Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 3. Von der Einrichtung
sehr grosses Unheil im gemeinen Wesen
daraus erfolget.

Warum
Tod-
schlag
und
Selbst-
Mord zu
bestrafen
§. 370.

Es hat ein jeder Mensch alles
zu vermeiden, was sein Leben verkürtzen
kan (§. 437 Mor.). Derowegen hat man
auch im gemeinen Wesen alles aus dem
Wege zu räumen, was dem Menschen an
seinem nachtheilig ist (§. 272). Mörder
bringen andere und Selbst-Mörder sich
selbst um das Leben. Und demnach hat
man nicht allein harte Lebens-Straffen
auf Todtschlag und Mordthaten zu setzen,
damit sich niemand gelüsten lässet, den an-
dern aus Rachgier umzubringen, weil es
ihn wieder sein Leben kostet, und er auf ei-
ne schimpfliche und schmertzliche Art sein
Leben lassen muß; sondern auch die Selbst-
Mörder noch nach ihrem Tode zu straffen,
indem man sie an ihrer Ehre kräncket (§.
36 Mor.): dergleichen z. E. geschiehet, wenn
man den todten Leichnam durch den Schin-
der als wie ein Aaß auf den Schindanger
schleppen und, woferne der Selbst-Mord
sehr gemein wird, wie Mörder auf das
Rad flechten lässet. Jch weiß wohl, daß
das letztere nicht im Brauch ist. Allein ich
rede ietzt als ein Weltweiser von dem, was
mit Vernunfft geschehen kan und sol (§.
343). Trifft es mit dem überein, was
üblich ist; so erkennet man, daß unsere
Einrichtungen vernünfftig sind. Findet

man

Cap. 3. Von der Einrichtung
ſehr groſſes Unheil im gemeinen Weſen
daraus erfolget.

Warum
Tod-
ſchlag
und
Selbſt-
Mord zu
beſtrafen
§. 370.

Es hat ein jeder Menſch alles
zu vermeiden, was ſein Leben verkuͤrtzen
kan (§. 437 Mor.). Derowegen hat man
auch im gemeinen Weſen alles aus dem
Wege zu raͤumen, was dem Menſchen an
ſeinem nachtheilig iſt (§. 272). Moͤrder
bringen andere und Selbſt-Moͤrder ſich
ſelbſt um das Leben. Und demnach hat
man nicht allein harte Lebens-Straffen
auf Todtſchlag und Mordthaten zu ſetzen,
damit ſich niemand geluͤſten laͤſſet, den an-
dern aus Rachgier umzubringen, weil es
ihn wieder ſein Leben koſtet, und er auf ei-
ne ſchimpfliche und ſchmertzliche Art ſein
Leben laſſen muß; ſondern auch die Selbſt-
Moͤrder noch nach ihrem Tode zu ſtraffen,
indem man ſie an ihrer Ehre kraͤncket (§.
36 Mor.): dergleichen z. E. geſchiehet, wenn
man den todten Leichnam durch den Schin-
der als wie ein Aaß auf den Schindanger
ſchleppen und, woferne der Selbſt-Mord
ſehr gemein wird, wie Moͤrder auf das
Rad flechten laͤſſet. Jch weiß wohl, daß
das letztere nicht im Brauch iſt. Allein ich
rede ietzt als ein Weltweiſer von dem, was
mit Vernunfft geſchehen kan und ſol (§.
343). Trifft es mit dem uͤberein, was
uͤblich iſt; ſo erkennet man, daß unſere
Einrichtungen vernuͤnfftig ſind. Findet

