Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.des gemeinen Wesens. als Bocal-Music, oder das Singen. Undin dieser Absicht hat man im gemeinen Wesen auch Musicanten von nöthen, die bey sich ereignenden Freuden-Fällen durch das Ohr ein Vergnügen machen können. Wir finden, daß die Sineser auf beyde Music gar viel gehalten, und so wohl die Sitten-Lehre als Staats-Kunst, inglei- chen alle anständige Gebräuche, so wohl in Regeln, als Exempeln, vermittelst der Jn- strumental- und Vocal-Music ihrer Ju- gend eingepräget. Nehmlich man weiß aus der Erfahrung, daß im Gedächtnisse nichts besser bleibet als Verse, die man ab- singet, und, da die Music geschickt ist al- lerley Arten der Affecten zu erregen, die Regeln der Tugenden und anständigen Sitten mit gehörigen Affecten vermittelst derselben sich verknüpffen lassen, dergestalt daß, wenn nach diesem Gelegenheit eine Tugend auszuüben sich ereignet, zugleich die Affecten erreget werden (§. 238 Met.), dadurch man dasjenige auszuüben verlei- tet wird, was man thun sol. Man erken- net aber zugleich hieraus, daß man dabey den Mißbrauch so wohl der Jnstrumental- als Vocal-Music zu verhüten hat, wodurch man zur Geilheit, Uppigkeit und anderen unanständigem Wesen verleitet wird. Zur Ergötzung der Ohren dienen auch die Co- mödien, Tragödien und Opern, in so weit
des gemeinen Weſens. als Bocal-Muſic, oder das Singen. Undin dieſer Abſicht hat man im gemeinen Weſen auch Muſicanten von noͤthen, die bey ſich ereignenden Freuden-Faͤllen durch das Ohr ein Vergnuͤgen machen koͤnnen. Wir finden, daß die Sineſer auf beyde Muſic gar viel gehalten, und ſo wohl die Sitten-Lehre als Staats-Kunſt, inglei- chen alle anſtaͤndige Gebraͤuche, ſo wohl in Regeln, als Exempeln, vermittelſt der Jn- ſtrumental- und Vocal-Muſic ihrer Ju- gend eingepraͤget. Nehmlich man weiß aus der Erfahrung, daß im Gedaͤchtniſſe nichts beſſer bleibet als Verſe, die man ab- ſinget, und, da die Muſic geſchickt iſt al- lerley Arten der Affecten zu erregen, die Regeln der Tugenden und anſtaͤndigen Sitten mit gehoͤrigen Affecten vermittelſt derſelben ſich verknuͤpffen laſſen, dergeſtalt daß, wenn nach dieſem Gelegenheit eine Tugend auszuuͤben ſich ereignet, zugleich die Affecten erreget werden (§. 238 Met.), dadurch man dasjenige auszuuͤben verlei- tet wird, was man thun ſol. Man erken- net aber zugleich hieraus, daß man dabey den Mißbrauch ſo wohl der Jnſtrumental- als Vocal-Muſic zu verhuͤten hat, wodurch man zur Geilheit, Uppigkeit und anderen unanſtaͤndigem Weſen verleitet wird. Zur Ergoͤtzung der Ohren dienen auch die Co- moͤdien, Tragoͤdien und Opern, in ſo weit
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des gemeinen Weſens.
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in dieſer Abſicht hat man im gemeinen
Weſen auch Muſicanten von noͤthen, die
bey ſich ereignenden Freuden-Faͤllen durch
das Ohr ein Vergnuͤgen machen koͤnnen.
Wir finden, daß die Sineſer auf beyde
Muſic gar viel gehalten, und ſo wohl die
Sitten-Lehre als Staats-Kunſt, inglei-
chen alle anſtaͤndige Gebraͤuche, ſo wohl in
Regeln, als Exempeln, vermittelſt der Jn-
ſtrumental- und Vocal-Muſic ihrer Ju-
gend eingepraͤget. Nehmlich man weiß
aus der Erfahrung, daß im Gedaͤchtniſſe
nichts beſſer bleibet als Verſe, die man ab-
ſinget, und, da die Muſic geſchickt iſt al-
lerley Arten der Affecten zu erregen, die
Regeln der Tugenden und anſtaͤndigen
Sitten mit gehoͤrigen Affecten vermittelſt
derſelben ſich verknuͤpffen laſſen, dergeſtalt
daß, wenn nach dieſem Gelegenheit eine
Tugend auszuuͤben ſich ereignet, zugleich
die Affecten erreget werden (§. 238 Met.),
dadurch man dasjenige auszuuͤben verlei-
tet wird, was man thun ſol. Man erken-
net aber zugleich hieraus, daß man dabey
den Mißbrauch ſo wohl der Jnſtrumental-
als Vocal-Muſic zu verhuͤten hat, wodurch
man zur Geilheit, Uppigkeit und anderen
unanſtaͤndigem Weſen verleitet wird. Zur
Ergoͤtzung der Ohren dienen auch die Co-
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