Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

I Theil. Erstes Capitel.
gnügete, dieselben durch einen unbearbeiteten Klotz, oder durch viereckigt[e]
Steine, wie die 1) Araber und 2) Amazonen thaten, anzudeuten. So
war 3) die Juno zu Thespis, und die Diana zu Icarus gestaltet. Diana
Patroa, 4) und Jupiter Milichus zu Corinth waren, wie 5) die älteste
Venus zu Paphos, nichts anders, als eine Art Säulen. Bacchus wur-
de in Gestalt 6) einer Säule verehret, und selbst 7) die Liebe und 8) die
Gratien wurden bloß durch Steine vorgestellet. Daher bedeutete das Wort
Säule (kion) auch noch 9) in den besten Zeiten der Griechen eine Statue.
Castor und Pollux hatten bey den Spartanern die Gestalt 10) von zwey
Parallel-Hölzern, welche durch zwey Queer-Hölzer verbunden waren; und
diese uralte Bildung derselben erscheint in 11) dem Zeichen II, wodurch diese
Zwillinge in dem Thierkreise angedeutet werden.

VI.
Anwachsende
Bildung einer
Figur durch
den Kopf.

Auf besagte Steine wurden mit der Zeit Köpfe gesetzet; unter vielen
andern war ein solcher 12) Neptunus zu Tricoloni, und 13) ein Jupiter zu
Tegea, beyde in Arcadien: denn in diesem Lande war man unter den Grie-
chen mehr als anderswo 14) bey der ältesten Gestalt in der Kunst geblieben.
Es offenbaret sich also in den ersten Bildnissen der Griechen eine ursprüngli-
che Erfindung und Zeugung einer Figur. Auf Götzen der Heiden, die

von
1) Maxim. Tyr. Diss. 8. §. 8. p. 87. Clem. Alex. Cohort. ad Gent. c. 4. p. 40.
2) Apollon. Argon. L. 2. v. 1176.
3) Pausan. L. 7. p. 579. l. 32. conf. L. 8. p. 665. l. 28. p. 666. l. 27. p. 671. l. 21.
4) Id. L. 2. p. 132. l. 39.
5) Max. Tyr. & Clem. Alex. ll. cc.
6) Conf. Schwarz, Miscel. polit. humanit. p. 67.
7) Pausan. L. 9. p. 761. l. 31.
8) Id. L. 9. p. 786. l. 16.
9) Epigr. ap. Codin. Orig. Constant. p. 19.
10) Plutarch. de amore fraterno, init. p. 849. edit. Steph.
11) Conf. Palmer. Exercit. in Auct. Graec. p. 223.
12) Pausan. L. 8. p. 671. l. 22.
13) Ibid. p. 698. l. 2.
14) Ibid. l. c.

I Theil. Erſtes Capitel.
gnuͤgete, dieſelben durch einen unbearbeiteten Klotz, oder durch viereckigt[e]
Steine, wie die 1) Araber und 2) Amazonen thaten, anzudeuten. So
war 3) die Juno zu Theſpis, und die Diana zu Icarus geſtaltet. Diana
Patroa, 4) und Jupiter Milichus zu Corinth waren, wie 5) die aͤlteſte
Venus zu Paphos, nichts anders, als eine Art Saͤulen. Bacchus wur-
de in Geſtalt 6) einer Saͤule verehret, und ſelbſt 7) die Liebe und 8) die
Gratien wurden bloß durch Steine vorgeſtellet. Daher bedeutete das Wort
Saͤule (κιών) auch noch 9) in den beſten Zeiten der Griechen eine Statue.
Caſtor und Pollux hatten bey den Spartanern die Geſtalt 10) von zwey
Parallel-Hoͤlzern, welche durch zwey Queer-Hoͤlzer verbunden waren; und
dieſe uralte Bildung derſelben erſcheint in 11) dem Zeichen II, wodurch dieſe
Zwillinge in dem Thierkreiſe angedeutet werden.

