Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_064.001 Nicht die Epopöe, d. i. das Epos im engern Sinne, steht an der pwo_064.002 pwo_064.009 § 41. pwo_064.010 pwo_064.011Der Mythos. Die Stoff-Grundlage dieser ältesten erhaltenen oder durch Zeugnisse pwo_064.012 Aus welchen Keimen erwächst ein solcher dichterischer Bericht? pwo_064.017 Jn immer neuen Spiegelungen desselben einheitlich zugrundeliegenden pwo_064.027 Für Deutschland lassen sich in der Ausbildung des Siegfried- pwo_064.031 pwo_064.001 Nicht die Epopöe, d. i. das Epos im engern Sinne, steht an der pwo_064.002 pwo_064.009 § 41. pwo_064.010 pwo_064.011Der Mythos. Die Stoff-Grundlage dieser ältesten erhaltenen oder durch Zeugnisse pwo_064.012 Aus welchen Keimen erwächst ein solcher dichterischer Bericht? pwo_064.017 Jn immer neuen Spiegelungen desselben einheitlich zugrundeliegenden pwo_064.027 Für Deutschland lassen sich in der Ausbildung des Siegfried- pwo_064.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0078" n="64"/> <lb n="pwo_064.001"/> <p> Nicht die Epopöe, d. i. das Epos im engern Sinne, steht an der <lb n="pwo_064.002"/> Spitze der epischen Entwicklung; vielmehr handelt es sich um kürzere, <lb n="pwo_064.003"/> für Gesangsvortrag bestimmte, mündlich fortgepflanzte Lieder, zunächst <lb n="pwo_064.004"/> zu Ehren der Götter. Die erste größere poetische Gesamtleistung <lb n="pwo_064.005"/> eines Volkes besteht im religiösen Mythos. Als geschlossenes System, <lb n="pwo_064.006"/> wo es überhaupt zu einem solchen kam, gehört dieser indes einer <lb n="pwo_064.007"/> Spätzeit an; zunächst tritt er hervor und lebt nur in einer Reihe <lb n="pwo_064.008"/> selbständiger Dichtungen zu Ehren der einzelnen Götter.</p> </div> <div n="3"> <lb n="pwo_064.009"/> <head> <hi rendition="#c">§ 41. <lb n="pwo_064.010"/> Der Mythos.</hi> </head> <lb n="pwo_064.011"/> <p> Die Stoff-Grundlage dieser ältesten erhaltenen oder durch Zeugnisse <lb n="pwo_064.012"/> erschließbaren Poesie bilden die mythischen Vorstellungen jedes <lb n="pwo_064.013"/> Volkes. Der <hi rendition="#g">Mythos</hi> (nach der griechischen Bezeichnung) gesteht <lb n="pwo_064.014"/> schon im Namen seinen erzählenden Charakter: d. h. <hi rendition="#g">Bericht,</hi> und <lb n="pwo_064.015"/> zwar im besonderen <hi rendition="#g">über die Thaten der Götter.</hi></p> <lb n="pwo_064.016"/> <p> Aus welchen Keimen erwächst ein solcher dichterischer Bericht? <lb n="pwo_064.017"/> Welche Thatsachen liegen zugrunde? und wo beginnt die dichterische <lb n="pwo_064.018"/> Ausgestaltung? Zugrunde liegt dem Mythos <hi rendition="#g">die Anschauung der <lb n="pwo_064.019"/> Natur:</hi> zunächst von Himmel und Erde, von Tag und Nacht, alsdann <lb n="pwo_064.020"/> von Sommer und Winter. Was alle Tage, ähnlich was alle <lb n="pwo_064.021"/> Jahre geschieht, wird nun persönlichen, unter menschlichen oder tierischen <lb n="pwo_064.022"/> Bildern vorgestellten Kräften zugeschrieben und danach als einmal <lb n="pwo_064.023"/> vorzugsweise geschehen erzählt. Durch Personifizierung und <lb n="pwo_064.024"/> singularisierende Zurückschiebung in die Vergangenheit gewinnt die thatsächliche <lb n="pwo_064.025"/> Anschauung poetischen, im besondern erzählenden Charakter.</p> <lb n="pwo_064.026"/> <p> Jn immer neuen Spiegelungen desselben einheitlich zugrundeliegenden <lb n="pwo_064.027"/> Naturverhältnisses setzt der Mythos neue Zweige an. Durch <lb n="pwo_064.028"/> solche Sprossenbildung entsteht eine Vielheit von Göttern, von mythischen <lb n="pwo_064.029"/> Gestalten.