Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_103.001 Dieses naive Kunstwerk voll reiner Gestaltungsfreude findet im pwo_103.004 Gegen Ende des 15. Jahrhunderts zieht Hinrek van Alckmer pwo_103.013 So spiegelt diese Erzählung die verschiedensten Entwicklungsstadien pwo_103.019 pwo_103.001 Dieses naive Kunstwerk voll reiner Gestaltungsfreude findet im pwo_103.004 Gegen Ende des 15. Jahrhunderts zieht Hinrek van Alckmer pwo_103.013 So spiegelt diese Erzählung die verschiedensten Entwicklungsstadien pwo_103.019 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0117" n="103"/><lb n="pwo_103.001"/> lehrhafte Zuspitzung der Handlung, ja jeder aufdringliche Hinweis auf <lb n="pwo_103.002"/> entsprechende menschliche Verhältnisse fehlt.</p> <lb n="pwo_103.003"/> <p> Dieses naive Kunstwerk voll reiner Gestaltungsfreude findet im <lb n="pwo_103.004"/> 14. Jahrhundert eine Ueberarbeitung und Erweiterung: „<hi rendition="#g">Reinaerts <lb n="pwo_103.005"/> Historie</hi>“. Die Zuthaten sind schon inhaltlich dürftig, rein äußerlich <lb n="pwo_103.006"/> zusammengeraffte weitere <hi rendition="#g">Abenteuer</hi> und heterogene orientalische <lb n="pwo_103.007"/> <hi rendition="#g">Wundergeschichten.</hi> Die <hi rendition="#g">Sentenzensucht</hi> ist stark angewachsen, <lb n="pwo_103.008"/> gelehrte Elemente bekunden sich in <hi rendition="#g">Citaten</hi> und <hi rendition="#g">Anspielungen</hi> <lb n="pwo_103.009"/> aller Art. Mehr noch fällt die grundsätzliche Umbiegung des absichtslosen <lb n="pwo_103.010"/> Stils in eine <hi rendition="#g">bewußte Satire</hi> auf menschliche Verhältnisse <lb n="pwo_103.011"/> ins Gewicht.</p> <lb n="pwo_103.012"/> <p> Gegen Ende des 15. Jahrhunderts zieht <hi rendition="#g">Hinrek van Alckmer</hi> <lb n="pwo_103.013"/> die weiteren Konsequenzen des einmal eingeschlagenen Verfahrens, <lb n="pwo_103.014"/> indem er seiner neuen Ueberarbeitung hinter jedem einzelnen Kapitel <lb n="pwo_103.015"/> ausdrücklich eine <hi rendition="#g">didaktische Auslegung</hi> als Prosaglosse einverleibt. <lb n="pwo_103.016"/> Eine niederdeutsche Uebertragung des derart zustande gekommenen <lb n="pwo_103.017"/> Werkes bietet unser „<hi rendition="#g">Reinke de vos</hi>“.</p> <lb n="pwo_103.018"/> <p> So spiegelt diese Erzählung die verschiedensten Entwicklungsstadien <lb n="pwo_103.019"/> des epischen Stils. Zunächst macht sich die Anschaulichkeit der Darstellung <lb n="pwo_103.020"/> angenehm bemerkbar. Wald und Feld waren nicht nur grün: <lb n="pwo_103.021"/> sie standen grün; sie standen nicht nur grün: man sah sie grün <lb n="pwo_103.022"/> stehen (<hi rendition="#aq">datmen de wolde unde velde sach grone staen</hi>). Noch <lb n="pwo_103.023"/> ganz wie im Nibelungenlied wird anstelle moderner Präposition ein <lb n="pwo_103.024"/> besonderer Satz mit besonderer Handlung gebaut: nach dieser Klage <lb n="pwo_103.025"/> = <hi rendition="#aq">do desse klaghe was ghehort</hi>, ging zu Jsegrim = <hi rendition="#aq">gynck, <lb n="pwo_103.026"/> dar he Ysegryme vornam</hi>. Ebenso wenig fehlt es an den formelhaften <lb n="pwo_103.027"/> Elementen echt epischer Rede. Besonders der Titelheld Reinke <lb n="pwo_103.028"/> ist reichlich, freilich wenig schmeichelhaft bedacht: nicht nur <hi rendition="#aq">de rode</hi> <lb n="pwo_103.029"/> heißt er, auch <hi rendition="#aq">de valsche, de loze wycht, de loze deef</hi> u. s. f. <lb n="pwo_103.030"/> Paarweise zusammengeordnete Begriffe greifen mit Vorliebe spezialisierend <lb n="pwo_103.031"/> anstelle allgemeiner Begriffe ein: <hi rendition="#aq">arm unde ryke, gy kleynen <lb n="pwo_103.032"/> unde gy groten, wer meer edder mynder, ysset by <lb n="pwo_103.033"/> nachte efte ysset by daghe</hi>. Die altepische Sucht nach Zerlegung <lb n="pwo_103.034"/> der Handlung in all ihre Teile äußert sich namentlich darin, daß sie <lb n="pwo_103.035"/> erst als geschehend, dann ausdrücklich noch als vollendet erwähnt wird: <lb n="pwo_103.036"/> <hi rendition="#aq">Reynke alsus was ghevangen; ... do Reynke alsus was </hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [103/0117]
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lehrhafte Zuspitzung der Handlung, ja jeder aufdringliche Hinweis auf pwo_103.002
entsprechende menschliche Verhältnisse fehlt.
