Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_050.001 Genug, wo wir die Poesie über kurze Heldenlieder hinaus zur litterarischen pwo_050.002 Ueberhaupt wird die Natur nun in ausgedehnte Beziehung zum pwo_050.013
Damit hat der Dichter sein Thema, wenn auch nicht mehr wie früher pwo_050.025 Eine letzte Wendung im Verhältnis des Menschen zur Natur pwo_050.029 pwo_050.001 Genug, wo wir die Poesie über kurze Heldenlieder hinaus zur litterarischen pwo_050.002 Ueberhaupt wird die Natur nun in ausgedehnte Beziehung zum pwo_050.013
Damit hat der Dichter sein Thema, wenn auch nicht mehr wie früher pwo_050.025 Eine letzte Wendung im Verhältnis des Menschen zur Natur pwo_050.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0064" n="50"/> <lb n="pwo_050.001"/> <p>Genug, wo wir die Poesie über kurze Heldenlieder hinaus zur litterarischen <lb n="pwo_050.002"/> Nationalepopöe herangereift sehen, treffen wir bereits Einkleidung <lb n="pwo_050.003"/> in Naturbilder oder doch ausgeführte Vergleiche. Jn der <lb n="pwo_050.004"/> Lyrik gelangt diese Versenkung in die Natur zu voller Ausbildung. <lb n="pwo_050.005"/> Während zunächst menschliche Gestalt im Gewande des Tier- oder <lb n="pwo_050.006"/> Pflanzenlebens, der Gestirne oder der Naturgewalten auftritt, sind <lb n="pwo_050.007"/> mit zunehmender Reflexion auch bloße Gefühle in Beziehung zu gleichgearteten <lb n="pwo_050.008"/> Naturkörpern gesetzt. Sehr bezeichnend verliert der Einzelgegenstand <lb n="pwo_050.009"/> mit Anknüpfung solcher Beziehung, mit Einkleidung in <lb n="pwo_050.010"/> solchen Schein, den Charakter des Rohstoffes, um durch den Vergleich <lb n="pwo_050.011"/> poetische Beleuchtung, durch das Bild poetisches Wesen zu gewinnen.</p> <lb n="pwo_050.012"/> <p> Ueberhaupt wird die Natur nun in ausgedehnte Beziehung zum <lb n="pwo_050.013"/> Menschenleben gesetzt. Alle Gebiete der Natur durchmißt des Dichters <lb n="pwo_050.014"/> Blick, um ein poetisches Seitenstück für das Menschentreiben zu <lb n="pwo_050.015"/> gewinnen:</p> <lb n="pwo_050.016"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„Ich hôrte ein wazzer diezen</l> <lb n="pwo_050.017"/> <l>Und sach die vische fliezen;</l> <lb n="pwo_050.018"/> <l>Ich sach, swaz in der welte was,</l> <lb n="pwo_050.019"/> <l>Felt unde walt, loup, rôr unt gras,</l> <lb n="pwo_050.020"/> <l>Swaz kriuchet unde fliuget</l> <lb n="pwo_050.021"/> <l>Und bein zer erde biuget,</l> <lb n="pwo_050.022"/> <l>Daz sach ich, unde sage iu daz:</l> <lb n="pwo_050.023"/> <l>Der keinez lebet âne haz.“</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_050.024"/> <p>Damit hat der Dichter sein Thema, wenn auch nicht mehr wie früher <lb n="pwo_050.025"/> wörtlich in eine höhere, so doch in eine weitere Sphäre gehoben. <lb n="pwo_050.026"/> Dies Jnbeziehungsetzen zum Höheren oder Weiteren erscheint danach <lb n="pwo_050.027"/> immer als eine Methode der Poetisierung.</p> <lb n="pwo_050.028"/> <p> Eine letzte Wendung im Verhältnis des Menschen zur Natur <lb n="pwo_050.029"/> tritt mit Störung der naiven Harmonie zwischen beiden ein: der <lb n="pwo_050.030"/> Mensch fühlt die Entzweiung und <hi rendition="#g">sehnt sich</hi> nach Harmonie mit der <lb n="pwo_050.031"/> Natur <hi rendition="#g">zurück.