Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wirth, Johann Georg August: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Heft 2. Neustadt, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Daß sie im Ganzen wenigstens immer mehr sich entwickeln zu Tugend
und Glück; -- daß jede Zeit und jedes Volk ihre besondere Aufgabe
hierbei haben; daß die Aufgabe der neuen Völker ist -- das vereinzelnde
Familienleben, mit einem einigenden Volksleben harmonisch zu verbin-
den; daß diese Fortbildung hindurchgehe -- durch Vernichtung des Des-
potismus, dann des ständischen Aristokratismus, zur Gründung der
Volksherrlichkeit; daß die Ernenung Europas in diesem Sinne die Aufgabe
unsers Jahrhunderts, und daß Deutschlands Einheit hiezu der Anfang
und die Aufgabe der jetzigen Generation sei, woran sie Alles unbedingt
zu setzen durchaus berufen und verpflichtet ist. --

Wie aber sollen wir dem großen Ziele nachstreben, auf welchem Wege
dahin gelangen? In den Staaten, wo es Verfassung und Gesetze giebt,
so lange die Machthaber die Gesetze achten und nicht verdrehen und
mißbrauchen -- reichet der gesetzliche Weg aus. Die Aufklärung ist die
große Feder in der Entwickelung der Menschheit, die freie Presse ihr bestes
Förderungs-Mittel -- und die endliche Vollstreckerin der erkannten
Wahrheit ist die Allmacht der öffentlichen Meinung, jene wunderbare
Kraft, die von den Staatstheoretikern gar nicht in Anschlag gebracht wird,
und doch allein Bewegung in die todte Maschine bringt. Allein wenn
die freie Presse vernichtet, die Gesetze verhöhnt, und die Mittel zur
Menschheitsbildung abgeschnitten werden? -- dann, ja dann ist keine
Wahl mehr, jedes Zögern ist dann feiger Verrath an der Vernunft, der
Tugend, der Menschheit, dann: um mit dem König von Preußen zu
sprechen: "dann ist der Kampf ein Kampf der Nothwehr, der alle Mittel
heiligt, die schneidendsten sind die besten; denn sie beenden die gerechte
Sache am siegreichsten und schnellsten."

Wohlan, versammelte Mitbürger! Also nicht allein unser und
unserer Kinder Noth in diesem gesegneten Lande, nicht allein die empören-
de Uebermacht unsrer Aristokraten und Volksverräther, nicht allein uns[e]r
zeitlicher Vortheil und unser gutes Recht verlangen Vernichtung dieses
fluchwürdigen Zustandes, sondern unsre ganze Stellung in der Geschichte,
unsre ganze Bedeutung in der Menschheits-Entwickelung setzet uns un-
abweisbar die heilige Pflicht in einem freien Volksreiche die Tugend und
Menschheit, die durch Tyrannei und Pfaffenthum zur Thierheit nieder-
gedrückt ist, bei unserm Volke zunächst, und dadurch in ganz Europa,
wieder aufleben zu lassen. Was vor 15 Jahren die Jugend beschworen,
das mag heute das ganze Volk beschwören: Stets die Begeisterung
für die Einheit des Vaterlandes in uns lebendig zu erhalten, und nach

6

Daß ſie im Ganzen wenigſtens immer mehr ſich entwickeln zu Tugend
und Gluͤck; — daß jede Zeit und jedes Volk ihre beſondere Aufgabe
hierbei haben; daß die Aufgabe der neuen Völker iſt — das vereinzelnde
Familienleben, mit einem einigenden Volksleben harmoniſch zu verbin-
den; daß dieſe Fortbildung hindurchgehe — durch Vernichtung des Des-
potismus, dann des ſtaͤndiſchen Ariſtokratismus, zur Gruͤndung der
Volksherrlichkeit; daß die Ernenung Europas in dieſem Sinne die Aufgabe
unſers Jahrhunderts, und daß Deutſchlands Einheit hiezu der Anfang
und die Aufgabe der jetzigen Generation ſei, woran ſie Alles unbedingt
zu ſetzen durchaus berufen und verpflichtet iſt. —

