Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

des gemeinen Wesens.
grösten Cifer zu befreyen, wenn man ihn
auf sie bringen wil, oder auch sich einige
Anzeigungen hervor thäten, die bedencklich
schienen, als daß man sie mit Macht wie-
der ihren Willen darein bringen wil.

§. 369.

Jch weiß wohl, daß einige A-Einwurf
wird be-
antwor-
tet.

theisterey nicht für so schädlich im gemei-
neu Wesen halten, als man insgemein
vermeinet, absonderlich da man gantze
Völcker findet, die keinen GOtt glauben
und bey denen es doch nicht schlimmer her-
gehet als unter uns Christen. Ja man
wird vielleicht mir auch dasjenige vorhal-
ten, was ich selbst annerswo von den A-
theisten erwiesen, nemlich daß niemanden
die Atheisterey zum bösen Leben bringet,
sondern nur seine Unwissenheit und sein
Jrrthum von dem Guten und Bösen, aus
welcher Qvelle auch selbst unter den Chri-
sten ein unordentliches Leben zu entstehen
pfleget (§. 21 Mor.). Ja ich habe (§. 22
Mor.) erwiesen, daß bloß der Mißbrauch
der Atheisterey zu einem bösen Leben ver-
leitet, keines weges aber sie vor sich dazu
führe. Allein es ist gar leicht auf diesen
Einwurf zu antworten. Ein Atheist bil-
det sich nicht ein, er möge leben wie er
wolle, noch begehet alle Schandthaten
und Laster, wenn er nur von bürgerlichen
Straffen frey ist, woferne er vernünfftig
ist: beydes aber geschiehet, wo er unver-

stän-
X 2

des gemeinen Weſens.
groͤſten Cifer zu befreyen, wenn man ihn
auf ſie bringen wil, oder auch ſich einige
Anzeigungen hervor thaͤten, die bedencklich
ſchienen, als daß man ſie mit Macht wie-
der ihren Willen darein bringen wil.

§. 369.

Jch weiß wohl, daß einige A-Einwurf
wird be-
antwor-
tet.

theiſterey nicht fuͤr ſo ſchaͤdlich im gemei-
neu Weſen halten, als man insgemein
vermeinet, abſonderlich da man gantze
Voͤlcker findet, die keinen GOtt glauben
und bey denen es doch nicht ſchlimmer her-
gehet als unter uns Chriſten. Ja man
wird vielleicht mir auch dasjenige vorhal-
ten, was ich ſelbſt annerswo von den A-
theiſten erwieſen, nemlich daß niemanden
die Atheiſterey zum boͤſen Leben bringet,
ſondern nur ſeine Unwiſſenheit und ſein
Jrrthum von dem Guten und Boͤſen, aus
welcher Qvelle auch ſelbſt unter den Chri-
ſten ein unordentliches Leben zu entſtehen
pfleget (§. 21 Mor.). Ja ich habe (§. 22
Mor.) erwieſen, daß bloß der Mißbrauch
der Atheiſterey zu einem boͤſen Leben ver-
leitet, keines weges aber ſie vor ſich dazu
fuͤhre. Allein es iſt gar leicht auf dieſen
Einwurf zu antworten. Ein Atheiſt bil-
det ſich nicht ein, er moͤge leben wie er
wolle, noch begehet alle Schandthaten
und Laſter, wenn er nur von buͤrgerlichen
Straffen frey iſt, woferne er vernuͤnfftig
iſt: beydes aber geſchiehet, wo er unver-

