Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_086.001 Wir müssen für die modernen germanischen und romanischen pwo_086.004 Weiter noch entfernt sich geflissentlich vom Volksgesang Otfried, pwo_086.027 pwo_086.001 Wir müssen für die modernen germanischen und romanischen pwo_086.004 Weiter noch entfernt sich geflissentlich vom Volksgesang Otfried, pwo_086.027 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0100" n="86"/><lb n="pwo_086.001"/> und didaktische Elemente, wie denn die Handlung überhaupt <lb n="pwo_086.002"/> Unterbrechungen leidet.</p> <lb n="pwo_086.003"/> <p> Wir müssen für die modernen germanischen und romanischen <lb n="pwo_086.004"/> Völker dieser Zeit im Auge behalten, daß wiederum die Geistlichkeit, <lb n="pwo_086.005"/> nunmehr die christliche, zum alleinigen Träger der Bildung erwächst. <lb n="pwo_086.006"/> So begegnen wir in England schon während des 8. Jahrhunderts, <lb n="pwo_086.007"/> in Deutschland während des 9. biblischen Dichtungen in Form umfangreicher <lb n="pwo_086.008"/> Schriftwerke. Bedeutsam ragt hier der <hi rendition="#g">Heliand</hi> und die <lb n="pwo_086.009"/> auf denselben Kreis zurückgehende altsächsische Genesisdichtung auf, <lb n="pwo_086.010"/> weil man den oder die Verfasser unter jenen Geistlichen suchen muß, <lb n="pwo_086.011"/> die, aus dem sächsischen Volke selbst hervorgegangen, den Stil der <lb n="pwo_086.012"/> Volkssänger gründlich kennen und nachempfinden. Jn der Auffassung <lb n="pwo_086.013"/> des Stoffes ist das weltliche Verhältnis eines germanischen Königs <lb n="pwo_086.014"/> zu seinen Gefolgsmannen auf Christus und seine Jünger übertragen, <lb n="pwo_086.015"/> auch sonst sind die orientalischen Zustände unter germanischem Bilde <lb n="pwo_086.016"/> oder doch Kostüm geschaut. Bedingt der christliche Stoff naturgemäß <lb n="pwo_086.017"/> didaktische Elemente und stärkeren Gefühlsdurchbruch, so finden wir <lb n="pwo_086.018"/> doch immer den reichen Formelschatz der altgermanischen Dichtung <lb n="pwo_086.019"/> wieder, in großer Ausdehnung desgleichen die gliedweise vorschreitende <lb n="pwo_086.020"/> Beschreibung und Satzverknüpfung, vor allem auch manch treffend <lb n="pwo_086.021"/> veranschaulichte Scene. Als litterarische Stilmittel bemerken wir aber <lb n="pwo_086.022"/> bereits außer dem Verweilen bei <hi rendition="#g">Seelenzuständen</hi> die <hi rendition="#g">Begründungen</hi> <lb n="pwo_086.023"/> und <hi rendition="#g">Erläuterungen</hi> der Handlung, mancherlei <hi rendition="#g">Episoden</hi> <lb n="pwo_086.024"/> und behagliche <hi rendition="#g">Kleinmalerei,</hi> oft doch auch durch unplastische, allgemein <lb n="pwo_086.025"/> gehaltene Erzählung.</p> <lb n="pwo_086.026"/> <p> Weiter noch entfernt sich geflissentlich vom Volksgesang <hi rendition="#g">Otfried,</hi> <lb n="pwo_086.027"/> der Verfasser eines in unserm Jahrhundert unter dem Titel „Krist“ <lb n="pwo_086.028"/> herausgegebenen Evangelienbuches. Zwar zeigt sich der Verfasser, ein <lb n="pwo_086.029"/> fränkischer Benediktinermönch, von nationalem Eifer erfüllt, wie schon <lb n="pwo_086.030"/> seine Vornahme beweist, nicht Latein, die Weltsprache der christlichen <lb n="pwo_086.031"/> Mönche, sondern die Muttersprache zu schreiben. Doch in seiner <lb n="pwo_086.032"/> lateinischen Vorrede betont er als Zweck seiner Dichtung, daß durch <lb n="pwo_086.033"/> sie der Volksgesang weltlichen Jnhalts (<hi rendition="#aq">laicorum cantus obscenus</hi>) <lb n="pwo_086.034"/> verdrängt werde. So flicht er denn lange moralische und sogar schon <lb n="pwo_086.035"/> symbolische <hi rendition="#g">Erklärungen</hi> ein, verleugnet auch nie den Gelehrten. <lb n="pwo_086.036"/> Jn psychologischen <hi rendition="#g">Reflexionen</hi> ergehen sich nicht nur die handelnden </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0100]
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und didaktische Elemente, wie denn die Handlung überhaupt pwo_086.002
Unterbrechungen leidet.