Wie aber ſollen wir dem großen Ziele nachſtreben, auf welchem Wege
dahin gelangen? In den Staaten, wo es Verfaſſung und Geſetze giebt,
ſo lange die Machthaber die Geſetze achten und nicht verdrehen und
mißbrauchen — reichet der geſetzliche Weg aus. Die Aufklaͤrung iſt die
große Feder in der Entwickelung der Menſchheit, die freie Preſſe ihr beſtes
Foͤrderungs-Mittel — und die endliche Vollſtreckerin der erkannten
Wahrheit iſt die Allmacht der oͤffentlichen Meinung, jene wunderbare
Kraft, die von den Staatstheoretikern gar nicht in Anſchlag gebracht wird,
und doch allein Bewegung in die todte Maſchine bringt. Allein wenn
die freie Preſſe vernichtet, die Geſetze verhoͤhnt, und die Mittel zur
Menſchheitsbildung abgeſchnitten werden? — dann, ja dann iſt keine
Wahl mehr, jedes Zoͤgern iſt dann feiger Verrath an der Vernunft, der
Tugend, der Menſchheit, dann: um mit dem Koͤnig von Preußen zu
ſprechen: „dann iſt der Kampf ein Kampf der Nothwehr, der alle Mittel
heiligt, die ſchneidendſten ſind die beſten; denn ſie beenden die gerechte
Sache am ſiegreichſten und ſchnellſten.“

Wohlan, verſammelte Mitbuͤrger! Alſo nicht allein unſer und
unſerer Kinder Noth in dieſem geſegneten Lande, nicht allein die empoͤren-
de Uebermacht unſrer Ariſtokraten und Volksverraͤther, nicht allein unſ[e]r
zeitlicher Vortheil und unſer gutes Recht verlangen Vernichtung dieſes
fluchwuͤrdigen Zuſtandes, ſondern unſre ganze Stellung in der Geſchichte,
unſre ganze Bedeutung in der Menſchheits-Entwickelung ſetzet uns un-
abweisbar die heilige Pflicht in einem freien Volksreiche die Tugend und
Menſchheit, die durch Tyrannei und Pfaffenthum zur Thierheit nieder-
gedruͤckt iſt, bei unſerm Volke zunaͤchſt, und dadurch in ganz Europa,
wieder aufleben zu laſſen. Was vor 15 Jahren die Jugend beſchworen,
das mag heute das ganze Volk beſchwoͤren: Stets die Begeiſterung
fuͤr die Einheit des Vaterlandes in uns lebendig zu erhalten, und nach

