Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

gemeinen Wesen überhaupt.
sol, die er nach seinen Umständen erhalten
kan, indem man ihm kein Vergnügen miß-
können darf, daraus kein Mißvergnügen
erwächset (§. 471 Mor.): so ist dieses für
keinen Uberfluß zuachten, was zur Bequem-
lichkeit des Lebens dienet, noch derjenige
zu schelten, der sie zu erhalten trachtet, wenn
er nach seinen Umständen dazu gelangen
kan, und sich nicht dadurch den Weg zum
Mangel des zur Nothdurfft erforderten bäh-
net. Man hat dabey auch wohl zu erwe-
gen, wie viele Verrichtungen der Menschen
erfordert werden, damit wir in dem Stande
sind die Wissenschafften und Künste in Auf-
nehmen zu bringen, welches insonderheit
dasjenige ist, dadurch sich Menschen von
unvernünfftigen Thieren unterscheiden. End-
lich ist es wohl wahr, daß bey der schlech-
ten Lebens-Art der Alten, da sie gar we-
niges brauchten, das menschliche Geschlech-
te so wohl ist fortgepflantzet worden, als je-
tzund bey politen Völckern geschiehet: al-
lein wer begreiffen wil, welche Art des Le-
bens der andern vorzuziehen, der darf nur
ungearteter Völcker, dergleichen man noch
in der Welt antrifft, Lebens-Art gegen die
unsere halten; so bin ich versichert, er wer-
de die unsere mit der ihrigen nicht zu vertau-
schen verlangen.

§. 212.

gemeinen Weſen uͤberhaupt.
ſol, die er nach ſeinen Umſtaͤnden erhalten
kan, indem man ihm kein Vergnuͤgen miß-
koͤnnen darf, daraus kein Mißvergnuͤgen
erwaͤchſet (§. 471 Mor.): ſo iſt dieſes fuͤr
keinen Uberfluß zuachten, was zur Bequem-
lichkeit des Lebens dienet, noch derjenige
zu ſchelten, der ſie zu erhalten trachtet, wenn
er nach ſeinen Umſtaͤnden dazu gelangen
kan, und ſich nicht dadurch den Weg zum
Mangel des zur Nothdurfft erforderten baͤh-
net. Man hat dabey auch wohl zu erwe-
gen, wie viele Verrichtungen der Menſchen
erfordert werden, damit wir in dem Stande
ſind die Wiſſenſchafften und Kuͤnſte in Auf-
nehmen zu bringen, welches inſonderheit
dasjenige iſt, dadurch ſich Menſchen von
unvernuͤnfftigen Thieren unterſcheiden. End-
lich iſt es wohl wahr, daß bey der ſchlech-
ten Lebens-Art der Alten, da ſie gar we-
niges brauchten, das menſchliche Geſchlech-
te ſo wohl iſt fortgepflantzet worden, als je-
tzund bey politen Voͤlckern geſchiehet: al-
lein wer begreiffen wil, welche Art des Le-
bens der andern vorzuziehen, der darf nur
ungearteter Voͤlcker, dergleichen man noch
in der Welt antrifft, Lebens-Art gegen die
unſere halten; ſo bin ich verſichert, er wer-
de die unſere mit der ihrigen nicht zu vertau-
ſchen verlangen.

§. 212.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0173" n="155"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">gemeinen We&#x017F;en u&#x0364;berhaupt.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ol, die er nach &#x017F;einen Um&#x017F;ta&#x0364;nden erhalten<lb/>
kan, indem man ihm kein Vergnu&#x0364;gen miß-<lb/>
ko&#x0364;nnen darf, daraus kein Mißvergnu&#x0364;gen<lb/>
erwa&#x0364;ch&#x017F;et (§. 471 <hi rendition="#aq">Mor.</hi>): &#x017F;o i&#x017F;t die&#x017F;es fu&#x0364;r<lb/>
keinen Uberfluß zuachten, was zur Bequem-<lb/>
lichkeit des Lebens dienet, noch derjenige<lb/>
zu &#x017F;chelten, der &#x017F;ie zu erhalten trachtet, wenn<lb/>
er nach &#x017F;einen Um&#x017F;ta&#x0364;nden dazu gelangen<lb/>
kan, und &#x017F;ich nicht dadurch den Weg zum<lb/>
Mangel des zur Nothdurfft erforderten ba&#x0364;h-<lb/>
net. Man hat dabey auch wohl zu erwe-<lb/>
gen, wie viele Verrichtungen der Men&#x017F;chen<lb/>
erfordert werden, damit wir in dem Stande<lb/>
&#x017F;ind die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafften und Ku&#x0364;n&#x017F;te in Auf-<lb/>
nehmen zu bringen, welches in&#x017F;onderheit<lb/>
dasjenige i&#x017F;t, dadurch &#x017F;ich Men&#x017F;chen von<lb/>
unvernu&#x0364;nfftigen Thieren unter&#x017F;cheiden. End-<lb/>
lich i&#x017F;t es wohl wahr, daß bey der &#x017F;chlech-<lb/>
ten Lebens-Art der Alten, da &#x017F;ie gar we-<lb/>
niges brauchten, das men&#x017F;chliche Ge&#x017F;chlech-<lb/>
te &#x017F;o wohl i&#x017F;t fortgepflantzet worden, als je-<lb/>
tzund bey politen Vo&#x0364;lckern ge&#x017F;chiehet: al-<lb/>
lein wer begreiffen wil, welche Art des Le-<lb/>
bens der andern vorzuziehen, der darf nur<lb/>
ungearteter Vo&#x0364;lcker, dergleichen man noch<lb/>
in der Welt antrifft, Lebens-Art gegen die<lb/>
un&#x017F;ere halten; &#x017F;o bin ich ver&#x017F;ichert, er wer-<lb/>
de die un&#x017F;ere mit der ihrigen nicht zu vertau-<lb/>
&#x017F;chen verlangen.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">§. 212.</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0173] gemeinen Weſen uͤberhaupt. ſol, die er nach ſeinen Umſtaͤnden erhalten kan, indem man ihm kein Vergnuͤgen miß- koͤnnen darf, daraus kein Mißvergnuͤgen erwaͤchſet (§. 471 Mor.): ſo iſt dieſes fuͤr keinen Uberfluß zuachten, was zur Bequem- lichkeit des Lebens dienet, noch derjenige zu ſchelten, der ſie zu erhalten trachtet, wenn er nach ſeinen Umſtaͤnden dazu gelangen kan, und ſich nicht dadurch den Weg zum Mangel des zur Nothdurfft erforderten baͤh- net. Man hat dabey auch wohl zu erwe- gen, wie viele Verrichtungen der Menſchen erfordert werden, damit wir in dem Stande ſind die Wiſſenſchafften und Kuͤnſte in Auf- nehmen zu bringen, welches inſonderheit dasjenige iſt, dadurch ſich Menſchen von unvernuͤnfftigen Thieren unterſcheiden. End- lich iſt es wohl wahr, daß bey der ſchlech- ten Lebens-Art der Alten, da ſie gar we- niges brauchten, das menſchliche Geſchlech- te ſo wohl iſt fortgepflantzet worden, als je- tzund bey politen Voͤlckern geſchiehet: al- lein wer begreiffen wil, welche Art des Le- bens der andern vorzuziehen, der darf nur ungearteter Voͤlcker, dergleichen man noch in der Welt antrifft, Lebens-Art gegen die unſere halten; ſo bin ich verſichert, er wer- de die unſere mit der ihrigen nicht zu vertau- ſchen verlangen. §. 212.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/173
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/173>, abgerufen am 21.11.2024.