͤcke gear- beitet, und Plato giebt ſeiner Republik ſo gar ein Geſetz, die Statuen aus 1) Paral. des anc. & mod. Dial. 2. 2) Caylus ſur quelq. paſſag. de Pline ſur les arts, p. 285. 3) Deſer. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 315. n. 6. I i 2

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/301>, abgerufen am 24.11.2024.