Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_130.001 Es ist klar, daß einer solchen Vollendung eine lange Entwicklung pwo_130.002 Auch die melische Poesie, die zunächst unter den Doriern erwuchs, pwo_130.006 Jn der weitern Entwicklung der griechischen Lyrik tritt als pwo_130.025 "Schreite denn jeder beherzt vorwärts, in den Boden die Füße pwo_130.031
Fest eindrückend, die Zähn' über die Lippen geklemmt, pwo_130.032 Brust und Schulter zumal und hinabwärts Hüften und Schenkel pwo_130.033 Hinter des mächtigen Schilds eherner Wölbung gedeckt. pwo_130.034 Hochher schwing' er zum Wurf in der Rechten die wuchtige Lanze pwo_130.035 Und Furcht weckend vom Haupt flattre der Busch ihm herab ... pwo_130.036 Also die starrenden Reih'n andringender Feindesgeschwader pwo_130.037 Wirft er zurück und dämmt mächtig die Woge der Schlacht." pwo_130.001 Es ist klar, daß einer solchen Vollendung eine lange Entwicklung pwo_130.002 Auch die melische Poesie, die zunächst unter den Doriern erwuchs, pwo_130.006 Jn der weitern Entwicklung der griechischen Lyrik tritt als pwo_130.025 „Schreite denn jeder beherzt vorwärts, in den Boden die Füße pwo_130.031
Fest eindrückend, die Zähn' über die Lippen geklemmt, pwo_130.032 Brust und Schulter zumal und hinabwärts Hüften und Schenkel pwo_130.033 Hinter des mächtigen Schilds eherner Wölbung gedeckt. pwo_130.034 Hochher schwing' er zum Wurf in der Rechten die wuchtige Lanze pwo_130.035 Und Furcht weckend vom Haupt flattre der Busch ihm herab ... pwo_130.036 Also die starrenden Reih'n andringender Feindesgeschwader pwo_130.037 Wirft er zurück und dämmt mächtig die Woge der Schlacht.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0144" n="130"/> <lb n="pwo_130.001"/> <p>Es ist klar, daß einer solchen Vollendung eine lange Entwicklung <lb n="pwo_130.002"/> vorausgegangen sein muß; und diese haben wir eben in der vorlitterarischen <lb n="pwo_130.003"/> Lyrik zu suchen. Für die jambische Poesie sind solche Vorläufer <lb n="pwo_130.004"/> in skoptischen Liedern zu sehen.</p> <lb n="pwo_130.005"/> <p> Auch die <hi rendition="#g">melische</hi> Poesie, die zunächst unter den Doriern erwuchs, <lb n="pwo_130.006"/> fand in den choralartigen delphischen Kultusliedern ein wirksames <lb n="pwo_130.007"/> Vorbild. Nur hat sie Terpander, der Begründer des Melos, <lb n="pwo_130.008"/> umfangreicher gestaltet und kunstreicher gegliedert. Während Terpander <lb n="pwo_130.009"/> noch in religiösem Gehalt verharrt, wendet Alkman die schon <lb n="pwo_130.010"/> formell abwechslungsreiche Gattung auf weltliche Stoffe. Jn welchem <lb n="pwo_130.011"/> Maße die lyrischen Chorlieder epische Elemente bewahren, tritt noch <lb n="pwo_130.012"/> an Pindars Dichtung unverkennbar hervor, deren Schwergewicht auf <lb n="pwo_130.013"/> mythologischen Einlagen ruht. Aber auch der für den Einzelvortrag <lb n="pwo_130.014"/> bestimmte Nomos erzählte in seinem Hauptteil ursprünglich einen <lb n="pwo_130.015"/> Mythos, um das Lob des Gottes zu begründen. Jn den übrigen <lb n="pwo_130.016"/> Teilen gestattete das abwechslungsreiche Versmaß ein um so kunstvolleres <lb n="pwo_130.017"/> Spielen lyrischer Gefühle. Ebenso behalten die Chorlieder <lb n="pwo_130.018"/> des Alkman einen mythischen oder sagenhaften Teil bei, wie er denn <lb n="pwo_130.019"/> in einem Jungfrauenlied die Begegnung des Odysseus mit Nausikaa <lb n="pwo_130.020"/> erzählt. Mit diesem objektiven Abschnitt verknüpft sich ein subjektiver <lb n="pwo_130.021"/> von einem gewissen individuellen Charakter, ja mit direkten Selbstgeständnissen. <lb n="pwo_130.022"/> Genug, der Zusammenhang epischer und lyrischer Momente <lb n="pwo_130.023"/> bezeichnet allerorten den Uebergang.