VI.
Anwachſende
Bildung einer
Figur durch
den Kopf.

Auf beſagte Steine wurden mit der Zeit Koͤpfe geſetzet; unter vielen
andern war ein ſolcher 12) Neptunus zu Tricoloni, und 13) ein Jupiter zu
Tegea, beyde in Arcadien: denn in dieſem Lande war man unter den Grie-
chen mehr als anderswo 14) bey der aͤlteſten Geſtalt in der Kunſt geblieben.
Es offenbaret ſich alſo in den erſten Bildniſſen der Griechen eine urſpruͤngli-
che Erfindung und Zeugung einer Figur. Auf Goͤtzen der Heiden, die

von
1) Maxim. Tyr. Diſſ. 8. §. 8. p. 87. Clem. Alex. Cohort. ad Gent. c. 4. p. 40.
2) Apollon. Argon. L. 2. v. 1176.
3) Pauſan. L. 7. p. 579. l. 32. conf. L. 8. p. 665. l. 28. p. 666. l. 27. p. 671. l. 21.
4) Id. L. 2. p. 132. l. 39.
5) Max. Tyr. & Clem. Alex. ll. cc.
6) Conf. Schwarz, Miſcel. polit. humanit. p. 67.
7) Pauſan. L. 9. p. 761. l. 31.
8) Id. L. 9. p. 786. l. 16.
9) Epigr. ap. Codin. Orig. Conſtant. p. 19.
10) Plutarch. de amore fraterno, init. p. 849. edit. Steph.
11) Conf. Palmer. Exercit. in Auct. Græc. p. 223.
12) Pauſan. L. 8. p. 671. l. 22.
13) Ibid. p. 698. l. 2.
14) Ibid. l. c.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0056" n="6"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Theil. Er&#x017F;tes Capitel.</hi></fw><lb/>
gnu&#x0364;gete, die&#x017F;elben durch einen unbearbeiteten Klotz, oder durch viereckigt<supplied>e</supplied><lb/>
Steine, wie die <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Maxim. Tyr. Di&#x017F;&#x017F;. 8. §. 8. p. 87. Clem. Alex. Cohort. ad Gent. c. 4. p.</hi> 40.</note> Araber und <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Apollon. Argon. L. 2. v.</hi> 1176.</note> Amazonen thaten, anzudeuten. So<lb/>
war <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">Pau&#x017F;an. L. 7. p. 579. l. 32. conf. L. 8. p. 665. l. 28. p. 666. l. 27. p. 671. l.</hi> 21.</note> die Juno zu The&#x017F;pis, und die Diana zu Icarus ge&#x017F;taltet. Diana<lb/>
Patroa, <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#aq">Id. L. 2. p. 132. l.</hi> 39.</note> und Jupiter Milichus zu Corinth waren, wie <note place="foot" n="5)"><hi rendition="#aq">Max. Tyr. &amp; Clem. Alex. ll. cc.</hi></note> die a&#x0364;lte&#x017F;te<lb/>
Venus zu Paphos, nichts anders, als eine Art Sa&#x0364;ulen. Bacchus wur-<lb/>
de in Ge&#x017F;talt <note place="foot" n="6)"><hi rendition="#aq">Conf. Schwarz, Mi&#x017F;cel. polit. humanit. p.</hi> 67.</note> einer Sa&#x0364;ule verehret, und &#x017F;elb&#x017F;t <note place="foot" n="7)"><hi rendition="#aq">Pau&#x017F;an. L. 9. p. 761. l.</hi> 31.</note> die Liebe und <note place="foot" n="8)"><hi rendition="#aq">Id. L. 9. p. 786. l.</hi> 16.</note> die<lb/>
Gratien wurden bloß durch Steine vorge&#x017F;tellet. Daher bedeutete das Wort<lb/>
Sa&#x0364;ule (&#x03BA;&#x03B9;&#x03CE;&#x03BD;) auch noch <note place="foot" n="9)"><hi rendition="#aq">Epigr. ap. Codin. Orig. Con&#x017F;tant. p.</hi> 19.</note> in den be&#x017F;ten Zeiten der Griechen eine Statue.<lb/>
Ca&#x017F;tor und Pollux hatten bey den Spartanern die Ge&#x017F;talt <note place="foot" n="10)"><hi rendition="#aq">Plutarch. de amore fraterno, init. p. 849. edit. Steph.</hi></note> von zwey<lb/>
Parallel-Ho&#x0364;lzern, welche durch zwey Queer-Ho&#x0364;lzer verbunden waren; und<lb/>
