Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_058.001 Zur Beurteilung der platt-naturalistischen Doktrin ergiebt sich pwo_058.011 Die poetische Wirkung selbst ist stofflos: nicht mehr den einzelnen pwo_058.016 "Und wecket der dunkeln Gefühle Gewalt, pwo_058.022 pwo_058.023Die im Herzen wunderbar schliefen", wie Schiller durchaus bezeichnend sagt. pwo_058.024 § 38. pwo_058.025 pwo_058.026Die Gefühlsstärke des Dichters. Noch eine bedeutungsvolle Thatsache ist hier anzureihen: betreffend pwo_058.027 Anders, wenn verstärktes Gefühlsleben das Wesen des Dichters pwo_058.034 pwo_058.001 Zur Beurteilung der platt-naturalistischen Doktrin ergiebt sich pwo_058.011 Die poetische Wirkung selbst ist stofflos: nicht mehr den einzelnen pwo_058.016 „Und wecket der dunkeln Gefühle Gewalt, pwo_058.022 pwo_058.023Die im Herzen wunderbar schliefen“, wie Schiller durchaus bezeichnend sagt. pwo_058.024 § 38. pwo_058.025 pwo_058.026Die Gefühlsstärke des Dichters. Noch eine bedeutungsvolle Thatsache ist hier anzureihen: betreffend pwo_058.027 Anders, wenn verstärktes Gefühlsleben das Wesen des Dichters pwo_058.034 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0072" n="58"/><lb n="pwo_058.001"/> Nicht mehr sind wir angewiesen auf die rein formelle Erklärung der <lb n="pwo_058.002"/> Poesie als „der gebundenen Rede; außerdem aber einiger Anwendungen <lb n="pwo_058.003"/> der ungebundenen, welche mit den Anwendungen der gebundenen <lb n="pwo_058.004"/> in naher Verwandtschaft stehen.“ Der Unterschied heißt nun: <lb n="pwo_058.005"/> hier Sprache des Gefühls, dort Sprache des bloßen Gedankens. <lb n="pwo_058.006"/> Aehnlich wie sich die Kunstmalerei von der mechanischen Photographie <lb n="pwo_058.007"/> unterscheidet: während die letztere unbedingte, reflexionslose Wiedergabe <lb n="pwo_058.008"/> des Gegenstandes bietet, erstrebt die Kunst stimmungsvolle Erfassung, <lb n="pwo_058.009"/> gemütvolle Durchdringung desselben.</p> <lb n="pwo_058.010"/> <p> Zur Beurteilung der platt-naturalistischen Doktrin ergiebt sich <lb n="pwo_058.011"/> gleichzeitig ein neuer Maßstab: sie, die der Prosa näher steht als der <lb n="pwo_058.012"/> Poesie, ignoriert den Zweck – die Gesühlserhebung –, um das <lb n="pwo_058.013"/> Mittel, den Anreger der Gefühle – den Stoff – zur Alleinherrschaft <lb n="pwo_058.014"/> in ihrem Werk zu verstatten.</p> <lb n="pwo_058.015"/> <p> Die poetische Wirkung selbst ist stofflos: nicht mehr den einzelnen <lb n="pwo_058.016"/> Helden, unser eigenes immanentes Gefühlsleben geht der künstlerische <lb n="pwo_058.017"/> Eindruck an. Jndem sie uns „auf schwanker Leiter der Gefühle“ <lb n="pwo_058.018"/> emporhebt, führt uns die Poesie über die Alltäglichkeit hinaus, <lb n="pwo_058.019"/> stärkt unser Gefühlsleben, auf daß wir nicht im dumpfen Sinnentrieb <lb n="pwo_058.020"/> verkommen, –</p> <lb n="pwo_058.021"/> <lg> <l>„Und <hi rendition="#g">wecket</hi> der dunkeln <hi rendition="#g">Gefühle</hi> Gewalt,</l> <lb n="pwo_058.022"/> <l>Die im Herzen wunderbar schliefen“,</l> </lg> <lb n="pwo_058.023"/> <p>wie Schiller durchaus bezeichnend sagt.</p> </div> <div n="3"> <lb n="pwo_058.024"/> <head> <hi rendition="#c">§ 38. <lb n="pwo_058.025"/> Die Gefühlsstärke des Dichters.