Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_129.001 "Bis wann zaudert ihr noch? Wann faßt ihr entschlossen ein Herz euch, pwo_129.004 pwo_129.011Jünglinge? Schämt ihr euch nicht vor den Bewohnern des Gau's, pwo_129.005 Daß ihr, die Händ' im Schoß, als säßet ihr mitten im Frieden, pwo_129.006 Träg hindämmert, und rings wütet im Lande der Krieg? pwo_129.007 Auf! in den Kampf und werft vor die Brust die gebuckelte Tartsche! pwo_129.008 Noch mit sterbender Hand schleudert das letzte Geschoß! pwo_129.009 Denn das ehrt und verherrlicht den Mann, für den Boden der Heimat pwo_129.010 Fechtend, für Weib und Kind mutig den Feind zu bestehn." Es folgen dann wohl Erfahrungen aus der Vergangenheit, aber nicht pwo_129.012 "Denn dem Todesgeschick zu entgehn ward keinem beschieden ... pwo_129.015 pwo_129.017Mancher freilich entflieht der Gefahr ... pwo_129.016 Aber um ihn nicht trauert die Stadt ..." Archilochos, der bedeutendste Nachfolger des Kallinos, führt individuellere pwo_129.018 pwo_129.020 "Dienstbar bin ich dem Herrscher, dem Enyalischen Kriegsgott, pwo_129.021 pwo_129.022Aber des Musengeschenks walt' ich, des holden, zugleich." Oft behandelt er bestimmte, deutlich erkennbare Geschehnisse. Noch pwo_129.023 "Viel versteht der Fuchs, der Jgel eines nur, doch frommt es ihm: pwo_129.028 pwo_129.031Daß er, sich zusammenrollend, auf den Feind die Stacheln kehrt; pwo_129.029 Also lernt' ich selbst im Leben eine Kunst, die mir genügt: pwo_129.030 Jedem, der mir Uebles anthat, zahl' ich schweres Uebel heim." Wie diese Poesie noch immer plastische Gestalten zu verkörpern vermag, pwo_129.032 "Mit frohem Lächeln in der Hand ein Myrtenreis pwo_129.035
Und frische Rosen trug sie, und beschattend fiel pwo_129.036 Um Brust und Nacken wallend ihr das Haar herab." pwo_129.001 „Bis wann zaudert ihr noch? Wann faßt ihr entschlossen ein Herz euch, pwo_129.004 pwo_129.011Jünglinge? Schämt ihr euch nicht vor den Bewohnern des Gau's, pwo_129.005 Daß ihr, die Händ' im Schoß, als säßet ihr mitten im Frieden, pwo_129.006 Träg hindämmert, und rings wütet im Lande der Krieg? pwo_129.007 Auf! in den Kampf und werft vor die Brust die gebuckelte Tartsche! pwo_129.008 Noch mit sterbender Hand schleudert das letzte Geschoß! pwo_129.009 Denn das ehrt und verherrlicht den Mann, für den Boden der Heimat pwo_129.010 Fechtend, für Weib und Kind mutig den Feind zu bestehn.“ Es folgen dann wohl Erfahrungen aus der Vergangenheit, aber nicht pwo_129.012 „Denn dem Todesgeschick zu entgehn ward keinem beschieden ... pwo_129.015 pwo_129.017Mancher freilich entflieht der Gefahr ... pwo_129.016 Aber um ihn nicht trauert die Stadt ...“ Archilochos, der bedeutendste Nachfolger des Kallinos, führt individuellere pwo_129.018 pwo_129.020 „Dienstbar bin ich dem Herrscher, dem Enyalischen Kriegsgott, pwo_129.021 pwo_129.022Aber des Musengeschenks walt' ich, des holden, zugleich.“ Oft behandelt er bestimmte, deutlich erkennbare Geschehnisse. Noch pwo_129.023 „Viel versteht der Fuchs, der Jgel eines nur, doch frommt es ihm: pwo_129.028 pwo_129.031Daß er, sich zusammenrollend, auf den Feind die Stacheln kehrt; pwo_129.029 Also lernt' ich selbst im Leben eine Kunst, die mir genügt: pwo_129.030 Jedem, der mir Uebles anthat, zahl' ich schweres Uebel heim.“ Wie diese Poesie noch immer plastische Gestalten zu verkörpern vermag, pwo_129.032 „Mit frohem Lächeln in der Hand ein Myrtenreis pwo_129.035
Und frische Rosen trug sie, und beschattend fiel pwo_129.036 Um Brust und Nacken wallend ihr das Haar herab.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0143" n="129"/><lb n="pwo_129.001"/> immer mitbezweckte Aufmunterung zu <hi rendition="#g">künftig</hi> gleichen Großthaten <lb n="pwo_129.002"/> in den Vordergrund getreten ist.</p> <lb n="pwo_129.003"/> <lg> <l>„Bis wann zaudert ihr noch? Wann faßt ihr entschlossen ein Herz euch,</l> <lb n="pwo_129.004"/> <l>Jünglinge? Schämt ihr euch nicht vor den Bewohnern des Gau's,</l> <lb n="pwo_129.005"/> <l>Daß ihr, die Händ' im Schoß, als säßet ihr mitten im Frieden,</l> <lb n="pwo_129.006"/> <l>Träg hindämmert, und rings wütet im Lande der Krieg?</l> <lb n="pwo_129.007"/> <l>Auf! in den Kampf und werft vor die Brust die gebuckelte Tartsche!</l> <lb n="pwo_129.008"/> <l>Noch mit sterbender Hand schleudert das letzte Geschoß!