Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_138.001 "Zwar redet ein Gefangner insgemein pwo_138.009 pwo_138.011Nicht mit Geschick in seiner herben Pein, pwo_138.010 Doch dichtet er, von Gram sich zu befrein." Nachdem so der kathartische Charakter aller Poesie als Antrieb vorklingt, pwo_138.012 "Freund' hab' ich viel, doch sind die Gaben klein, pwo_138.014 pwo_138.016Schmach ihnen, daß um Lös'geld ich allein pwo_138.015 Zwei Winter lieg' in Haft." Damit ist der Grundakkord angeschlagen; "in Haft" könnte auch die pwo_138.017 "Nun ist es meinen Mannen doch bekannt pwo_138.023 pwo_138.028Jn Normandie, Poitou und Engelland, pwo_138.024 So armen Kriegsmann hab' ich nicht im Land, pwo_138.025 Den ich im Kerker ließ um solchen Tand. pwo_138.026 Nicht hab' ich dies zu ihrem Schimpf bekannt, pwo_138.027 Doch bin ich noch in Haft." Die variierenden Elemente des Schlußverses reden für sich allein pwo_138.029 "Zwei Winter lieg' in Haft", pwo_138.031alsdann Gegenwart: pwo_138.032"Doch bin ich noch in Haft"; pwo_138.033mit der dritten Strophe nimmt das Lied eine Wendung auf die Zukunft, pwo_138.034 "Wenn ich hier bleib' in Haft"; pwo_138.036schließlich mit zuversichtlicher Bestimmtheit: pwo_138.001 „Zwar redet ein Gefangner insgemein pwo_138.009 pwo_138.011Nicht mit Geschick in seiner herben Pein, pwo_138.010 Doch dichtet er, von Gram sich zu befrein.“ Nachdem so der kathartische Charakter aller Poesie als Antrieb vorklingt, pwo_138.012 „Freund' hab' ich viel, doch sind die Gaben klein, pwo_138.014 pwo_138.016Schmach ihnen, daß um Lös'geld ich allein pwo_138.015 Zwei Winter lieg' in Haft.“ Damit ist der Grundakkord angeschlagen; „in Haft“ könnte auch die pwo_138.017 „Nun ist es meinen Mannen doch bekannt pwo_138.023 pwo_138.028Jn Normandie, Poitou und Engelland, pwo_138.024 So armen Kriegsmann hab' ich nicht im Land, pwo_138.025 Den ich im Kerker ließ um solchen Tand. pwo_138.026 Nicht hab' ich dies zu ihrem Schimpf bekannt, pwo_138.027 Doch bin ich noch in Haft.“ Die variierenden Elemente des Schlußverses reden für sich allein pwo_138.029 „Zwei Winter lieg' in Haft“, pwo_138.031alsdann Gegenwart: pwo_138.032„Doch bin ich noch in Haft“; pwo_138.033mit der dritten Strophe nimmt das Lied eine Wendung auf die Zukunft, pwo_138.034 „Wenn ich hier bleib' in Haft“; pwo_138.036schließlich mit zuversichtlicher Bestimmtheit: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0152" n="138"/><lb n="pwo_138.001"/> deutet noch besonders auf seinen populär-religiösen Ursprung. <lb n="pwo_138.002"/> Der Refrän giebt dem Gedicht den lyrischen Hauptaccent, läßt immer <lb n="pwo_138.003"/> von neuem das Leitmotiv der Empfindung wiederklingen. Durchaus <lb n="pwo_138.004"/> der springende Punkt ist es, welchen der Refrän z. B. in König <lb n="pwo_138.005"/> Richards Klagelied heraushebt; zugleich wird das Verhältnis der <lb n="pwo_138.006"/> epischen und lyrischen Elemente durch die Gruppierung um den Refrän <lb n="pwo_138.007"/> wirksam beleuchtet:</p> <lb n="pwo_138.008"/> <lg> <l>„Zwar redet ein Gefangner insgemein</l> <lb n="pwo_138.009"/> <l>Nicht mit Geschick in seiner herben Pein,</l> <lb n="pwo_138.010"/> <l>Doch dichtet er, von Gram sich zu befrein.“</l> </lg> <lb n="pwo_138.011"/> <p>Nachdem so der kathartische Charakter aller Poesie als Antrieb vorklingt, <lb n="pwo_138.012"/> setzt eine Art Erzählung ein:</p> <lb n="pwo_138.013"/> <lg> <l>„Freund' hab' ich viel, doch sind die Gaben klein,</l> <lb n="pwo_138.014"/> <l>Schmach ihnen, daß um Lös'geld ich allein</l> <lb n="pwo_138.015"/> <l> Zwei Winter lieg' in Haft.“</l> </lg> <lb n="pwo_138.016"/> <p>Damit ist der Grundakkord angeschlagen; „in Haft“ könnte auch die <lb n="pwo_138.017"/> Ueberschrift des Gedichtes lauten; aus der Grundlage „in Haft“ entwickelt <lb n="pwo_138.018"/> sich die ganze Skala der angeschlagenen Töne. Doch wird <lb n="pwo_138.019"/> recht augenscheinlich, wie dies eine bleibende oder doch wiederkehrende <lb n="pwo_138.020"/> Element den Fortschritt der Erzählung und Empfindung von Strophe <lb n="pwo_138.021"/> zu Strophe kennzeichnet.