Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_163.001 So beklagt der Dichter ferner die Mühsal seines Alter und seine pwo_163.002
Damit bekundet sich deutlich die ursprünglich durchaus nicht spezifisch pwo_163.012
Es leuchtet nun ein, daß ein solcher Gang der Entwicklung eine letzte pwo_163.025 pwo_163.001 So beklagt der Dichter ferner die Mühsal seines Alter und seine pwo_163.002
Damit bekundet sich deutlich die ursprünglich durchaus nicht spezifisch pwo_163.012
Es leuchtet nun ein, daß ein solcher Gang der Entwicklung eine letzte pwo_163.025 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0177" n="163"/> <lb n="pwo_163.001"/> <p>So beklagt der Dichter ferner die Mühsal seines Alter und seine <lb n="pwo_163.002"/> Armut in gegenständlicher, allein durch <hi rendition="#g">Ausrufungsform</hi> lebhafter <lb n="pwo_163.003"/> auf Gefühlseindruck hingewandter Erzählung:</p> <lb n="pwo_163.004"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„Wie sich der rîche betraget!</l> <lb n="pwo_163.005"/> <l>sô dem nôthaften waget</l> <lb n="pwo_163.006"/> <l>dur daz lant der stegereif.</l> <lb n="pwo_163.007"/> <l>daz ich ze bûwe niht engreif,</l> <lb n="pwo_163.008"/> <l>dô mir begonde entspringen</l> <lb n="pwo_163.009"/> <l>von alrêrste mîn bart!</l> <lb n="pwo_163.010"/> <l> des muoz ich nû mit arbeiten ringen.“</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_163.011"/> <p>Damit bekundet sich deutlich die ursprünglich durchaus nicht spezifisch <lb n="pwo_163.012"/> didaktische Bestimmung der Einzelstrophe. Für die Ursprünge der <lb n="pwo_163.013"/> neuen Dichtungsform sind weiterhin eine Reihe <hi rendition="#g">religiöser</hi> Strophen <lb n="pwo_163.014"/> charakteristisch. Auch die Form der <hi rendition="#g">Tierfabel</hi> benutzt der alte <lb n="pwo_163.015"/> Spervogel zu unaufdringlich sinnreicher Erzählung. Schon die jüngeren <lb n="pwo_163.016"/> Sprüche der Spervogel-Gruppe gehen indes ausschließlicher auf <lb n="pwo_163.017"/> allgemeine Lehren aus:</p> <lb n="pwo_163.018"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„Swer in fremeden landen vil der tugende hât,</l> <lb n="pwo_163.019"/> <l>der solte niemer komen hein, daz wær mîn rât.“</l> <lb n="pwo_163.020"/> <l>„Man sol den mantel kêren als daz weter gât.</l> <lb n="pwo_163.021"/> <l>ein frumer man der habe sîn dinc als ez dâ stât.</l> <lb n="pwo_163.022"/> <l>sîns leides sî er niht ze dol,</l> <lb n="pwo_163.023"/> <l>sîn liep er schône haben sol“ &c.</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_163.024"/> <p>Es leuchtet nun ein, daß ein solcher Gang der Entwicklung eine letzte <lb n="pwo_163.025"/> Folge aus den Keimen der Lyrik darstellt. Neben die Thatsachen <lb n="pwo_163.026"/> sehen wir zunächst einen Gefühlsausbruch treten; der einzelne Accent <lb n="pwo_163.027"/> weitet sich zu längerer Reflexion: nicht die Blüte, aber die Ueberreife <lb n="pwo_163.028"/> bezeichnet es, wenn unter Zurückdrängung der gefühlserregenden Thatsachen <lb n="pwo_163.029"/> die Mitteilung der Gefühle den <hi rendition="#g">ausgesprochenen</hi> didaktischen <lb n="pwo_163.030"/> oder doch tendenziösen Zweck annimmt, die Hörer mit denselben <lb n="pwo_163.031"/> Gefühlen zu erfüllen. Die Blütezeit haben wir in der Harmonie <lb n="pwo_163.032"/> zwischen den beiden Elementen der Darstellung zu sehen, in der vollen <lb n="pwo_163.033"/> geistigen Durchdringung der Thatsachen, in der vollen thatsächlichen <lb n="pwo_163.034"/> Veranschaulichung der geistigen Empfindungen.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [163/0177]
pwo_163.001
So beklagt der Dichter ferner die Mühsal seines Alter und seine pwo_163.002
Armut in gegenständlicher, allein durch Ausrufungsform lebhafter pwo_163.003
auf Gefühlseindruck hingewandter Erzählung:
pwo_163.004
„Wie sich der rîche betraget! pwo_163.005
sô dem nôthaften waget pwo_163.006
dur daz lant der stegereif. pwo_163.007
daz ich ze bûwe niht engreif, pwo_163.008
dô mir begonde entspringen pwo_163.009
von alrêrste mîn bart! pwo_163.010
des muoz ich nû mit arbeiten ringen.“
pwo_163.011
Damit bekundet sich deutlich die ursprünglich durchaus nicht spezifisch pwo_163.012
didaktische Bestimmung der Einzelstrophe. Für die Ursprünge der pwo_163.013
neuen Dichtungsform sind weiterhin eine Reihe religiöser Strophen pwo_163.014
charakteristisch. Auch die Form der Tierfabel benutzt der alte pwo_163.015
Spervogel zu unaufdringlich sinnreicher Erzählung. Schon die jüngeren pwo_163.016
Sprüche der Spervogel-Gruppe gehen indes ausschließlicher auf pwo_163.017
allgemeine Lehren aus:
pwo_163.018
„Swer in fremeden landen vil der tugende hât, pwo_163.019
der solte niemer komen hein, daz wær mîn rât.“ pwo_163.020
„Man sol den mantel kêren als daz weter gât. pwo_163.021
ein frumer man der habe sîn dinc als ez dâ stât. pwo_163.022
sîns leides sî er niht ze dol, pwo_163.023
sîn liep er schône haben sol“ &c.
pwo_163.024
Es leuchtet nun ein, daß ein solcher Gang der Entwicklung eine letzte pwo_163.025
Folge aus den Keimen der Lyrik darstellt. Neben die Thatsachen pwo_163.026
sehen wir zunächst einen Gefühlsausbruch treten; der einzelne Accent pwo_163.027
weitet sich zu längerer Reflexion: nicht die Blüte, aber die Ueberreife pwo_163.028
bezeichnet es, wenn unter Zurückdrängung der gefühlserregenden Thatsachen pwo_163.029
die Mitteilung der Gefühle den ausgesprochenen didaktischen pwo_163.030
oder doch tendenziösen Zweck annimmt, die Hörer mit denselben pwo_163.031
Gefühlen zu erfüllen. Die Blütezeit haben wir in der Harmonie pwo_163.032
zwischen den beiden Elementen der Darstellung zu sehen, in der vollen pwo_163.033
geistigen Durchdringung der Thatsachen, in der vollen thatsächlichen pwo_163.034
Veranschaulichung der geistigen Empfindungen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |