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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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Personen, vor allem der Dichter selbst, der überhaupt gern hervortritt; pwo_087.002
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bisweilen glücklich eingeführt. Dabei erzeugt das Streben pwo_087.004
nach Veranschaulichung noch immer manch plastisches Bild. Die Auflösung pwo_087.005
des Langverses in zwei durch Endreim gebundene Halbverse pwo_087.006
bedingte aber auch eine weitere Auflösung der alten Stilelemente: pwo_087.007
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die Strophe zu füllen. Aehnlich begegnen sich in formelhaften Zusammensetzungen pwo_087.011
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geschieht nach litterarischem Stil schon weithin durch pwo_087.013
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Von besonderer Bedeutung ist, zu verfolgen, wie sich die Erzählung pwo_087.015
nationaler Heldenthaten unter den Händen der Geistlichen pwo_087.016
gestaltet: von den Händen darf man thatsächlich sprechen, da diese pwo_087.017
Dichtungen für die Niederschrift gedichtet sind. Das Ludwigslied aus pwo_087.018
dem Jahre 881 verherrlicht den Sieg, welchen Ludwig III. über die pwo_087.019
Normannen bei Saucourt davontrug. Jn echt epischer Weise unternimmt pwo_087.020
es nicht bloß eine Siegesfeier, vielmehr eine Erzählung, pwo_087.021
zunächst von Ludwigs Vorleben; daran schließt sich die Unterredung pwo_087.022
zwischen Gott und dem König, alsdann zwischen diesem und seinen pwo_087.023
Kampfgenossen; an die kurze, bedeutsame Bezeugung des Schlachtgesanges pwo_087.024
schließt sich eine ganz eng gedrängte Uebersicht über das Anheben pwo_087.025
des Kampfes; das Lob Gottes macht den Schluß. Die schnelle pwo_087.026
Handlungsfolge hat der geistliche Dichter indes durch subjektive pwo_087.027
Zwischenbemerkungen, teils Ausrufe, teils Urteile durchbrochen. -

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in deutscher Sprache mit ihr wetteifern. Dagegen gelangen eine Reihe pwo_087.030
nationaler Sagen von geistlicher Hand zu lateinischer Niederschrift. pwo_087.031
Während das Waltharilied des 10. Jahrhunderts noch den germanischen pwo_087.032
Geist und Stil aus dem fremden Gewande hervorblicken pwo_087.033
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wie nun anstelle des alten landfahrenden Reckentums ein seßhaftes pwo_087.035
Rittertum mit milderen, aber äußerlich glänzenderen Jdealen pwo_087.036
zur Herrschaft gelangt ist. Die Darstellung umfaßt in epischer

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  Von besonderer Bedeutung ist, zu verfolgen, wie sich die Erzählung pwo_087.015
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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/101>, abgerufen am 23.11.2024.