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Wir müssen für die modernen germanischen und romanischen pwo_086.004
Völker dieser Zeit im Auge behalten, daß wiederum die Geistlichkeit, pwo_086.005
nunmehr die christliche, zum alleinigen Träger der Bildung erwächst. pwo_086.006
So begegnen wir in England schon während des 8. Jahrhunderts, pwo_086.007
in Deutschland während des 9. biblischen Dichtungen in Form umfangreicher pwo_086.008
Schriftwerke. Bedeutsam ragt hier der Heliand und die pwo_086.009
auf denselben Kreis zurückgehende altsächsische Genesisdichtung auf, pwo_086.010
weil man den oder die Verfasser unter jenen Geistlichen suchen muß, pwo_086.011
die, aus dem sächsischen Volke selbst hervorgegangen, den Stil der pwo_086.012
Volkssänger gründlich kennen und nachempfinden. Jn der Auffassung pwo_086.013
des Stoffes ist das weltliche Verhältnis eines germanischen Königs pwo_086.014
zu seinen Gefolgsmannen auf Christus und seine Jünger übertragen, pwo_086.015
auch sonst sind die orientalischen Zustände unter germanischem Bilde pwo_086.016
oder doch Kostüm geschaut. Bedingt der christliche Stoff naturgemäß pwo_086.017
didaktische Elemente und stärkeren Gefühlsdurchbruch, so finden wir pwo_086.018
doch immer den reichen Formelschatz der altgermanischen Dichtung pwo_086.019
wieder, in großer Ausdehnung desgleichen die gliedweise vorschreitende pwo_086.020
Beschreibung und Satzverknüpfung, vor allem auch manch treffend pwo_086.021
veranschaulichte Scene. Als litterarische Stilmittel bemerken wir aber pwo_086.022
bereits außer dem Verweilen bei Seelenzuständen die Begründungen pwo_086.023
und Erläuterungen der Handlung, mancherlei Episoden pwo_086.024
und behagliche Kleinmalerei, oft doch auch durch unplastische, allgemein pwo_086.025
gehaltene Erzählung.
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Weiter noch entfernt sich geflissentlich vom Volksgesang Otfried, pwo_086.027
der Verfasser eines in unserm Jahrhundert unter dem Titel „Krist“ pwo_086.028
herausgegebenen Evangelienbuches. Zwar zeigt sich der Verfasser, ein pwo_086.029
fränkischer Benediktinermönch, von nationalem Eifer erfüllt, wie schon pwo_086.030
seine Vornahme beweist, nicht Latein, die Weltsprache der christlichen pwo_086.031
Mönche, sondern die Muttersprache zu schreiben. Doch in seiner pwo_086.032
lateinischen Vorrede betont er als Zweck seiner Dichtung, daß durch pwo_086.033
sie der Volksgesang weltlichen Jnhalts (laicorum cantus obscenus) pwo_086.034
verdrängt werde. So flicht er denn lange moralische und sogar schon pwo_086.035
symbolische Erklärungen ein, verleugnet auch nie den Gelehrten. pwo_086.036
Jn psychologischen Reflexionen ergehen sich nicht nur die handelnden
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