Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_181.001 Wortgewaltig und erhaben tritt uns die nun vollendete tragische pwo_181.002 "Mit dem bluttrunkenen Mordblick des zum Fang fliegenden Felsdrachen, so pwo_181.004 pwo_181.009vielarmig, so vielschiffig hinab schießt er den Giftpfeil pwo_181.005 Von dem Schlachtwagen Assyriens in die lanzenkund'gen Städte. pwo_181.006 Und es tritt keiner hervor gegen die lautbrandende Heerflut wie ein Bollwerk pwo_181.007 vor der unzwingbaren Meerwoge zu schirmen; pwo_181.008 Denn unnahbar in der Schlacht kenn' ich und kühn das Volk der Perser." Nicht schönes Maß, sondern maßloses, wildes Weh ringt nach Ausdruck: pwo_181.010"Gräßliches, gräßliches Weh! pwo_181.011 pwo_181.013Entsetzliches, unsel'ges Weh uns! pwo_181.012 O weinet, weinet, Perser, da ihr solches Leid hört!" "Trostlos laut weinen" läßt der Tragiker seine Gestalten: pwo_181.014"Aufschrei, aufschrei pwo_181.015 pwo_181.016Jch von Thränen übermannt." Tiefer noch als diese Betrachtung des leidenschaftlichen Ausdrucks pwo_181.017 "Doch der trugsinnenden Gottheit, wer entkommt ihr von den Menschen? pwo_181.021 pwo_181.026Wer entrinnt ihr mit dem raschfliehenden Fuß glückenden Sprunges? pwo_181.022 Denn so süß lächelnd im Anfange sie liebkost, sie verlockt pwo_181.023 Jn das Garn, draus nimmermehr pwo_181.024 Noch hinausschleichend, noch ausweichend der Mensch wieder entkommt. pwo_181.025 Denn ein Gott ordnet die Lose des Schicksals ..." Was hier in den "Persern" von vorn herein zu theoretischer Betrachtung pwo_181.027 "... Aber wenn wahrhaftig du pwo_181.033 pwo_181.035Dein eigen Schicksal kennest, warum gehst du gleich pwo_181.034 Dem gottgetriebnen Stier zum Altar festen Muts?" Aber weder von Flucht, noch von Zögern will die Seherin wissen, pwo_181.036 pwo_181.001 Wortgewaltig und erhaben tritt uns die nun vollendete tragische pwo_181.002 „Mit dem bluttrunkenen Mordblick des zum Fang fliegenden Felsdrachen, so pwo_181.004 pwo_181.009vielarmig, so vielschiffig hinab schießt er den Giftpfeil pwo_181.005 Von dem Schlachtwagen Assyriens in die lanzenkund'gen Städte. pwo_181.006 Und es tritt keiner hervor gegen die lautbrandende Heerflut wie ein Bollwerk pwo_181.007 vor der unzwingbaren Meerwoge zu schirmen; pwo_181.008 Denn unnahbar in der Schlacht kenn' ich und kühn das Volk der Perser.“ Nicht schönes Maß, sondern maßloses, wildes Weh ringt nach Ausdruck: pwo_181.010„Gräßliches, gräßliches Weh! pwo_181.011 pwo_181.013Entsetzliches, unsel'ges Weh uns! pwo_181.012 O weinet, weinet, Perser, da ihr solches Leid hört!“ „Trostlos laut weinen“ läßt der Tragiker seine Gestalten: pwo_181.014„Aufschrei, aufschrei pwo_181.015 pwo_181.016Jch von Thränen übermannt.“ Tiefer noch als diese Betrachtung des leidenschaftlichen Ausdrucks pwo_181.017 „Doch der trugsinnenden Gottheit, wer entkommt ihr von den Menschen? pwo_181.021 pwo_181.026Wer entrinnt ihr mit dem raschfliehenden Fuß glückenden Sprunges? pwo_181.022 Denn so süß lächelnd im Anfange sie liebkost, sie verlockt pwo_181.023 Jn das Garn, draus nimmermehr pwo_181.024 Noch hinausschleichend, noch ausweichend der Mensch wieder entkommt. pwo_181.025 Denn ein Gott ordnet die Lose des Schicksals ...“ Was hier in den „Persern“ von vorn herein zu theoretischer Betrachtung pwo_181.027 „... 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Form entgegen:
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Der Untergang ist Schicksal:
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Palast der Klytämnestra harrt. Der Chor legt ihr denn auch ausdrücklich pwo_181.031
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da das Verhängnis unaufhaltbar, unaufschiebbar ist. Es wird klar,
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