Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Cap. 3. Von der Einrichtung nen falschen Eyd thun (§. 366.). Unddaß viele auch in den erwehnten Fällen sich zu einem falschen Eyde bequemen, kommt grösten Theils aus Mangel der Religion her. Wären sie in der Furcht Gottes und der da zu nöthigen Erkäntniß (§. 770. Mor.) feste genug gesetzet; so würden sie sich nimmermehr zu einem falschen Eyde ent- schlüssen. Hingegen ist klar, daß, wenn Leute durch Atheistische Gemüther auch nur zweiffelhafft in der Religion gemacht werden, sie über einem falschen Eyde sich kein Gewissen machen werden. Denn ihr Interesse, es mag so klein seyn als es wil, ist ihnen gewis: die göttliche Straffe se- hen sie als was ungewisses an. Dero- wegen behält jenes die Oberhand (§. 169. Mor.). Wir haben aber zur Gnüge ge- sehen, und wird unten noch weiter erhel- len, daß man den Eyd im gemeinen We- sen höchstnöthig habe. Was endlich die Völcker betrifft, die Atheisten seyn sollen, und doch deswegen nicht schlimmer leben, als es unter uns Christen hergehet; so weiß ich wohl, daß viele solches leugnen und vielmehr vorgeben, es sey kein Volck unter der Sonnen, welches nicht einen Gott gläube, und als einen Rächer des bösen fürchte. Allein wir wollen für die- ses mahl diese Untersuchung an seinen Ort gestellet seyn lassen, weil wir sie zu Ent- schei-
Cap. 3. Von der Einrichtung nen falſchen Eyd thun (§. 366.). Unddaß viele auch in den erwehnten Faͤllen ſich zu einem falſchen Eyde bequemen, kommt groͤſten Theils aus Mangel der Religion her. Waͤren ſie in der Furcht Gottes und der da zu noͤthigen Erkaͤntniß (§. 770. Mor.) feſte genug geſetzet; ſo wuͤrden ſie ſich nimmermehr zu einem falſchen Eyde ent- ſchluͤſſen. Hingegen iſt klar, daß, wenn Leute durch Atheiſtiſche Gemuͤther auch nur zweiffelhafft in der Religion gemacht werden, ſie uͤber einem falſchen Eyde ſich kein Gewiſſen machen werden. Denn ihr Intereſſe, es mag ſo klein ſeyn als es wil, iſt ihnen gewis: die goͤttliche Straffe ſe- hen ſie als was ungewiſſes an. Dero- wegen behaͤlt jenes die Oberhand (§. 169. Mor.). Wir haben aber zur Gnuͤge ge- ſehen, und wird unten noch weiter erhel- len, daß man den Eyd im gemeinen We- ſen hoͤchſtnoͤthig habe. Was endlich die Voͤlcker betrifft, die Atheiſten ſeyn ſollen, und doch deswegen nicht ſchlimmer leben, als es unter uns Chriſten hergehet; ſo weiß ich wohl, daß viele ſolches leugnen und vielmehr vorgeben, es ſey kein Volck unter der Sonnen, welches nicht einen Gott glaͤube, und als einen Raͤcher des boͤſen fuͤrchte. Allein wir wollen fuͤr die- ſes mahl dieſe Unterſuchung an ſeinen Ort geſtellet ſeyn laſſen, weil wir ſie zu Ent- ſchei-
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Cap. 3. Von der Einrichtung
nen falſchen Eyd thun (§. 366.). Und
daß viele auch in den erwehnten Faͤllen ſich
zu einem falſchen Eyde bequemen, kommt
groͤſten Theils aus Mangel der Religion
her. Waͤren ſie in der Furcht Gottes und
der da zu noͤthigen Erkaͤntniß (§. 770. Mor.)
feſte genug geſetzet; ſo wuͤrden ſie ſich
nimmermehr zu einem falſchen Eyde ent-
ſchluͤſſen. Hingegen iſt klar, daß, wenn
Leute durch Atheiſtiſche Gemuͤther auch
nur zweiffelhafft in der Religion gemacht
werden, ſie uͤber einem falſchen Eyde ſich
kein Gewiſſen machen werden. Denn ihr
Intereſſe, es mag ſo klein ſeyn als es wil,
iſt ihnen gewis: die goͤttliche Straffe ſe-
hen ſie als was ungewiſſes an. Dero-
wegen behaͤlt jenes die Oberhand (§. 169.
Mor.). Wir haben aber zur Gnuͤge ge-
ſehen, und wird unten noch weiter erhel-
len, daß man den Eyd im gemeinen We-
ſen hoͤchſtnoͤthig habe. Was endlich die
Voͤlcker betrifft, die Atheiſten ſeyn ſollen,
und doch deswegen nicht ſchlimmer leben,
als es unter uns Chriſten hergehet; ſo
weiß ich wohl, daß viele ſolches leugnen
und vielmehr vorgeben, es ſey kein Volck
unter der Sonnen, welches nicht einen
Gott glaͤube, und als einen Raͤcher des
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