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Dieses naive Kunstwerk voll reiner Gestaltungsfreude findet im pwo_103.004
14. Jahrhundert eine Ueberarbeitung und Erweiterung: „Reinaerts pwo_103.005
Historie“. Die Zuthaten sind schon inhaltlich dürftig, rein äußerlich pwo_103.006
zusammengeraffte weitere Abenteuer und heterogene orientalische pwo_103.007
Wundergeschichten. Die Sentenzensucht ist stark angewachsen, pwo_103.008
gelehrte Elemente bekunden sich in Citaten und Anspielungen pwo_103.009
aller Art. Mehr noch fällt die grundsätzliche Umbiegung des absichtslosen pwo_103.010
Stils in eine bewußte Satire auf menschliche Verhältnisse pwo_103.011
ins Gewicht.
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Gegen Ende des 15. Jahrhunderts zieht Hinrek van Alckmer pwo_103.013
die weiteren Konsequenzen des einmal eingeschlagenen Verfahrens, pwo_103.014
indem er seiner neuen Ueberarbeitung hinter jedem einzelnen Kapitel pwo_103.015
ausdrücklich eine didaktische Auslegung als Prosaglosse einverleibt. pwo_103.016
Eine niederdeutsche Uebertragung des derart zustande gekommenen pwo_103.017
Werkes bietet unser „Reinke de vos“.
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So spiegelt diese Erzählung die verschiedensten Entwicklungsstadien pwo_103.019
des epischen Stils. Zunächst macht sich die Anschaulichkeit der Darstellung pwo_103.020
angenehm bemerkbar. Wald und Feld waren nicht nur grün: pwo_103.021
sie standen grün; sie standen nicht nur grün: man sah sie grün pwo_103.022
stehen (datmen de wolde unde velde sach grone staen). Noch pwo_103.023
ganz wie im Nibelungenlied wird anstelle moderner Präposition ein pwo_103.024
besonderer Satz mit besonderer Handlung gebaut: nach dieser Klage pwo_103.025
= do desse klaghe was ghehort, ging zu Jsegrim = gynck, pwo_103.026
dar he Ysegryme vornam. Ebenso wenig fehlt es an den formelhaften pwo_103.027
Elementen echt epischer Rede. Besonders der Titelheld Reinke pwo_103.028
ist reichlich, freilich wenig schmeichelhaft bedacht: nicht nur de rode pwo_103.029
heißt er, auch de valsche, de loze wycht, de loze deef u. s. f. pwo_103.030
Paarweise zusammengeordnete Begriffe greifen mit Vorliebe spezialisierend pwo_103.031
anstelle allgemeiner Begriffe ein: arm unde ryke, gy kleynen pwo_103.032
unde gy groten, wer meer edder mynder, ysset by pwo_103.033
nachte efte ysset by daghe. Die altepische Sucht nach Zerlegung pwo_103.034
der Handlung in all ihre Teile äußert sich namentlich darin, daß sie pwo_103.035
erst als geschehend, dann ausdrücklich noch als vollendet erwähnt wird: pwo_103.036
Reynke alsus was ghevangen; ... do Reynke alsus was
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