</hi> Schon in der griechischen Dichtung ist diese Periode <lb n="pwo_050.032"/> durch die Schöpfung des Jdylls bezeichnet. Eine sentimentale Sehnsucht <lb n="pwo_050.033"/> nach Naturzuständen bekundet schon damals am unmittelbarsten <lb n="pwo_050.034"/> den Verlust der Natur. Für die moderne Welt bezeichnet Jean <lb n="pwo_050.035"/> Jacques Rousseau den vollen Ausbruch dieser Naturschwärmerei, <lb n="pwo_050.036"/> Goethes „Werther“ ihren Gipfel.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [50/0064]
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Genug, wo wir die Poesie über kurze Heldenlieder hinaus zur litterarischen pwo_050.002
Nationalepopöe herangereift sehen, treffen wir bereits Einkleidung pwo_050.003
in Naturbilder oder doch ausgeführte Vergleiche. Jn der pwo_050.004
Lyrik gelangt diese Versenkung in die Natur zu voller Ausbildung. pwo_050.005
Während zunächst menschliche Gestalt im Gewande des Tier- oder pwo_050.006
Pflanzenlebens, der Gestirne oder der Naturgewalten auftritt, sind pwo_050.007
mit zunehmender Reflexion auch bloße Gefühle in Beziehung zu gleichgearteten pwo_050.008
Naturkörpern gesetzt. Sehr bezeichnend verliert der Einzelgegenstand pwo_050.009
mit Anknüpfung solcher Beziehung, mit Einkleidung in pwo_050.010
solchen Schein, den Charakter des Rohstoffes, um durch den Vergleich pwo_050.011
poetische Beleuchtung, durch das Bild poetisches Wesen zu gewinnen.
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Ueberhaupt wird die Natur nun in ausgedehnte Beziehung zum pwo_050.013
Menschenleben gesetzt. Alle Gebiete der Natur durchmißt des Dichters pwo_050.014
Blick, um ein poetisches Seitenstück für das Menschentreiben zu pwo_050.015
gewinnen:
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„Ich hôrte ein wazzer diezen pwo_050.017
Und sach die vische fliezen; pwo_050.018
Ich sach, swaz in der welte was, pwo_050.019
Felt unde walt, loup, rôr unt gras, pwo_050.020
Swaz kriuchet unde fliuget pwo_050.021
Und bein zer erde biuget, pwo_050.022
Daz sach ich, unde sage iu daz: pwo_050.023
Der keinez lebet âne haz.“
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Damit hat der Dichter sein Thema, wenn auch nicht mehr wie früher pwo_050.025
wörtlich in eine höhere, so doch in eine weitere Sphäre gehoben. pwo_050.026
Dies Jnbeziehungsetzen zum Höheren oder Weiteren erscheint danach pwo_050.027
immer als eine Methode der Poetisierung.
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Eine letzte Wendung im Verhältnis des Menschen zur Natur pwo_050.029
tritt mit Störung der naiven Harmonie zwischen beiden ein: der pwo_050.030
Mensch fühlt die Entzweiung und sehnt sich nach Harmonie mit der pwo_050.031
Natur zurück. Schon in der griechischen Dichtung ist diese Periode pwo_050.032
durch die Schöpfung des Jdylls bezeichnet. Eine sentimentale Sehnsucht pwo_050.033
nach Naturzuständen bekundet schon damals am unmittelbarsten pwo_050.034
den Verlust der Natur. Für die moderne Welt bezeichnet Jean pwo_050.035
Jacques Rousseau den vollen Ausbruch dieser Naturschwärmerei, pwo_050.036
Goethes „Werther“ ihren Gipfel.
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