</p> <lb n="pwo_138.022"/> <lg> <l>„Nun ist es meinen Mannen doch bekannt</l> <lb n="pwo_138.023"/> <l>Jn Normandie, Poitou und Engelland,</l> <lb n="pwo_138.024"/> <l>So armen Kriegsmann hab' ich nicht im Land,</l> <lb n="pwo_138.025"/> <l>Den ich im Kerker ließ um solchen Tand.</l> <lb n="pwo_138.026"/> <l>Nicht hab' ich dies zu ihrem Schimpf bekannt,</l> <lb n="pwo_138.027"/> <l> Doch bin ich noch in Haft.“</l> </lg> <lb n="pwo_138.028"/> <p> Die variierenden Elemente des Schlußverses reden für sich allein <lb n="pwo_138.029"/> deutlich genug: zunächst Vergangenheit:</p> <lb n="pwo_138.030"/> <lg> <l>„<hi rendition="#g">Zwei Winter lieg'</hi> in Haft“,</l> </lg> <lb n="pwo_138.031"/> <p>alsdann Gegenwart:</p> <lb n="pwo_138.032"/> <lg> <l>„<hi rendition="#g">Doch bin ich noch</hi> in Haft“;</l> </lg> <lb n="pwo_138.033"/> <p>mit der dritten Strophe nimmt das Lied eine Wendung auf die Zukunft, <lb n="pwo_138.034"/> vorerst hypothetisch:</p> <lb n="pwo_138.035"/> <lg> <l>„<hi rendition="#g">Wenn ich hier bleib' in Haft</hi>“;</l> </lg> <lb n="pwo_138.036"/> <p>schließlich mit zuversichtlicher Bestimmtheit:</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [138/0152]
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deutet noch besonders auf seinen populär-religiösen Ursprung. pwo_138.002
Der Refrän giebt dem Gedicht den lyrischen Hauptaccent, läßt immer pwo_138.003
von neuem das Leitmotiv der Empfindung wiederklingen. Durchaus pwo_138.004
der springende Punkt ist es, welchen der Refrän z. B. in König pwo_138.005
Richards Klagelied heraushebt; zugleich wird das Verhältnis der pwo_138.006
epischen und lyrischen Elemente durch die Gruppierung um den Refrän pwo_138.007
wirksam beleuchtet:
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„Zwar redet ein Gefangner insgemein pwo_138.009
Nicht mit Geschick in seiner herben Pein, pwo_138.010
Doch dichtet er, von Gram sich zu befrein.“
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Nachdem so der kathartische Charakter aller Poesie als Antrieb vorklingt, pwo_138.012
setzt eine Art Erzählung ein:
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„Freund' hab' ich viel, doch sind die Gaben klein, pwo_138.014
Schmach ihnen, daß um Lös'geld ich allein pwo_138.015
Zwei Winter lieg' in Haft.“
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Damit ist der Grundakkord angeschlagen; „in Haft“ könnte auch die pwo_138.017
Ueberschrift des Gedichtes lauten; aus der Grundlage „in Haft“ entwickelt pwo_138.018
sich die ganze Skala der angeschlagenen Töne. Doch wird pwo_138.019
recht augenscheinlich, wie dies eine bleibende oder doch wiederkehrende pwo_138.020
Element den Fortschritt der Erzählung und Empfindung von Strophe pwo_138.021
zu Strophe kennzeichnet.
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„Nun ist es meinen Mannen doch bekannt pwo_138.023
Jn Normandie, Poitou und Engelland, pwo_138.024
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Den ich im Kerker ließ um solchen Tand. pwo_138.026
Nicht hab' ich dies zu ihrem Schimpf bekannt, pwo_138.027
Doch bin ich noch in Haft.“
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Die variierenden Elemente des Schlußverses reden für sich allein pwo_138.029
deutlich genug: zunächst Vergangenheit:
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„Zwei Winter lieg' in Haft“,
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alsdann Gegenwart:
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mit der dritten Strophe nimmt das Lied eine Wendung auf die Zukunft, pwo_138.034
vorerst hypothetisch:
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„Wenn ich hier bleib' in Haft“;
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schließlich mit zuversichtlicher Bestimmtheit:
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