</p> <lb n="pwo_064.030"/> <p> Für Deutschland lassen sich in der Ausbildung des Siegfried- <lb n="pwo_064.031"/> Mythos noch alle Stufen dieses Entwicklungsganges erkennen. Den <lb n="pwo_064.032"/> Ausgangspunkt bildet der Tagesmythos vom Kampf des Lichtgottes <lb n="pwo_064.033"/> gegen den Dämon der Finsternis: vorerst ist es der Lichtgott, welcher <lb n="pwo_064.034"/> den Mächten der Nacht obsiegt; dennoch sinkt er schließlich in ihr <lb n="pwo_064.035"/> finsteres Reich hinab. Jn der Erweiterung zum Jahresmythos wirft </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0078]
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Nicht die Epopöe, d. i. das Epos im engern Sinne, steht an der pwo_064.002
Spitze der epischen Entwicklung; vielmehr handelt es sich um kürzere, pwo_064.003
für Gesangsvortrag bestimmte, mündlich fortgepflanzte Lieder, zunächst pwo_064.004
zu Ehren der Götter. Die erste größere poetische Gesamtleistung pwo_064.005
eines Volkes besteht im religiösen Mythos. Als geschlossenes System, pwo_064.006
wo es überhaupt zu einem solchen kam, gehört dieser indes einer pwo_064.007
Spätzeit an; zunächst tritt er hervor und lebt nur in einer Reihe pwo_064.008
selbständiger Dichtungen zu Ehren der einzelnen Götter.
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§ 41. pwo_064.010
Der Mythos. pwo_064.011
Die Stoff-Grundlage dieser ältesten erhaltenen oder durch Zeugnisse pwo_064.012
erschließbaren Poesie bilden die mythischen Vorstellungen jedes pwo_064.013
Volkes. Der Mythos (nach der griechischen Bezeichnung) gesteht pwo_064.014
schon im Namen seinen erzählenden Charakter: d. h. Bericht, und pwo_064.015
zwar im besonderen über die Thaten der Götter.
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Aus welchen Keimen erwächst ein solcher dichterischer Bericht? pwo_064.017
Welche Thatsachen liegen zugrunde? und wo beginnt die dichterische pwo_064.018
Ausgestaltung? Zugrunde liegt dem Mythos die Anschauung der pwo_064.019
Natur: zunächst von Himmel und Erde, von Tag und Nacht, alsdann pwo_064.020
von Sommer und Winter. Was alle Tage, ähnlich was alle pwo_064.021
Jahre geschieht, wird nun persönlichen, unter menschlichen oder tierischen pwo_064.022
Bildern vorgestellten Kräften zugeschrieben und danach als einmal pwo_064.023
vorzugsweise geschehen erzählt. Durch Personifizierung und pwo_064.024
singularisierende Zurückschiebung in die Vergangenheit gewinnt die thatsächliche pwo_064.025
Anschauung poetischen, im besondern erzählenden Charakter.
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Jn immer neuen Spiegelungen desselben einheitlich zugrundeliegenden pwo_064.027
Naturverhältnisses setzt der Mythos neue Zweige an. Durch pwo_064.028
solche Sprossenbildung entsteht eine Vielheit von Göttern, von mythischen pwo_064.029
Gestalten.
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Für Deutschland lassen sich in der Ausbildung des Siegfried- pwo_064.031
Mythos noch alle Stufen dieses Entwicklungsganges erkennen. Den pwo_064.032
Ausgangspunkt bildet der Tagesmythos vom Kampf des Lichtgottes pwo_064.033
gegen den Dämon der Finsternis: vorerst ist es der Lichtgott, welcher pwo_064.034
den Mächten der Nacht obsiegt; dennoch sinkt er schließlich in ihr pwo_064.035
finsteres Reich hinab. Jn der Erweiterung zum Jahresmythos wirft
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