6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0023" n="81"/>
        <p>Daß &#x017F;ie im Ganzen wenig&#x017F;tens immer mehr &#x017F;ich entwickeln zu Tugend<lb/>
und Glu&#x0364;ck; &#x2014; daß jede Zeit und jedes Volk ihre be&#x017F;ondere Aufgabe<lb/>
hierbei haben; daß die Aufgabe der neuen Völker i&#x017F;t &#x2014; das vereinzelnde<lb/>
Familienleben, mit einem einigenden Volksleben harmoni&#x017F;ch zu verbin-<lb/>
den; daß die&#x017F;e Fortbildung hindurchgehe &#x2014; durch Vernichtung des Des-<lb/>
potismus, dann des &#x017F;ta&#x0364;ndi&#x017F;chen Ari&#x017F;tokratismus, zur Gru&#x0364;ndung der<lb/>
Volksherrlichkeit; daß die Ernenung Europas in die&#x017F;em Sinne die Aufgabe<lb/>
un&#x017F;ers Jahrhunderts, und daß <choice><sic>Deut&#x017F;chlans</sic><corr>Deut&#x017F;chlands</corr></choice> Einheit hiezu der Anfang<lb/>
und die Aufgabe der jetzigen Generation &#x017F;ei, woran &#x017F;ie Alles unbedingt<lb/>
zu &#x017F;etzen durchaus berufen und verpflichtet i&#x017F;t. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Wie aber &#x017F;ollen wir dem großen Ziele nach&#x017F;treben, auf welchem Wege<lb/>
dahin gelangen? In den Staaten, wo es Verfa&#x017F;&#x017F;ung und Ge&#x017F;etze giebt,<lb/>
&#x017F;o lange die Machthaber die Ge&#x017F;etze achten und nicht verdrehen und<lb/>
mißbrauchen &#x2014; reichet der ge&#x017F;etzliche Weg aus. Die Aufkla&#x0364;rung i&#x017F;t die<lb/>
große Feder in der Entwickelung der Men&#x017F;chheit, die freie Pre&#x017F;&#x017F;e ihr be&#x017F;tes<lb/>
Fo&#x0364;rderungs-Mittel &#x2014; und die endliche Voll&#x017F;treckerin der erkannten<lb/>
Wahrheit i&#x017F;t die Allmacht der o&#x0364;ffentlichen Meinung, jene wunderbare<lb/>
Kraft, die von den Staatstheoretikern gar nicht in An&#x017F;chlag gebracht wird,<lb/>
und doch allein Bewegung in die todte Ma&#x017F;chine bringt. Allein wenn<lb/>
die freie Pre&#x017F;&#x017F;e vernichtet, die Ge&#x017F;etze verho&#x0364;hnt, und die Mittel zur<lb/>
Men&#x017F;chheitsbildung abge&#x017F;chnitten werden? &#x2014; dann, ja dann i&#x017F;t keine<lb/>
Wahl mehr, jedes Zo&#x0364;gern i&#x017F;t dann feiger Verrath an der Vernunft, der<lb/>
Tugend, der Men&#x017F;chheit, dann: um mit dem Ko&#x0364;nig von Preußen zu<lb/>
&#x017F;prechen: &#x201E;dann i&#x017F;t der Kampf ein Kampf der Nothwehr, der alle Mittel<lb/>
heiligt, die &#x017F;chneidend&#x017F;ten &#x017F;ind die be&#x017F;ten; denn &#x017F;ie beenden die gerechte<lb/>
Sache am &#x017F;iegreich&#x017F;ten und &#x017F;chnell&#x017F;ten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wohlan, ver&#x017F;ammelte Mitbu&#x0364;rger! Al&#x017F;o nicht allein un&#x017F;er und<lb/>
un&#x017F;erer Kinder Noth in die&#x017F;em ge&#x017F;egneten Lande, nicht allein die empo&#x0364;ren-<lb/>
de Uebermacht un&#x017F;rer Ari&#x017F;tokraten und Volksverra&#x0364;ther, nicht allein un&#x017F;<supplied>e</supplied>r<lb/>
zeitlicher Vortheil und un&#x017F;er gutes Recht verlangen Vernichtung die&#x017F;es<lb/>
fluchwu&#x0364;rdigen Zu&#x017F;tandes, &#x017F;ondern un&#x017F;re ganze Stellung in der Ge&#x017F;chichte,<lb/>
un&#x017F;re ganze Bedeutung in der Men&#x017F;chheits-Entwickelung &#x017F;etzet uns un-<lb/>
abweisbar die heilige Pflicht in einem freien Volksreiche die Tugend und<lb/>
Men&#x017F;chheit, die durch Tyrannei und Pfaffenthum zur Thierheit nieder-<lb/>