man
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0346" n="328"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Cap. 3. Von der Einrichtung</hi></fw><lb/>
&#x017F;ehr gro&#x017F;&#x017F;es Unheil im gemeinen We&#x017F;en<lb/>
daraus erfolget.</p><lb/>
              <note place="left">Warum<lb/>
Tod-<lb/>
&#x017F;chlag<lb/>
und<lb/>
Selb&#x017F;t-<lb/>
Mord zu<lb/>
be&#x017F;trafen</note>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 370.</head>
              <p>Es hat ein jeder Men&#x017F;ch alles<lb/>
zu vermeiden, was &#x017F;ein Leben verku&#x0364;rtzen<lb/>
kan (§. 437 <hi rendition="#aq">Mor.</hi>). Derowegen hat man<lb/>
auch im gemeinen We&#x017F;en alles aus dem<lb/>
Wege zu ra&#x0364;umen, was dem Men&#x017F;chen an<lb/>
&#x017F;einem nachtheilig i&#x017F;t (§. 272). Mo&#x0364;rder<lb/>
bringen andere und Selb&#x017F;t-Mo&#x0364;rder &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t um das Leben. Und demnach hat<lb/>
man nicht allein harte Lebens-Straffen<lb/>
auf Todt&#x017F;chlag und Mordthaten zu &#x017F;etzen,<lb/>
damit &#x017F;ich niemand gelu&#x0364;&#x017F;ten la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et, den an-<lb/>
dern aus Rachgier umzubringen, weil es<lb/>
ihn wieder &#x017F;ein Leben ko&#x017F;tet, und er auf ei-<lb/>
ne &#x017F;chimpfliche und &#x017F;chmertzliche Art &#x017F;ein<lb/>
Leben la&#x017F;&#x017F;en muß; &#x017F;ondern auch die Selb&#x017F;t-<lb/>
Mo&#x0364;rder noch nach ihrem Tode zu &#x017F;traffen,<lb/>
indem man &#x017F;ie an ihrer Ehre kra&#x0364;ncket (§.<lb/>
36 <hi rendition="#aq">Mor.</hi>): dergleichen z. E. ge&#x017F;chiehet, wenn<lb/>
man den todten Leichnam durch den Schin-<lb/>
der als wie ein Aaß auf den Schindanger<lb/>
&#x017F;chleppen und, woferne der Selb&#x017F;t-Mord<lb/>
&#x017F;ehr gemein wird, wie Mo&#x0364;rder auf das<lb/>
Rad flechten la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et. Jch weiß wohl, daß<lb/>
das letztere nicht im Brauch i&#x017F;t. Allein ich<lb/>
rede ietzt als ein Weltwei&#x017F;er von dem, was<lb/>
mit Vernunfft ge&#x017F;chehen kan und &#x017F;ol (§.<lb/>
343). Trifft es mit dem u&#x0364;berein, was<lb/>
u&#x0364;blich i&#x017F;t; &#x017F;o erkennet man, daß un&#x017F;ere<lb/>
Einrichtungen vernu&#x0364;nfftig &#x017F;ind. Findet<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">man</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[328/0346] Cap. 3. Von der Einrichtung ſehr groſſes Unheil im gemeinen Weſen daraus erfolget. §. 370.Es hat ein jeder Menſch alles zu vermeiden, was ſein Leben verkuͤrtzen kan (§. 437 Mor.). Derowegen hat man auch im gemeinen Weſen alles aus dem Wege zu raͤumen, was dem Menſchen an ſeinem nachtheilig iſt (§. 272). Moͤrder bringen andere und Selbſt-Moͤrder ſich ſelbſt um das Leben. Und demnach hat man nicht allein harte Lebens-Straffen auf Todtſchlag und Mordthaten zu ſetzen, damit ſich niemand geluͤſten laͤſſet, den an- dern aus Rachgier umzubringen, weil es ihn wieder ſein Leben koſtet, und er auf ei- ne ſchimpfliche und ſchmertzliche Art ſein Leben laſſen muß; ſondern auch die Selbſt- Moͤrder noch nach ihrem Tode zu ſtraffen, indem man ſie an ihrer Ehre kraͤncket (§. 36 Mor.): dergleichen z. E. geſchiehet, wenn man den todten Leichnam durch den Schin- der als wie ein Aaß auf den Schindanger ſchleppen und, woferne der Selbſt-Mord ſehr gemein wird, wie Moͤrder auf das Rad flechten laͤſſet. Jch weiß wohl, daß das letztere nicht im Brauch iſt. Allein ich rede ietzt als ein Weltweiſer von dem, was mit Vernunfft geſchehen kan und ſol (§. 343). Trifft es mit dem uͤberein, was uͤblich iſt; ſo erkennet man, daß unſere Einrichtungen vernuͤnfftig ſind. Findet man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/346
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/346>, abgerufen am 22.11.2024.