die&#x017F;e uralte Bildung der&#x017F;elben er&#x017F;cheint in <note place="foot" n="11)"><hi rendition="#aq">Conf. Palmer. Exercit. in Auct. Græc. p.</hi> 223.</note> dem Zeichen <hi rendition="#aq">II</hi>, wodurch die&#x017F;e<lb/>
Zwillinge in dem Thierkrei&#x017F;e angedeutet werden.</p><lb/>
            <note place="left"><hi rendition="#aq">VI.</hi><lb/>
Anwach&#x017F;ende<lb/>
Bildung einer<lb/>
Figur durch<lb/>
den Kopf.</note>
            <p>Auf be&#x017F;agte Steine wurden mit der Zeit Ko&#x0364;pfe ge&#x017F;etzet; unter vielen<lb/>
andern war ein &#x017F;olcher <note place="foot" n="12)"><hi rendition="#aq">Pau&#x017F;an. L. 8. p. 671. l.</hi> 22.</note> Neptunus zu Tricoloni, und <note place="foot" n="13)"><hi rendition="#aq">Ibid. p. 698. l.</hi> 2.</note> ein Jupiter zu<lb/>
Tegea, beyde in Arcadien: denn in die&#x017F;em Lande war man unter den Grie-<lb/>
chen mehr als anderswo <note place="foot" n="14)"><hi rendition="#aq">Ibid. l. c.</hi></note> bey der a&#x0364;lte&#x017F;ten Ge&#x017F;talt in der Kun&#x017F;t geblieben.<lb/>
Es offenbaret &#x017F;ich al&#x017F;o in den er&#x017F;ten Bildni&#x017F;&#x017F;en der Griechen eine ur&#x017F;pru&#x0364;ngli-<lb/>
che Erfindung und Zeugung einer Figur. Auf Go&#x0364;tzen der Heiden, die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0056] I Theil. Erſtes Capitel. gnuͤgete, dieſelben durch einen unbearbeiteten Klotz, oder durch viereckigte Steine, wie die 1) Araber und 2) Amazonen thaten, anzudeuten. So war 3) die Juno zu Theſpis, und die Diana zu Icarus geſtaltet. Diana Patroa, 4) und Jupiter Milichus zu Corinth waren, wie 5) die aͤlteſte Venus zu Paphos, nichts anders, als eine Art Saͤulen. Bacchus wur- de in Geſtalt 6) einer Saͤule verehret, und ſelbſt 7) die Liebe und 8) die Gratien wurden bloß durch Steine vorgeſtellet. Daher bedeutete das Wort Saͤule (κιών) auch noch 9) in den beſten Zeiten der Griechen eine Statue. Caſtor und Pollux hatten bey den Spartanern die Geſtalt 10) von zwey Parallel-Hoͤlzern, welche durch zwey Queer-Hoͤlzer verbunden waren; und dieſe uralte Bildung derſelben erſcheint in 11) dem Zeichen II, wodurch dieſe Zwillinge in dem Thierkreiſe angedeutet werden. Auf beſagte Steine wurden mit der Zeit Koͤpfe geſetzet; unter vielen andern war ein ſolcher 12) Neptunus zu Tricoloni, und 13) ein Jupiter zu Tegea, beyde in Arcadien: denn in dieſem Lande war man unter den Grie- chen mehr als anderswo 14) bey der aͤlteſten Geſtalt in der Kunſt geblieben. Es offenbaret ſich alſo in den erſten Bildniſſen der Griechen eine urſpruͤngli- che Erfindung und Zeugung einer Figur. Auf Goͤtzen der Heiden, die von 1) Maxim. Tyr. Diſſ. 8. §. 8. p. 87. Clem. Alex. Cohort. ad Gent. c. 4. p. 40. 2) Apollon. Argon. L. 2. v. 1176. 3) Pauſan. L. 7. p. 579. l. 32. conf. L. 8. p. 665. l. 28. p. 666. l. 27. p. 671. l. 21. 4) Id. L. 2. p. 132. l. 39. 5) Max. Tyr. & Clem. Alex. ll. cc. 6) Conf. Schwarz, Miſcel. polit. humanit. p. 67. 7) Pauſan. L. 9. p. 761. l. 31. 8) Id. L. 9. p. 786. l. 16. 9) Epigr. ap. Codin. Orig. Conſtant. p. 19. 10) Plutarch. de amore fraterno, init. p. 849. edit. Steph. 11) Conf. Palmer. Exercit. in Auct. Græc. p. 223. 12) Pauſan. L. 8. p. 671. l. 22. 13) Ibid. p. 698. l. 2. 14) Ibid. l. c.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/56
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/56>, abgerufen am 21.11.2024.