Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von den Würckungen der Natur. Halle (Saale), 1723.der Menschen und Thiere. etc. da es in Mutter-Leibe in der Verwandlunganfängetzu leben. fortwächst und genähret wird, kan man es auch in dem Zustande nicht für etwas todtes halten. Wir sehen es auch in der Ver- wandlung, welche die Natur bey Raupen und Seiden-Würmern zeiget. Da lieget das Thierlein, welches verwandelt wird, ohne eine merckliche Regung da, als wenn es todt wäre. Unterdessen kan man es doch nicht eigentlich für ein todtes Wesen halten. Denn wenn eine Raupe oder Seiden- Wurm, oder auch ein anderes Thierlein, was eine Verwandlung leidet, sich zu der Verwandlung zugerüstet, und verstirbet in diesem Zustande; so gehet die Verwand- lung nicht vor sich, sondern der Leib ver- weset, es mag ein Anfang davon geschehen seyn, oder nicht. Und demnach ist der Zustand der Verwandlung ein mittlerer Zustand zwischen Tod und Leben, der des wegen keinen Nahmen erhalten, weil man ihn zur Zeit nicht genau erwogen. Daß er aber von beyden unterschieden, habe ich zur Gnüge gezeiget. So bald nun der alte Balg herunter ist und die Frucht ihre wahre Gestalt erhalten hat, und nun ihre neue Gliedmassen anfängt zu regen; so pfle- get man zu sagen, daß sie nun anfange zu leben, weil man das Leben eines Cörpers durch die darinnen sich ereignende Bewe- gun- Z z 5
der Menſchen und Thiere. ꝛc. da es in Mutter-Leibe in der Verwandlunganfaͤngetzu leben. fortwaͤchſt und genaͤhret wird, kan man es auch in dem Zuſtande nicht fuͤr etwas todtes halten. Wir ſehen es auch in der Ver- wandlung, welche die Natur bey Raupen und Seiden-Wuͤrmern zeiget. Da lieget das Thierlein, welches verwandelt wird, ohne eine merckliche Regung da, als wenn es todt waͤre. Unterdeſſen kan man es doch nicht eigentlich fuͤr ein todtes Weſen halten. Denn wenn eine Raupe oder Seiden- Wurm, oder auch ein anderes Thierlein, was eine Verwandlung leidet, ſich zu der Verwandlung zugeruͤſtet, und verſtirbet in dieſem Zuſtande; ſo gehet die Verwand- lung nicht vor ſich, ſondern der Leib ver- weſet, es mag ein Anfang davon geſchehen ſeyn, oder nicht. Und demnach iſt der Zuſtand der Verwandlung ein mittlerer Zuſtand zwiſchen Tod und Leben, der des wegen keinen Nahmen erhalten, weil man ihn zur Zeit nicht genau erwogen. Daß er aber von beyden unterſchieden, habe ich zur Gnuͤge gezeiget. So bald nun der alte Balg herunter iſt und die Frucht ihre wahre Geſtalt erhalten hat, und nun ihre neue Gliedmaſſen anfaͤngt zu regen; ſo pfle- get man zu ſagen, daß ſie nun anfange zu leben, weil man das Leben eines Coͤrpers durch die darinnen ſich ereignende Bewe- gun- Z z 5
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der Menſchen und Thiere. ꝛc.
da es in Mutter-Leibe in der Verwandlung
fortwaͤchſt und genaͤhret wird, kan man es
auch in dem Zuſtande nicht fuͤr etwas todtes
halten. Wir ſehen es auch in der Ver-
wandlung, welche die Natur bey Raupen
und Seiden-Wuͤrmern zeiget. Da lieget
das Thierlein, welches verwandelt wird,
ohne eine merckliche Regung da, als wenn
es todt waͤre. Unterdeſſen kan man es doch
nicht eigentlich fuͤr ein todtes Weſen halten.
Denn wenn eine Raupe oder Seiden-
Wurm, oder auch ein anderes Thierlein,
was eine Verwandlung leidet, ſich zu der
Verwandlung zugeruͤſtet, und verſtirbet in
dieſem Zuſtande; ſo gehet die Verwand-
lung nicht vor ſich, ſondern der Leib ver-
weſet, es mag ein Anfang davon geſchehen
ſeyn, oder nicht. Und demnach iſt der
Zuſtand der Verwandlung ein mittlerer
Zuſtand zwiſchen Tod und Leben, der des
wegen keinen Nahmen erhalten, weil man
ihn zur Zeit nicht genau erwogen. Daß
er aber von beyden unterſchieden, habe ich
zur Gnuͤge gezeiget. So bald nun der
alte Balg herunter iſt und die Frucht ihre
wahre Geſtalt erhalten hat, und nun ihre
neue Gliedmaſſen anfaͤngt zu regen; ſo pfle-
get man zu ſagen, daß ſie nun anfange zu
leben, weil man das Leben eines Coͤrpers
durch die darinnen ſich ereignende Bewe-
gun-
anfaͤnget
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