gedru&#x0364;ckt i&#x017F;t, bei un&#x017F;erm Volke zuna&#x0364;ch&#x017F;t, und dadurch in ganz Europa,<lb/>
wieder aufleben zu la&#x017F;&#x017F;en. Was vor 15 Jahren die Jugend be&#x017F;chworen,<lb/>
das mag heute das ganze Volk be&#x017F;chwo&#x0364;ren: Stets die Begei&#x017F;terung<lb/>
fu&#x0364;r die Einheit des Vaterlandes in uns lebendig zu erhalten, und nach<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">6</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0023] Daß ſie im Ganzen wenigſtens immer mehr ſich entwickeln zu Tugend und Gluͤck; — daß jede Zeit und jedes Volk ihre beſondere Aufgabe hierbei haben; daß die Aufgabe der neuen Völker iſt — das vereinzelnde Familienleben, mit einem einigenden Volksleben harmoniſch zu verbin- den; daß dieſe Fortbildung hindurchgehe — durch Vernichtung des Des- potismus, dann des ſtaͤndiſchen Ariſtokratismus, zur Gruͤndung der Volksherrlichkeit; daß die Ernenung Europas in dieſem Sinne die Aufgabe unſers Jahrhunderts, und daß Deutſchlands Einheit hiezu der Anfang und die Aufgabe der jetzigen Generation ſei, woran ſie Alles unbedingt zu ſetzen durchaus berufen und verpflichtet iſt. — Wie aber ſollen wir dem großen Ziele nachſtreben, auf welchem Wege dahin gelangen? In den Staaten, wo es Verfaſſung und Geſetze giebt, ſo lange die Machthaber die Geſetze achten und nicht verdrehen und mißbrauchen — reichet der geſetzliche Weg aus. Die Aufklaͤrung iſt die große Feder in der Entwickelung der Menſchheit, die freie Preſſe ihr beſtes Foͤrderungs-Mittel — und die endliche Vollſtreckerin der erkannten Wahrheit iſt die Allmacht der oͤffentlichen Meinung, jene wunderbare Kraft, die von den Staatstheoretikern gar nicht in Anſchlag gebracht wird, und doch allein Bewegung in die todte Maſchine bringt. Allein wenn die freie Preſſe vernichtet, die Geſetze verhoͤhnt, und die Mittel zur Menſchheitsbildung abgeſchnitten werden? — dann, ja dann iſt keine Wahl mehr, jedes Zoͤgern iſt dann feiger Verrath an der Vernunft, der Tugend, der Menſchheit, dann: um mit dem Koͤnig von Preußen zu ſprechen: „dann iſt der Kampf ein Kampf der Nothwehr, der alle Mittel heiligt, die ſchneidendſten ſind die beſten; denn ſie beenden die gerechte Sache am ſiegreichſten und ſchnellſten.“ Wohlan, verſammelte Mitbuͤrger! Alſo nicht allein unſer und unſerer Kinder Noth in dieſem geſegneten Lande, nicht allein die empoͤren- de Uebermacht unſrer Ariſtokraten und Volksverraͤther, nicht allein unſer zeitlicher Vortheil und unſer gutes Recht verlangen Vernichtung dieſes fluchwuͤrdigen Zuſtandes, ſondern unſre ganze Stellung in der Geſchichte, unſre ganze Bedeutung in der Menſchheits-Entwickelung ſetzet uns un- abweisbar die heilige Pflicht in einem freien Volksreiche die Tugend und Menſchheit, die durch Tyrannei und Pfaffenthum zur Thierheit nieder- gedruͤckt iſt, bei unſerm Volke zunaͤchſt, und dadurch in ganz Europa, wieder aufleben zu laſſen. Was vor 15 Jahren die Jugend beſchworen, das mag heute das ganze Volk beſchwoͤren: Stets die Begeiſterung fuͤr die Einheit des Vaterlandes in uns lebendig zu erhalten, und nach 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wirth_nationalfest02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wirth_nationalfest02_1832/23
Zitationshilfe: Wirth, Johann Georg August: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Heft 2. Neustadt, 1832, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wirth_nationalfest02_1832/23>, abgerufen am 03.12.2024.