ſtaͤn-
X 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0341" n="323"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des gemeinen We&#x017F;ens.</hi></fw><lb/>
gro&#x0364;&#x017F;ten Cifer zu befreyen, wenn man ihn<lb/>
auf &#x017F;ie bringen wil, oder auch &#x017F;ich einige<lb/>
Anzeigungen hervor tha&#x0364;ten, die bedencklich<lb/>
&#x017F;chienen, als daß man &#x017F;ie mit Macht wie-<lb/>
der ihren Willen darein bringen wil.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 369.</head>
              <p>Jch weiß wohl, daß einige A-<note place="right">Einwurf<lb/>
wird be-<lb/>
antwor-<lb/>
tet.</note><lb/>
thei&#x017F;terey nicht fu&#x0364;r &#x017F;o &#x017F;cha&#x0364;dlich im gemei-<lb/>
neu We&#x017F;en halten, als man insgemein<lb/>
vermeinet, ab&#x017F;onderlich da man gantze<lb/>
Vo&#x0364;lcker findet, die keinen GOtt glauben<lb/>
und bey denen es doch nicht &#x017F;chlimmer her-<lb/>
gehet als unter uns Chri&#x017F;ten. Ja man<lb/>
wird vielleicht mir auch dasjenige vorhal-<lb/>
ten, was ich &#x017F;elb&#x017F;t annerswo von den A-<lb/>
thei&#x017F;ten erwie&#x017F;en, nemlich daß niemanden<lb/>
die Athei&#x017F;terey zum bo&#x0364;&#x017F;en Leben bringet,<lb/>
&#x017F;ondern nur &#x017F;eine Unwi&#x017F;&#x017F;enheit und &#x017F;ein<lb/>
Jrrthum von dem Guten und Bo&#x0364;&#x017F;en, aus<lb/>
welcher Qvelle auch &#x017F;elb&#x017F;t unter den Chri-<lb/>
&#x017F;ten ein unordentliches Leben zu ent&#x017F;tehen<lb/>
pfleget (§. 21 <hi rendition="#aq">Mor.</hi>). Ja ich habe (§. 22<lb/><hi rendition="#aq">Mor.</hi>) erwie&#x017F;en, daß bloß der Mißbrauch<lb/>
der Athei&#x017F;terey zu einem bo&#x0364;&#x017F;en Leben ver-<lb/>
leitet, keines weges aber &#x017F;ie vor &#x017F;ich dazu<lb/>
fu&#x0364;hre. Allein es i&#x017F;t gar leicht auf die&#x017F;en<lb/>
Einwurf zu antworten. Ein Athei&#x017F;t bil-<lb/>
det &#x017F;ich nicht ein, er mo&#x0364;ge leben wie er<lb/>
wolle, noch begehet alle Schandthaten<lb/>
und La&#x017F;ter, wenn er nur von bu&#x0364;rgerlichen<lb/>
Straffen frey i&#x017F;t, woferne er vernu&#x0364;nfftig<lb/>
i&#x017F;t: beydes aber ge&#x017F;chiehet, wo er unver-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">X 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ta&#x0364;n-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0341] des gemeinen Weſens. groͤſten Cifer zu befreyen, wenn man ihn auf ſie bringen wil, oder auch ſich einige Anzeigungen hervor thaͤten, die bedencklich ſchienen, als daß man ſie mit Macht wie- der ihren Willen darein bringen wil. §. 369.Jch weiß wohl, daß einige A- theiſterey nicht fuͤr ſo ſchaͤdlich im gemei- neu Weſen halten, als man insgemein vermeinet, abſonderlich da man gantze Voͤlcker findet, die keinen GOtt glauben und bey denen es doch nicht ſchlimmer her- gehet als unter uns Chriſten. Ja man wird vielleicht mir auch dasjenige vorhal- ten, was ich ſelbſt annerswo von den A- theiſten erwieſen, nemlich daß niemanden die Atheiſterey zum boͤſen Leben bringet, ſondern nur ſeine Unwiſſenheit und ſein Jrrthum von dem Guten und Boͤſen, aus welcher Qvelle auch ſelbſt unter den Chri- ſten ein unordentliches Leben zu entſtehen pfleget (§. 21 Mor.). Ja ich habe (§. 22 Mor.) erwieſen, daß bloß der Mißbrauch der Atheiſterey zu einem boͤſen Leben ver- leitet, keines weges aber ſie vor ſich dazu fuͤhre. Allein es iſt gar leicht auf dieſen Einwurf zu antworten. Ein Atheiſt bil- det ſich nicht ein, er moͤge leben wie er wolle, noch begehet alle Schandthaten und Laſter, wenn er nur von buͤrgerlichen Straffen frey iſt, woferne er vernuͤnfftig iſt: beydes aber geſchiehet, wo er unver- ſtaͤn- Einwurf wird be- antwor- tet. X 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/341
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/341>, abgerufen am 22.11.2024.