Daß ein- zele Häuser wieder Beleidi- gungen nicht si- cher ge- nung, sind.
§. 212.
Uber dieses ist auch bekand, daß der gröste Theil der Menschen den Lastern ergeben ist, und daher andere vielfältig be- leidigen würde, wenn es ihnen frey ausge- hen könnte. Ein eintzeles Haus ist dem- nach nicht in dem Stande alle Beleidigun- gen abzuhalten; sondern müste vielmehr gewärtig seyn, daß man es plötzlich mit ihm gar ausmachte. Wenn einigen et- was fehlete und sie sähen, daß es der an- dere hätte; so würden sie es ihm mit Ge- walt nehmen, woferne er es nicht gutwil- lig hergeben wolte. Da nun ein Haus aus wenigen Personen bestehet (§. 192); so kön- ten sich leicht einige zusammen rotten, die ihnen überlegen wären, oder andere Ge- walt brauchen, da man in dem Hause nicht wiederstehen könte. Auf eine solche Weise wäre kein Haus des seinigen versichert, wie es doch billig seyn sol (§. 892 Mor.). Wie- derumb wenn einer einen Haß gegen den andern hätte, oder auch von ihm wäre er- zörnet worden; so würde er in der Rache so weit gehen, als es ihm gefiele (§. 454. 484 Met.), und ihm nicht allein Schaden an seinem Vermögen, sondern wohl gar an seinem Leibe und Leben zufügen (§. 824. Mor.). Und solchergestalt wäre niemand sei- Noth- wendig- keit des gemeinen Wesens.nes Leibes und Lebens sicher.
§. 213.
Da nun eintzele Häuser nicht al- le Bequemlichkeiten des Lebens ihnen selbst
ver-
Das 1. Capitel Von dem
Daß ein- zele Haͤuſer wieder Beleidi- gungen nicht ſi- cher ge- nung, ſind.
§. 212.
Uber dieſes iſt auch bekand, daß der groͤſte Theil der Menſchen den Laſtern ergeben iſt, und daher andere vielfaͤltig be- leidigen wuͤrde, wenn es ihnen frey ausge- hen koͤnnte. Ein eintzeles Haus iſt dem- nach nicht in dem Stande alle Beleidigun- gen abzuhalten; ſondern muͤſte vielmehr gewaͤrtig ſeyn, daß man es ploͤtzlich mit ihm gar ausmachte. Wenn einigen et- was fehlete und ſie ſaͤhen, daß es der an- dere haͤtte; ſo wuͤrden ſie es ihm mit Ge- walt nehmen, woferne er es nicht gutwil- lig hergeben wolte. Da nun ein Haus aus wenigen Perſonen beſtehet (§. 192); ſo koͤn- ten ſich leicht einige zuſammen rotten, die ihnen uͤberlegen waͤren, oder andere Ge- walt brauchen, da man in dem Hauſe nicht wiederſtehen koͤnte. Auf eine ſolche Weiſe waͤre kein Haus des ſeinigen verſichert, wie es doch billig ſeyn ſol (§. 892 Mor.). Wie- derumb wenn einer einen Haß gegen den andern haͤtte, oder auch von ihm waͤre er- zoͤrnet worden; ſo wuͤrde er in der Rache ſo weit gehen, als es ihm gefiele (§. 454. 484 Met.), und ihm nicht allein Schaden an ſeinem Vermoͤgen, ſondern wohl gar an ſeinem Leibe und Leben zufuͤgen (§. 824. Mor.). Und ſolchergeſtalt waͤre niemand ſei- Noth- wendig- keit des gemeinen Weſens.nes Leibes und Lebens ſicher.
§. 213.
Da nun eintzele Haͤuſer nicht al- le Bequemlichkeiten des Lebens ihnen ſelbſt
ver-
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Das 1. Capitel Von dem
§. 212.Uber dieſes iſt auch bekand, daß
der groͤſte Theil der Menſchen den Laſtern
ergeben iſt, und daher andere vielfaͤltig be-
leidigen wuͤrde, wenn es ihnen frey ausge-
hen koͤnnte. Ein eintzeles Haus iſt dem-
nach nicht in dem Stande alle Beleidigun-
gen abzuhalten; ſondern muͤſte vielmehr
gewaͤrtig ſeyn, daß man es ploͤtzlich mit
ihm gar ausmachte. Wenn einigen et-
was fehlete und ſie ſaͤhen, daß es der an-
dere haͤtte; ſo wuͤrden ſie es ihm mit Ge-
walt nehmen, woferne er es nicht gutwil-
lig hergeben wolte. Da nun ein Haus aus
wenigen Perſonen beſtehet (§. 192); ſo koͤn-
ten ſich leicht einige zuſammen rotten, die
ihnen uͤberlegen waͤren, oder andere Ge-
walt brauchen, da man in dem Hauſe nicht
wiederſtehen koͤnte. Auf eine ſolche Weiſe
waͤre kein Haus des ſeinigen verſichert, wie
es doch billig ſeyn ſol (§. 892 Mor.). Wie-
derumb wenn einer einen Haß gegen den
andern haͤtte, oder auch von ihm waͤre er-
zoͤrnet worden; ſo wuͤrde er in der Rache
ſo weit gehen, als es ihm gefiele (§. 454.
484 Met.), und ihm nicht allein Schaden
an ſeinem Vermoͤgen, ſondern wohl gar
an ſeinem Leibe und Leben zufuͤgen (§. 824.
Mor.). Und ſolchergeſtalt waͤre niemand ſei-
nes Leibes und Lebens ſicher.
Noth-
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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/174>, abgerufen am 21.11.2024.
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