Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_015.001 pwo_015.010 § 14. pwo_015.011 pwo_015.012Die Nachahmungstheorie in der Poetik. Weiteste Anerkennung bis in unsere Tage hinein genießt die pwo_015.013 Jn Wirklichkeit ist die Nachahmungstheorie schon deshalb unhaltbar, pwo_015.020 Diese Definition erscheint indes nicht nur zu eng, sondern auch pwo_015.031 pwo_015.001 pwo_015.010 § 14. pwo_015.011 pwo_015.012Die Nachahmungstheorie in der Poetik. Weiteste Anerkennung bis in unsere Tage hinein genießt die pwo_015.013 Jn Wirklichkeit ist die Nachahmungstheorie schon deshalb unhaltbar, pwo_015.020 Diese Definition erscheint indes nicht nur zu eng, sondern auch pwo_015.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0029" n="15"/><lb n="pwo_015.001"/> schafft nicht in der Berechnung, dem Publikum Vergnügen zu bereiten: <lb n="pwo_015.002"/> aus einer innern Nötigung wachsen alle echten Kunstwerke hervor. <lb n="pwo_015.003"/> Nun kann die wahre Vollkommenheit einer Dichtung doch nur in <lb n="pwo_015.004"/> vollendeter Erreichung der Absichten ihres Schöpfers bestehen. Folglich <lb n="pwo_015.005"/> kann das Vergnügen nicht die Hauptwirkung des poetischen Werkes, <lb n="pwo_015.006"/> sondern nur eine sekundäre Begleit- oder Folgeerscheinung derselben <lb n="pwo_015.007"/> darbieten. Am wenigsten kann als <hi rendition="#g">Begriffsbestimmung</hi> <lb n="pwo_015.008"/> davon die Rede sein, daß die Dichter (nützen oder) ergötzen <hi rendition="#g">wollen</hi> <lb n="pwo_015.009"/> (<hi rendition="#aq">aut prodesse volunt aut delectare poetae</hi>).</p> </div> <div n="3"> <lb n="pwo_015.010"/> <head> <hi rendition="#c">§ 14. <lb n="pwo_015.011"/> Die Nachahmungstheorie in der Poetik.</hi> </head> <lb n="pwo_015.012"/> <p> Weiteste Anerkennung bis in unsere Tage hinein genießt die <lb n="pwo_015.013"/> Definition der Kunst als Nachahmung der Natur. Auf jeden Zweifel <lb n="pwo_015.014"/> antwortete die deutsche Poetik im Umkreis von anderthalb Jahrhunderten <lb n="pwo_015.015"/> mit dem Hinweis auf die Autorität des Aristoteles. Dieselbe <lb n="pwo_015.016"/> Auffassung verkündet und bethätigt aber der litterarische Nachwuchs <lb n="pwo_015.017"/> der Gegenwart als angeblich neueste und vorgeschrittenste Offenbarung <lb n="pwo_015.018"/> vom Wesen der Kunst.</p> <lb n="pwo_015.019"/> <p> Jn Wirklichkeit ist die Nachahmungstheorie schon deshalb unhaltbar, <lb n="pwo_015.020"/> weil sie zu eng ist. Sie würde die Lyrik aus dem Bereich der <lb n="pwo_015.021"/> Poesie ausschließen: denn wenn man schon zugestehen wollte, daß <lb n="pwo_015.022"/> Epos und Drama in gewissem Sinne Begebenheiten, Handlungen und <lb n="pwo_015.023"/> Charaktere nachahmen, so läßt sich in wissenschaftlicher Terminologie <lb n="pwo_015.024"/> sicherlich nicht sagen, daß die Lyrik Gefühle „nachahmt“. Dieser Einwurf <lb n="pwo_015.025"/> zu enger Fassung richtet sich nicht eigentlich gegen Aristoteles <lb n="pwo_015.026"/> selbst, der in seiner Poetik eben nur Tragödie und Epos abhandelt. <lb n="pwo_015.027"/> Daß er den Nachahmungstrieb zum Ausgangspunkt wählt, wird besonders <lb n="pwo_015.028"/> durch seine wesentlich auf dem Drama fußende Betrachtung <lb n="pwo_015.029"/> verständlicher.</p> <lb n="pwo_015.030"/> <p> Diese Definition erscheint indes nicht nur zu eng, sondern auch <lb n="pwo_015.031"/> zu vag und allgemein. Sie giebt nur die an sich schon evidente Beziehung <lb n="pwo_015.032"/> zum Stoff, nicht aber das ausschlaggebende Mittel, durch <lb n="pwo_015.033"/> welches sich die Nachahmung von dem Vorbild scheidet, die Kunst <lb n="pwo_015.034"/> über die Natur erhebt.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0029]
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schafft nicht in der Berechnung, dem Publikum Vergnügen zu bereiten: pwo_015.002
aus einer innern Nötigung wachsen alle echten Kunstwerke hervor. pwo_015.003
Nun kann die wahre Vollkommenheit einer Dichtung doch nur in pwo_015.004
vollendeter Erreichung der Absichten ihres Schöpfers bestehen. Folglich pwo_015.005
kann das Vergnügen nicht die Hauptwirkung des poetischen Werkes, pwo_015.006
sondern nur eine sekundäre Begleit- oder Folgeerscheinung derselben pwo_015.007
darbieten. Am wenigsten kann als Begriffsbestimmung pwo_015.008
davon die Rede sein, daß die Dichter (nützen oder) ergötzen wollen pwo_015.009
(aut prodesse volunt aut delectare poetae).
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§ 14. pwo_015.011
Die Nachahmungstheorie in der Poetik. pwo_015.012
Weiteste Anerkennung bis in unsere Tage hinein genießt die pwo_015.013
Definition der Kunst als Nachahmung der Natur. Auf jeden Zweifel pwo_015.014
antwortete die deutsche Poetik im Umkreis von anderthalb Jahrhunderten pwo_015.015
mit dem Hinweis auf die Autorität des Aristoteles. Dieselbe pwo_015.016
Auffassung verkündet und bethätigt aber der litterarische Nachwuchs pwo_015.017
der Gegenwart als angeblich neueste und vorgeschrittenste Offenbarung pwo_015.018
vom Wesen der Kunst.
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Jn Wirklichkeit ist die Nachahmungstheorie schon deshalb unhaltbar, pwo_015.020
weil sie zu eng ist. Sie würde die Lyrik aus dem Bereich der pwo_015.021
Poesie ausschließen: denn wenn man schon zugestehen wollte, daß pwo_015.022
Epos und Drama in gewissem Sinne Begebenheiten, Handlungen und pwo_015.023
Charaktere nachahmen, so läßt sich in wissenschaftlicher Terminologie pwo_015.024
sicherlich nicht sagen, daß die Lyrik Gefühle „nachahmt“. Dieser Einwurf pwo_015.025
zu enger Fassung richtet sich nicht eigentlich gegen Aristoteles pwo_015.026
selbst, der in seiner Poetik eben nur Tragödie und Epos abhandelt. pwo_015.027
Daß er den Nachahmungstrieb zum Ausgangspunkt wählt, wird besonders pwo_015.028
durch seine wesentlich auf dem Drama fußende Betrachtung pwo_015.029
verständlicher.
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Diese Definition erscheint indes nicht nur zu eng, sondern auch pwo_015.031
zu vag und allgemein. Sie giebt nur die an sich schon evidente Beziehung pwo_015.032
zum Stoff, nicht aber das ausschlaggebende Mittel, durch pwo_015.033
welches sich die Nachahmung von dem Vorbild scheidet, die Kunst pwo_015.034
über die Natur erhebt.
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