</hi> </head> <lb n="pwo_058.026"/> <p> Noch eine bedeutungsvolle Thatsache ist hier anzureihen: betreffend <lb n="pwo_058.027"/> die allgemeine Gemütsbeschaffenheit des Künstlers, besonders des <lb n="pwo_058.028"/> Dichters. Bestände sein Talent in bloßer Nachahmungsgabe, so hätte <lb n="pwo_058.029"/> er kein Recht auf andere Beurteilung seines Gefühlslebens, als der <lb n="pwo_058.030"/> übrigen Menschheit zugestanden wird. Bestände sein Talent gar in <lb n="pwo_058.031"/> einer direkt erzieherischen Anlage, so bliebe noch weniger Veranlassung, <lb n="pwo_058.032"/> die Leidenschaft der Dichterseele anzuerkennen.</p> <lb n="pwo_058.033"/> <p> Anders, wenn verstärktes Gefühlsleben das Wesen des Dichters <lb n="pwo_058.034"/> ausmacht. Dann verstehen wir den scheinbaren Widerspruch, daß er </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0072]
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Nicht mehr sind wir angewiesen auf die rein formelle Erklärung der pwo_058.002
Poesie als „der gebundenen Rede; außerdem aber einiger Anwendungen pwo_058.003
der ungebundenen, welche mit den Anwendungen der gebundenen pwo_058.004
in naher Verwandtschaft stehen.“ Der Unterschied heißt nun: pwo_058.005
hier Sprache des Gefühls, dort Sprache des bloßen Gedankens. pwo_058.006
Aehnlich wie sich die Kunstmalerei von der mechanischen Photographie pwo_058.007
unterscheidet: während die letztere unbedingte, reflexionslose Wiedergabe pwo_058.008
des Gegenstandes bietet, erstrebt die Kunst stimmungsvolle Erfassung, pwo_058.009
gemütvolle Durchdringung desselben.
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Zur Beurteilung der platt-naturalistischen Doktrin ergiebt sich pwo_058.011
gleichzeitig ein neuer Maßstab: sie, die der Prosa näher steht als der pwo_058.012
Poesie, ignoriert den Zweck – die Gesühlserhebung –, um das pwo_058.013
Mittel, den Anreger der Gefühle – den Stoff – zur Alleinherrschaft pwo_058.014
in ihrem Werk zu verstatten.
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Die poetische Wirkung selbst ist stofflos: nicht mehr den einzelnen pwo_058.016
Helden, unser eigenes immanentes Gefühlsleben geht der künstlerische pwo_058.017
Eindruck an. Jndem sie uns „auf schwanker Leiter der Gefühle“ pwo_058.018
emporhebt, führt uns die Poesie über die Alltäglichkeit hinaus, pwo_058.019
stärkt unser Gefühlsleben, auf daß wir nicht im dumpfen Sinnentrieb pwo_058.020
verkommen, –
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„Und wecket der dunkeln Gefühle Gewalt, pwo_058.022
Die im Herzen wunderbar schliefen“,
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wie Schiller durchaus bezeichnend sagt.
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§ 38. pwo_058.025
Die Gefühlsstärke des Dichters. pwo_058.026
Noch eine bedeutungsvolle Thatsache ist hier anzureihen: betreffend pwo_058.027
die allgemeine Gemütsbeschaffenheit des Künstlers, besonders des pwo_058.028
Dichters. Bestände sein Talent in bloßer Nachahmungsgabe, so hätte pwo_058.029
er kein Recht auf andere Beurteilung seines Gefühlslebens, als der pwo_058.030
übrigen Menschheit zugestanden wird. Bestände sein Talent gar in pwo_058.031
einer direkt erzieherischen Anlage, so bliebe noch weniger Veranlassung, pwo_058.032
die Leidenschaft der Dichterseele anzuerkennen.
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Anders, wenn verstärktes Gefühlsleben das Wesen des Dichters pwo_058.034
ausmacht. Dann verstehen wir den scheinbaren Widerspruch, daß er
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