Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Cap. 3. Von der Einrichtung viel Unheil anrichten als durch die Athei-sterey selbst. Denn weil man nach die- sem glaubet, Leute von Verstande könten die Wahrheit am besten einsehen, hinge- gen aber, wo man sie einmahl in Ver- dacht gebracht, man nach diesem sich be- redet, als wenn sie bloß in Absicht auf das gemeine Wesen, darinnen sie leben, anders mit dem Munde vorgeben, als sie innerlich überführet sind; so werden auch fälschlich diejenigen, welche gerne wolten, daß kein Gott wäre, damit sie sicher nach ihren Lüsten und Begierden leben könten, durch ihre Autorität wo nicht zur völligen Atheisterey, doch zum Zweiffel an Gott und seinen Vollkommenheiten und zur Kaltsinnigkeit in der Religion verleitet werden. Man hat demnach so wohl die- jenigen zu bestraffen, welche wegen ihres Verstandes berühmte Männer in Ver- dacht der Atheisterey bringen; als die, welche die Atheistische Lehren unter die Leu- te bringen, und mit Atheistischen Reden andere ärgern. Wer bedencket, wie viel an der Religion im gemeinen Wesen gele- gen ist (§. 366) und wie mit grossem Ernst man darüber zu halten (§. 367); der wird vielmehr begreiffen, daß man Ursache hat wegen ihrer Scharffsinnigkeit und Gründ- lichkeit für andern berühmte Männer von dem Verdachte der Atheisterey mit dem grö-
Cap. 3. Von der Einrichtung viel Unheil anrichten als durch die Athei-ſterey ſelbſt. Denn weil man nach die- ſem glaubet, Leute von Verſtande koͤnten die Wahrheit am beſten einſehen, hinge- gen aber, wo man ſie einmahl in Ver- dacht gebracht, man nach dieſem ſich be- redet, als wenn ſie bloß in Abſicht auf das gemeine Weſen, darinnen ſie leben, anders mit dem Munde vorgeben, als ſie innerlich uͤberfuͤhret ſind; ſo werden auch faͤlſchlich diejenigen, welche gerne wolten, daß kein Gott waͤre, damit ſie ſicher nach ihren Luͤſten und Begierden leben koͤnten, durch ihre Autoritaͤt wo nicht zur voͤlligen Atheiſterey, doch zum Zweiffel an Gott und ſeinen Vollkommenheiten und zur Kaltſinnigkeit in der Religion verleitet werden. Man hat demnach ſo wohl die- jenigen zu beſtraffen, welche wegen ihres Verſtandes beruͤhmte Maͤnner in Ver- dacht der Atheiſterey bringen; als die, welche die Atheiſtiſche Lehren unter die Leu- te bringen, und mit Atheiſtiſchen Reden andere aͤrgern. Wer bedencket, wie viel an der Religion im gemeinen Weſen gele- gen iſt (§. 366) und wie mit groſſem Ernſt man daruͤber zu halten (§. 367); der wird vielmehr begreiffen, daß man Urſache hat wegen ihrer Scharffſinnigkeit und Gruͤnd- lichkeit fuͤr andern beruͤhmte Maͤnner von dem Verdachte der Atheiſterey mit dem groͤ-
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Cap. 3. Von der Einrichtung
viel Unheil anrichten als durch die Athei-
ſterey ſelbſt. Denn weil man nach die-
ſem glaubet, Leute von Verſtande koͤnten
die Wahrheit am beſten einſehen, hinge-
gen aber, wo man ſie einmahl in Ver-
dacht gebracht, man nach dieſem ſich be-
redet, als wenn ſie bloß in Abſicht auf
das gemeine Weſen, darinnen ſie leben,
anders mit dem Munde vorgeben, als ſie
innerlich uͤberfuͤhret ſind; ſo werden auch
faͤlſchlich diejenigen, welche gerne wolten,
daß kein Gott waͤre, damit ſie ſicher nach
ihren Luͤſten und Begierden leben koͤnten,
durch ihre Autoritaͤt wo nicht zur voͤlligen
Atheiſterey, doch zum Zweiffel an Gott
und ſeinen Vollkommenheiten und zur
Kaltſinnigkeit in der Religion verleitet
werden. Man hat demnach ſo wohl die-
jenigen zu beſtraffen, welche wegen ihres
Verſtandes beruͤhmte Maͤnner in Ver-
dacht der Atheiſterey bringen; als die,
welche die Atheiſtiſche Lehren unter die Leu-
te bringen, und mit Atheiſtiſchen Reden
andere aͤrgern. Wer bedencket, wie viel
an der Religion im gemeinen Weſen gele-
gen iſt (§. 366) und wie mit groſſem Ernſt
man daruͤber zu halten (§. 367); der wird
vielmehr begreiffen, daß man Urſache hat
wegen ihrer Scharffſinnigkeit und Gruͤnd-
lichkeit fuͤr andern beruͤhmte Maͤnner von
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