</l> <lb n="pwo_129.009"/> <l>Denn das ehrt und verherrlicht den Mann, für den Boden der Heimat</l> <lb n="pwo_129.010"/> <l>Fechtend, für Weib und Kind mutig den Feind zu bestehn.“</l> </lg> <lb n="pwo_129.011"/> <p>Es folgen dann wohl Erfahrungen aus der Vergangenheit, aber nicht <lb n="pwo_129.012"/> als greifbare Einzelfälle, sondern in Zusammenfassung zu <hi rendition="#g">allgemeinen</hi> <lb n="pwo_129.013"/> Wahrheiten:</p> <lb n="pwo_129.014"/> <lg> <l>„Denn dem Todesgeschick zu entgehn ward keinem beschieden ...</l> <lb n="pwo_129.015"/> <l>Mancher freilich entflieht der Gefahr ...</l> <lb n="pwo_129.016"/> <l>Aber um ihn nicht trauert die Stadt ...“</l> </lg> <lb n="pwo_129.017"/> <p>Archilochos, der bedeutendste Nachfolger des Kallinos, führt <hi rendition="#g">individuellere</hi> <lb n="pwo_129.018"/> Töne ein. Seine Elegien sind zum guten teil Selbstgeständnisse:</p> <lb n="pwo_129.019"/> <lb n="pwo_129.020"/> <lg> <l>„Dienstbar bin ich dem Herrscher, dem Enyalischen Kriegsgott,</l> <lb n="pwo_129.021"/> <l>Aber des Musengeschenks walt' ich, des holden, zugleich.“</l> </lg> <lb n="pwo_129.022"/> <p>Oft behandelt er bestimmte, deutlich erkennbare Geschehnisse. Noch <lb n="pwo_129.023"/> schroffer als in der Elegie bringt er in <hi rendition="#g">jambischen</hi> Gedichten seine <lb n="pwo_129.024"/> <hi rendition="#g">persönlichen</hi> Angelegenheiten zum Ausdruck, oft mit herausfordernder <lb n="pwo_129.025"/> Satyre. Die jambische Poesie bezieht trochäische Verse mit ein <lb n="pwo_129.026"/> und eignet sich schon äußerlich zum Ausdruck lebhafterer Bewegung:</p> <lb n="pwo_129.027"/> <lg> <l>„Viel versteht der Fuchs, der Jgel eines nur, doch frommt es ihm:</l> <lb n="pwo_129.028"/> <l>Daß er, sich zusammenrollend, auf den Feind die Stacheln kehrt;</l> <lb n="pwo_129.029"/> <l>Also lernt' ich selbst im Leben eine Kunst, die mir genügt:</l> <lb n="pwo_129.030"/> <l>Jedem, der mir Uebles anthat, zahl' ich schweres Uebel heim.“</l> </lg> <lb n="pwo_129.031"/> <p>Wie diese Poesie noch immer plastische Gestalten zu verkörpern vermag, <lb n="pwo_129.032"/> bekundet gerade Archilochos. So veranschaulicht ein Bruchstück <lb n="pwo_129.033"/> das Bild der Geliebten:</p> <lb n="pwo_129.034"/> <lg> <l>„Mit frohem Lächeln in der Hand ein Myrtenreis</l> <lb n="pwo_129.035"/> <l>Und frische Rosen trug sie, und beschattend fiel</l> <lb n="pwo_129.036"/> <l>Um Brust und Nacken wallend ihr das Haar herab.“</l> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [129/0143]
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immer mitbezweckte Aufmunterung zu künftig gleichen Großthaten pwo_129.002
in den Vordergrund getreten ist.
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Jünglinge? Schämt ihr euch nicht vor den Bewohnern des Gau's, pwo_129.005
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Träg hindämmert, und rings wütet im Lande der Krieg? pwo_129.007
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Denn das ehrt und verherrlicht den Mann, für den Boden der Heimat pwo_129.010
Fechtend, für Weib und Kind mutig den Feind zu bestehn.“
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Es folgen dann wohl Erfahrungen aus der Vergangenheit, aber nicht pwo_129.012
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Wahrheiten:
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„Denn dem Todesgeschick zu entgehn ward keinem beschieden ... pwo_129.015
Mancher freilich entflieht der Gefahr ... pwo_129.016
Aber um ihn nicht trauert die Stadt ...“
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Archilochos, der bedeutendste Nachfolger des Kallinos, führt individuellere pwo_129.018
Töne ein. Seine Elegien sind zum guten teil Selbstgeständnisse:
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„Dienstbar bin ich dem Herrscher, dem Enyalischen Kriegsgott, pwo_129.021
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Oft behandelt er bestimmte, deutlich erkennbare Geschehnisse. Noch pwo_129.023
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persönlichen Angelegenheiten zum Ausdruck, oft mit herausfordernder pwo_129.025
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Wie diese Poesie noch immer plastische Gestalten zu verkörpern vermag, pwo_129.032
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Um Brust und Nacken wallend ihr das Haar herab.“
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