</p> <lb n="pwo_130.024"/> <p> Jn der weitern Entwicklung der griechischen Lyrik tritt als <lb n="pwo_130.025"/> Elegiker unter den Doriern Tyrtäos auf. Seine Elegien verherrlichen, <lb n="pwo_130.026"/> woran sich ja der Ruhm seines Namens knüpft, den Tod fürs <lb n="pwo_130.027"/> Vaterland. Anschaulich weiß seine Phantasie die Schlachtscenen zu <lb n="pwo_130.028"/> zeichnen, und ihr wesentlicher Unterschied von epischer Erzählung besteht <lb n="pwo_130.029"/> eigentlich nur in der optativen Wendung auf die Zukunft:</p> <lb n="pwo_130.030"/> <lg> <l>„Schreite denn jeder beherzt vorwärts, in den Boden die Füße</l> <lb n="pwo_130.031"/> <l>Fest eindrückend, die Zähn' über die Lippen geklemmt,</l> <lb n="pwo_130.032"/> <l>Brust und Schulter zumal und hinabwärts Hüften und Schenkel</l> <lb n="pwo_130.033"/> <l>Hinter des mächtigen Schilds eherner Wölbung gedeckt.</l> <lb n="pwo_130.034"/> <l>Hochher schwing' er zum Wurf in der Rechten die wuchtige Lanze</l> <lb n="pwo_130.035"/> <l>Und Furcht weckend vom Haupt flattre der Busch ihm herab ...</l> <lb n="pwo_130.036"/> <l>Also die starrenden Reih'n andringender Feindesgeschwader</l> <lb n="pwo_130.037"/> <l>Wirft er zurück und dämmt mächtig die Woge der Schlacht.“</l> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [130/0144]
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Es ist klar, daß einer solchen Vollendung eine lange Entwicklung pwo_130.002
vorausgegangen sein muß; und diese haben wir eben in der vorlitterarischen pwo_130.003
Lyrik zu suchen. Für die jambische Poesie sind solche Vorläufer pwo_130.004
in skoptischen Liedern zu sehen.
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Auch die melische Poesie, die zunächst unter den Doriern erwuchs, pwo_130.006
fand in den choralartigen delphischen Kultusliedern ein wirksames pwo_130.007
Vorbild. Nur hat sie Terpander, der Begründer des Melos, pwo_130.008
umfangreicher gestaltet und kunstreicher gegliedert. Während Terpander pwo_130.009
noch in religiösem Gehalt verharrt, wendet Alkman die schon pwo_130.010
formell abwechslungsreiche Gattung auf weltliche Stoffe. Jn welchem pwo_130.011
Maße die lyrischen Chorlieder epische Elemente bewahren, tritt noch pwo_130.012
an Pindars Dichtung unverkennbar hervor, deren Schwergewicht auf pwo_130.013
mythologischen Einlagen ruht. Aber auch der für den Einzelvortrag pwo_130.014
bestimmte Nomos erzählte in seinem Hauptteil ursprünglich einen pwo_130.015
Mythos, um das Lob des Gottes zu begründen. Jn den übrigen pwo_130.016
Teilen gestattete das abwechslungsreiche Versmaß ein um so kunstvolleres pwo_130.017
Spielen lyrischer Gefühle. Ebenso behalten die Chorlieder pwo_130.018
des Alkman einen mythischen oder sagenhaften Teil bei, wie er denn pwo_130.019
in einem Jungfrauenlied die Begegnung des Odysseus mit Nausikaa pwo_130.020
erzählt. Mit diesem objektiven Abschnitt verknüpft sich ein subjektiver pwo_130.021
von einem gewissen individuellen Charakter, ja mit direkten Selbstgeständnissen. pwo_130.022
Genug, der Zusammenhang epischer und lyrischer Momente pwo_130.023
bezeichnet allerorten den Uebergang.
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Jn der weitern Entwicklung der griechischen Lyrik tritt als pwo_130.025
Elegiker unter den Doriern Tyrtäos auf. Seine Elegien verherrlichen, pwo_130.026
woran sich ja der Ruhm seines Namens knüpft, den Tod fürs pwo_130.027
Vaterland. Anschaulich weiß seine Phantasie die Schlachtscenen zu pwo_130.028
zeichnen, und ihr wesentlicher Unterschied von epischer Erzählung besteht pwo_130.029
eigentlich nur in der optativen Wendung auf die Zukunft:
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„Schreite denn jeder beherzt vorwärts, in den Boden die Füße pwo_130.031
Fest eindrückend, die Zähn' über die Lippen geklemmt, pwo_130.032
Brust und Schulter zumal und hinabwärts Hüften und Schenkel pwo_130.033
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Also die starrenden Reih'n andringender Feindesgeschwader pwo_130.037
Wirft er zurück und dämmt mächtig die Woge der Schlacht.“
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