Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von den Würckungen der Natur. Halle (Saale), 1723.Cap. I. Von dem Wesen Und hat schon der Herr von Leibnitz (a) er-innert, daß eine unendliche Zahl bloß eine Redens-Art sey, dadurch wir andeuten wollen, die Anzahl der Theile sey grösser als daß wir sie durch eine gewisse Zahl de- terminiren könnten. Ja ich setze noch die- ses hinzu. Wenn wir eine gerade Linie als eine Länge ansehen, deren jeder Theil der gantzen ähnlich ist (§. 8 Geom.) und die sich daher in lauter ähnliche und gleiche Theile zertheilen lässet; so ist klar, daß die Zahl dieser Theile bald groß, bald kleine wird, nachdem man entweder einen gros- sen oder kleinen Theil für die Eines annim- met. Z. E. wenn die Helffte der Linie Eines ist, so heisset die gantze Linie zwey. Wenn der dritte Theil Eines ist, so heisset sie drey: Wenn der hundertste Theil Eines ist, heis- set sie hundert und so weiter fort. Also sind unzehlich viel Zahlen, dadurch sich die Theile dieser Linie vorstellen lassen. Uber- haupt kan man nicht sagen, wieviel Zahlen möglich sind, dadurch sich die Theile in ei- ner Linie andeuten lassen. Am allerwe- nigsten gehet dieses an, wenn man nicht von einer gewissen gegebenen Linie redet, die ih- re abgemessene Grösse hat; sondern nur gar von einer auf gewisse Art determinirten Linie, z. E. der Diagonal in einem Qua- dra- (a) in Actis Erud. A. 1712. p. 168.
Cap. I. Von dem Weſen Und hat ſchon der Herr von Leibnitz (a) er-innert, daß eine unendliche Zahl bloß eine Redens-Art ſey, dadurch wir andeuten wollen, die Anzahl der Theile ſey groͤſſer als daß wir ſie durch eine gewiſſe Zahl de- terminiren koͤnnten. Ja ich ſetze noch die- ſes hinzu. Wenn wir eine gerade Linie als eine Laͤnge anſehen, deren jeder Theil der gantzen aͤhnlich iſt (§. 8 Geom.) und die ſich daher in lauter aͤhnliche und gleiche Theile zertheilen laͤſſet; ſo iſt klar, daß die Zahl dieſer Theile bald groß, bald kleine wird, nachdem man entweder einen groſ- ſen oder kleinen Theil fuͤr die Eines annim- met. Z. E. wenn die Helffte der Linie Eines iſt, ſo heiſſet die gantze Linie zwey. Wenn der dritte Theil Eines iſt, ſo heiſſet ſie drey: Wenn der hundertſte Theil Eines iſt, heiſ- ſet ſie hundert und ſo weiter fort. Alſo ſind unzehlich viel Zahlen, dadurch ſich die Theile dieſer Linie vorſtellen laſſen. Uber- haupt kan man nicht ſagen, wieviel Zahlen moͤglich ſind, dadurch ſich die Theile in ei- ner Linie andeuten laſſen. Am allerwe- nigſten gehet dieſes an, wenn man nicht von einer gewiſſen gegebenen Linie redet, die ih- re abgemeſſene Groͤſſe hat; ſondern nur gar von einer auf gewiſſe Art determinirten Linie, z. E. der Diagonal in einem Qua- dra- (a) in Actis Erud. A. 1712. p. 168.
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Cap. I. Von dem Weſen
Und hat ſchon der Herr von Leibnitz (a) er-
innert, daß eine unendliche Zahl bloß eine
Redens-Art ſey, dadurch wir andeuten
wollen, die Anzahl der Theile ſey groͤſſer
als daß wir ſie durch eine gewiſſe Zahl de-
terminiren koͤnnten. Ja ich ſetze noch die-
ſes hinzu. Wenn wir eine gerade Linie als
eine Laͤnge anſehen, deren jeder Theil der
gantzen aͤhnlich iſt (§. 8 Geom.) und die
ſich daher in lauter aͤhnliche und gleiche
Theile zertheilen laͤſſet; ſo iſt klar, daß die
Zahl dieſer Theile bald groß, bald kleine
wird, nachdem man entweder einen groſ-
ſen oder kleinen Theil fuͤr die Eines annim-
met. Z. E. wenn die Helffte der Linie Eines
iſt, ſo heiſſet die gantze Linie zwey. Wenn
der dritte Theil Eines iſt, ſo heiſſet ſie drey:
Wenn der hundertſte Theil Eines iſt, heiſ-
ſet ſie hundert und ſo weiter fort. Alſo
ſind unzehlich viel Zahlen, dadurch ſich die
Theile dieſer Linie vorſtellen laſſen. Uber-
haupt kan man nicht ſagen, wieviel Zahlen
moͤglich ſind, dadurch ſich die Theile in ei-
ner Linie andeuten laſſen. Am allerwe-
nigſten gehet dieſes an, wenn man nicht von
einer gewiſſen gegebenen Linie redet, die ih-
re abgemeſſene Groͤſſe hat; ſondern nur gar
von einer auf gewiſſe Art determinirten
Linie, z. E. der Diagonal in einem Qua-
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