Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.I Theil. Erstes Capitel. IX.Aehnlichk. der ersten Figuren bey den Aegy ptern, Hetru- riern und Griechen. Die ersten Züge dieser Gestalten bey den Griechen waren einfältig und Größere Wahrschein- lichkeit für die Mittheilung der Kunst von den Phöni- ciern als von den Aegyptern an die Grie- chen. Es führeten also die ersten Linien und Formen in der Kunst selbst, zur nicier, 1) Diodor. Sic. L. I. p. 87. l. 35. Strab. Geogr. L. 17. p. 806. 2) Paciaudi Monum. Pelopon. T. 2. p. 51. 3) Dergleichen Augen hat vermuthlich Diodorus Hist. L. 4. anzeigen wollen, wo er von den Figuren des Dädalus redet: er saget, dieser Künstler habe dieselben gebildet ommasi memukota, welches die Uebersetzer gegeben haben; luminibus clausis, mit zu- geschlossenen Augen. Dieses ist nicht wahrscheinlich: denn wenn er hat Augen machen wollen, wird er sie offen gemachet haben. Es ist auch die Uebersetzung ganz und gar wider die eigentliche und beständige Bedeutung des Worts memukos, welches mit den Augen blinzen, nictare, und im Ital. sbirciare heißt, und mit con- niventibus oculis müßte ausgedrücket werden. Memukota khalea beym Non. Dionys. I. 4. p. 75. v. 8. sind halb eröffnete Lippen. 4) Strab. L. 10. p. 482. C. Plutarch. Solon. p. 146. l. 28.
I Theil. Erſtes Capitel. IX.Aehnlichk. der erſten Figuren bey den Aegy ptern, Hetru- riern und Griechen. Die erſten Zuͤge dieſer Geſtalten bey den Griechen waren einfaͤltig und Groͤßere Wahrſchein- lichkeit fuͤr die Mittheilung der Kunſt von den Phoͤni- ciern als von den Aegyptern an die Grie- chen. Es fuͤhreten alſo die erſten Linien und Formen in der Kunſt ſelbſt, zur nicier, 1) Diodor. Sic. L. I. p. 87. l. 35. Strab. Geogr. L. 17. p. 806. 2) Paciaudi Monum. Pelopon. T. 2. p. 51. 3) Dergleichen Augen hat vermuthlich Diodorus Hiſt. L. 4. anzeigen wollen, wo er von den Figuren des Daͤdalus redet: er ſaget, dieſer Kuͤnſtler habe dieſelben gebildet ὄμμασι μεμυκότα, welches die Ueberſetzer gegeben haben; luminibus clauſis, mit zu- geſchloſſenen Augen. Dieſes iſt nicht wahrſcheinlich: denn wenn er hat Augen machen wollen, wird er ſie offen gemachet haben. Es iſt auch die Ueberſetzung ganz und gar wider die eigentliche und beſtaͤndige Bedeutung des Worts μεμυκὼς, welches mit den Augen blinzen, nictare, und im Ital. ſbirciare heißt, und mit con- niventibus oculis muͤßte ausgedruͤcket werden. Μεμυκότα χάλεα beym Non. Dionyſ. I. 4. p. 75. v. 8. ſind halb eroͤffnete Lippen. 4) Strab. L. 10. p. 482. C. Plutarch. Solon. p. 146. l. 28.
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I Theil. Erſtes Capitel.
Die erſten Zuͤge dieſer Geſtalten bey den Griechen waren einfaͤltig und
mehrentheils gerade Linien, und unter Aegyptern, Hetruriern und Griechen
wird beym Urſprunge der Kunſt unter jedem Volke kein Unterſchied geweſen
ſeyn; wie dieſes auch 1) die alten Scribenten bezeugen: und dieſes ſieht man 2)
an der aͤlteſten griechiſchen Figur von Erzt in dem Muſeo Nani zu Vene-
dig, mit der Schrift auf deſſen Baſe: _ .
Auch in dieſer platten Art zu zeichnen lieget der Grund von der Aehnlichkeit
der Augen an Koͤpfen, auf den aͤltern griechiſchen Muͤnzen, und an aͤgypti-
ſchen Figuren; jene ſind wie dieſe platt und laͤnglich gezogen 3). Die erſten Ge-
maͤlde hat man ſich als Monogrammen, wie Epicurus die Goͤtter nennete,
das iſt, wie einlinichte Umſchreibungen des Schattens eines Menſchen vor-
zuſtellen.
Es fuͤhreten alſo die erſten Linien und Formen in der Kunſt ſelbſt, zur
Bildung einer Art Figuren, welche man insgemein Aegyptiſche nennet.
Es haͤtten auch die Griechen nicht viel Gelegenheit gehabt, in der Kunſt
etwas von den Aegyptern zu erlernen: denn vor dem Koͤnige Pſammeti-
chus war allen Fremden der Zutritt in Aegypten verſaget, und die Griechen
uͤbeten die Kunſt ſchon vor dieſer Zeit. Die Abſicht der Reiſen, welche die
Griechiſchen Weiſen nach Aegypten thaten, gieng vornehmlich 4) auf die Re-
gierungsform dieſes Landes. Es waͤre fuͤr diejenigen, welche alles aus den
Morgenlaͤndern herfuͤhren, mehr Wahrſcheinlichkeit auf Seiten der Phoͤ-
nicier,
1) Diodor. Sic. L. I. p. 87. l. 35. Strab. Geogr. L. 17. p. 806.
2) Paciaudi Monum. Pelopon. T. 2. p. 51.
3) Dergleichen Augen hat vermuthlich Diodorus Hiſt. L. 4. anzeigen wollen, wo er von
den Figuren des Daͤdalus redet: er ſaget, dieſer Kuͤnſtler habe dieſelben gebildet
ὄμμασι μεμυκότα, welches die Ueberſetzer gegeben haben; luminibus clauſis, mit zu-
geſchloſſenen Augen. Dieſes iſt nicht wahrſcheinlich: denn wenn er hat Augen
machen wollen, wird er ſie offen gemachet haben. Es iſt auch die Ueberſetzung
ganz und gar wider die eigentliche und beſtaͤndige Bedeutung des Worts μεμυκὼς,
welches mit den Augen blinzen, nictare, und im Ital. ſbirciare heißt, und mit con-
niventibus oculis muͤßte ausgedruͤcket werden. Μεμυκότα χάλεα beym Non. Dionyſ.
I. 4. p. 75. v. 8. ſind halb eroͤffnete Lippen.
4) Strab. L. 10. p. 482. C. Plutarch. Solon. p. 146. l. 28.
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